Nobelpreisträger fordern Klimavertrag

Die Energie- und Klimawochenschau: China hat Schwierigkeiten mit seinem Mega-Staudamm und Großbritannien will neue AKWs

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Während der große UN-Klimagipfel näherrückt und die Aussichten auf einen substantiellen Klimaschutzvertrag schwinden, werden die Appelle eindringlicher. Das Potsdam Institut für Klimafolgenforschung veröffentlichte am heutigen Dienstag ein von 60 Nobelpreisträgern unterzeichnetes Memorandum, in dem die Regierungschefs der Welt aufgefordert werden, sich umgehend auf ein tragfähiges Klimaabkommen zu einigen. Ein solcher Vertrag müsse dem Ausmaß und der Dringlichkeit der sich bereits heute abzeichnenden sozialen, ökologischen und wirtschaftlichen Krisen gerecht werden.

Das Memorandum war im Mai von rund 20 Nobelpreisträgern ausgearbeitet und nachfolgend von weiteren unterschrieben worden. Unter ihnen sind die Friedensnobelpreisträger Michail Gorbatschow, der Dalai Lama und Mohammed el-Baradei, Chef der Internationalen Atomenergiebehörde, sowie die Literaturnobelpreisträger Doris Lessing (Großbritannien), John Coetzee (Südafrika), Nadine Gordimer (Südafrika) und Wole Soyinka (Nigeria). Aus Deutschland haben unter anderem die Chemienobelpreisträger Paul Crutzen, Johann Deisenhofer und Gerhard Ertl unterschrieben.

Anlässlich der Veröffentlichung des Memorandums meinte Kenneth J. Arrow aus den USA, der 1972 den Nobelpreis für Wirtschaftswissenschaften verliehen bekam: "Ich hörte zum ersten Mal von der menschgemachten globalen Erwärmung, als ich während des Zweiten Weltkriegs zum Wetteroffizier ausgebildet wurde. Um die Rolle der Spurengase für die Temperatur der Atmosphäre zu verdeutlichen, erklärte unser Lehrer, dass die Zunahme des Kohlendioxids aufgrund industrieller Aktivitäten schließlich zur Erwärmung führen wird. Als das Thema 25 Jahre später in der öffentlichen Debatte auftauchte, hatte ich das Gefühl, dass ich es gut verstand. Die nachfolgende wissenschaftliche Debatte hat die Analyse nur klarer gemacht und gezeigt, dass die Gefahren größer sind, als ursprünglich angenommen worden war."

Im Text des Memorandums heißt es unter anderem:

Klimaschutz, Energiesicherheit, nachhaltige Landnutzung, maßvolles Bevölkerungswachstum und gerechte wirtschaftliche Entwicklung sind die entscheidenden Herausforderungen des 21. Jahrhunderts. Die Wissenschaft beschreibt Bandbreite und Ausmaß der möglichen Auswirkungen des anthropogenen Klimawandels immer deutlicher. Diese Erkenntnisse sind als Auftrag zu verstehen, notwendige Gegenmaßnahmen einzuleiten. Es gilt insbesondere, Klimafolgen wie Dürren, den Anstieg des Meeresspiegels und Überflutungen zu vermeiden, die zu Massenmigrationen und Konflikten führen würden. Eine Aufforderung zum Handeln, die auf noch stichhaltigeren Beweisen beruht, kann die Politik nicht erwarten.

Hideke Shirakawa aus Japan, Nobelpreisträger für Chemie 2000, hofft, dass das Memorandum den Sorgen der Menschen weltweit angemessen Ausdruck verleiht. Er glaube, dass sich nicht nur Wissenschaftler, sondern auch viele andere Menschen Sorgen um den Klimawandel machten. Der Großteil der Menschheit habe aber nicht die Möglichkeit, sich öffentlich Gehör zu verschaffen. "Ich hoffe, dass das St.-James's-Palace-Memorandum eine starke Stimme hat und hilft, die Weltgemeinschaft zu vereinen und zu bewegen."

Die Nobelpreisträger äußerten sich auch zu dem, was ihrer Ansicht - und nach der der meisten Klimaforscher - in den nächsten Jahren geschehen muss:

In Anerkennung zwingender wissenschaftlicher Einsichten muss der Anstieg der globalen Mitteltemperatur auf zwei Grad Celsius begrenzt werden, um unbeherrschbare Klimafolgen abzuwenden. Dies können wir nur erreichen, wenn der Gipfelpunkt des globalen Ausstoßes sämtlicher Treibhausgase bis 2015 überschritten und der Gesamt-Ausstoß bis 2050 um mindestens 50 Prozent gegenüber dem Niveau von 1990 reduziert wird. Das bedeutet, dass die Industrieländer ihre entsprechenden Emissionen bis 2020 um 25 bis 40 Prozent zu senken haben.

Eines der großen Probleme der Klimaverhandlungen besteht darin, dass die Industriestaaten, auch die EU-Mitglieder, nach wie vor nicht zu derart einschneidenden Minderung ihrer Treibhausgase bereit sind (siehe USA geben Klima-Vertrag auf).

Problematischer Staudamm

Neben Einsparungen und Effizienzsteigerung sind die erneuerbaren Energieträger das wesentliche Mittel, Treibhausgas-Emissionen zu vermeiden. Im Prinzip ist auch die Wasserkraft so ein Energieträger, aber sie ist aus anderen Gründen nicht unumstritten. Wenn größere Flächen Wald oder andere Vegetation überflutet werden, dann kann es durchaus zu erheblichen Methanemissionen kommen, und dieses Gas mit der chemischen Formel CH4 ist neben dem Kohlendioxid (CO2) ein anderes wichtiges Treibhausgas.

Der Dreischluchtendamm in der Bauphase 2006. Bild: Christoph Filnkößl Das Bild "Dreischluchtendamm hauptwall 2006.jpg" und steht unter der "Creative Commons Namensnennung-Weitergabe unter gleichen Bedingungen"-Lizenz 3.0". Der Urheber des Bildes ist Christoph Filnkößl.

Der weltgrößte Staudamm in Chinas "Drei Schluchten" am Mittellauf des Yangtse hat zwar kein CH4-, dafür aber ein Haufen anderer Probleme und ist daher höchst umstrittenen. Am 15. September hat seine endgültige Befüllung begonnen, doch offensichtlich scheint es Schwierigkeiten zu geben. Das geht zumindest aus einem Bericht der in Hongkong erscheinenden South China Morning Post (SCMP) hervor. Nach dem bis zum am 23. Oktober das Wasser um 14 Meter auf 170 Meter gestiegen war, sei der weitere Anstieg ohne Kommentar gestoppt worden. Noch fehlten fünf Meter bis zum Erreichen des endgültigen Niveaus und zahlreiche Journalisten seien angereist, um über die symbolträchtigen letzten Meter zu berichten.

Der Yangtse ist einer der beiden großen Flüsse Chinas und der neue Stausee begräbt in seinen Fluten eine einzigartige Felslandschaft aus tiefen Schluchten, die der Strom im laufe der Jahrtmillionen ins Gestein gefressen hat. 180 Milliarden chinesische Yuan (rund 18 Milliarden Euro) wurden in das Projekt investiert, das schon seit Beginn des 20. Jahrhunderts diskutiert wurde. Wegen der enormen Folgen für Mensch und Umwelt hatte es im chinesischen Volkskongress, dem inzwischen nicht mehr ganz so machtlosen Parlament des Landes, erheblichen Widerstand gegen das Projekt gegeben, der zu mehrjährigen Verzögerungen führte. Über eine Million Menschen mussten umgesiedelt werden. Im Endstadium soll der Damm jährlich bis zu 84 Milliarden Kilowattstunden (laut Wikipedia) Strom liefern, was zwischen zwei und drei Prozent des derzeitigen chinesischen Verbrauchs läge.

Nun scheint es fast, als würde sich ein Teil der Bedenken bewahrheiten. Die Hongkonger Zeitung schreibt, dass es zu Erdrutschen gekommen sei. Einige Wissenschaftler würden davor warnen, dass der steigende Wasserspiegel die Stabilität der Ufer unterminiere. Der Boden gerate aus dem Gleichgewicht. Über dem Dorf Quchi (sprich Tjutschi) drohe der Boden abzurutschen und die Häuser mit in die Tiefe zu reißen. 3.000 Einwohner seien evakuiert worden.

Wang Bolin, Parteichef von Quchi wird mit den Worten zitiert, es gebe für sein Dorf keinen Platz, denn das sichere Gelände rund um den See sei längst von anderen Dörfern besetzt. Der Wasserspiegel wurde in den letzten Jahren in mehreren Schritten angehoben. Begonnen hat das Aufstauen bereits 2003. Das Dorf Quchi war schon vor zehn Jahren an seinen jetzigen Ort verlegt worden, seine alten Häuser sind längst in den Fluten versunken.

Von Anwohnern und auch von einigen lokalen Poltikern gebe es Widerstand gegen die weitere Anhebung des Wasserspiegels, schreibt die SCMP. Unter Berufung auf die chinesische Nachrichtenagentur Xinhua heißt es, dass 200 Dörfern wegen instabiler Hänge das gleiche Schicksal wie Quchi drohe. Während sich die Experten streiten, ob die Hangrutsche nur eine temporäre Erscheinung sind oder zur permanenten Erscheinung werden, haben sich seit September über 100 neue kritische Stellen gebildet, an denen wiederholt die Erde nachgegeben habe.

Größere Rutschungen sind nicht nur eine Gefahr für die unmittelbaren Nachbarn, sondern sie können durchaus auch Flutwellen auslösen. Schon einen Monate, nach dem 2003 der See in einem ersten Schritt auf 135 Meter Höhe aufgestaut wurde, brachen an einem Nebenfluss unweit der Mündung in den See 20 Millionen Kubikmeter Felsen ab. Die Wellen, die sie schlugen, erreichten Höhen von 20 Metern und töteten 14 Menschen.

Das US-Wissenschaftsmagazin Scientific American berichtet ebenfalls von einer sehr kritischen Expertendiskussion in der Volksrepublik, die inzwischen auch die Regierungsebene in Beijing (Peking) erreicht habe. Seit 2006, als der See in einem weiteren Schritt auf 156 Meter gestaut wurde, habe es Dutzende von Hangrutschen gegeben. Im Kreis Badong habe eine solche Lawine einen Bus auf einer Straße begraben und mindestens 30 Menschen getötet.

Das Magazin zitiert den Geologen Fan Xiao, der in der an den Stausee angrenzenden Provinz Sichuan arbeitet. Das Wasser dringe an der Basis der Hänge und Felsen in den Boden ein und destabilisiere sie. Hinzu käme dann noch, dass der Wasserspiegel schwanken würde und damit auch der Druck im Grundwasser. Im Sommer werde der See entleert, um aus dem Oberlauf herab strömendes Hochwasser aufnehmen zu können. Gegen Ende der Saison werde der Speicher dann wieder gefüllt, um elektrischen Strom gewinnen zu können. Schwere Hochwasser sind seit Beginn der chinesischen Zivilisation vor 5.000 Jahren ein großes Problem für die Menschen am Unterlauf des Yangtse. Zuletzt starben im Sommer 1998 mehrere Tausend Personen, als der Fluss über seine Ufer trat.

Sind also die neuen Gefahren für die Menschen am Stausee der Preis für den Hochwasserschutz am Unterlauf? Um diese Frage zu beantworten, wäre zunächst zu klären, ob der Damm sie auch wirklich effektiv schützt und nicht etwa neue Gefahren mit sich bringt. Schlimmer noch als nachgebende Ufer könnten sich nämlich Erdbeben auswirken. Unter dem 600 Kilometer langen Stausee, der durch die engen Schluchten eher wie ein etwas breiterer Fluss wirkt, verlaufen mehrere Verwerfungen. An diesen Bruchzonen der Erdkruste treten in unregelmäßigen Abständen Erdbeben auf.

Schlimmer noch: Der neue Stausee könnte durch sein Gewicht und die Schwankungen des Wasserstandes durchaus aktiv Beben auslösen. Derlei induzierte Beben sind unter anderem aus den USA, aus Indien und aus China bekannt. In der Volksrepublik wurden seit den 1950er Jahren mindestens 19 Erdbeben von Stauseen ausgelöst, darunter auch vergleichsweise schwere. Seit dem Beginn der zweiten Staustufe 2006 haben die chinesischen Geophysiker in der Region 822 kleinere Stöße mit ihren empfindlichen Geräten registriert. Die Wissenschaftler sprechen dabei auch von Mikrobeben und wissen, dass diese im Vorfeld größerer Beben meist gehäuft auftreten. Fan rechnet laut Scientific American damit, dass sich mit der letzten Staustufe die Situation mit "einer sehr großen Wahrscheinlichkeit" verschlimmert.

Neue AKWs

Dabei hat China noch ganz andere Möglichkeiten elektrischen Strom aus erneuerbaren Quellen zu gewinnen. Wie mehrfach berichtet (z.B.: China öffnet Windmarkt oder China erntet Sonne) boomen in China sowohl Wind- als auch Solarenergie kräftig. Nun ist in der britischen Zeitung The Observer von einer Studie der Deutschen Bank zu lesen, die der Volksrepublik exzellente Noten ausstellt. Wer sein Geld in Erneuerbaren anlegen möchte fände dort bessere Bedingungen als zum Beispiel in Großbritannien. Die Rahmenbedingung seien stabil und transparent, so dass Investoren abschätzen könnten, worauf sie sich einlassen. Die Zeitung sieht den britischen Anspruch, Weltführer in Sachen grüner Investitionen zu sein, in Frage gestellt. Woher der kommen sollte, erschließt sich dem kontinentalen Leser ohnehin nicht so recht.

Die britische Regierung scheint das alles jedoch nicht anzufechten. Während der Ausbau der Windenergie in Großbritannien weiter unbeschadet aller vollmundigen Erklärungen stockt , will man nun mit Atomkraftwerken klotzen. Klima- und Energieminister Ed Miliband stellte ein Papier vor, in dem potenzielle Standorte für neue AKWs benannt werden. Es geht darum, dass die Planungsverfahren für große Energieprojekte beschleunigt werden. Erst kürzlich hatten britische und andere Behörden schwere Bedenken gegen die Sicherheitskonzepte der neuen Reaktorgeneration geltend gemacht, die Firmen wie die deutsche E.on und die französischen EDF auf der Insel bauen wollen (siehe Atomaufsichtsbehörden sehen Sicherheitsdefizite bei neuen Druckwasserreaktoren).