Mit Vollgas zum nächsten Crash

Nachdem nun auch das G20-Treffen vom Wochenende nicht einmal Ansätze für eine Lösung der globalen Probleme gebracht hat, ist es wohl nicht mehr die Frage ob, sondern nur noch wann es in diesem Krisenzyklus zur nächsten Finanzmarktkatastrophe kommen wird

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Da auf jeden Boom irgendwann ein Einbruch folgt, ist die Voraussage künftiger Crashs immer ein risikofreier Tipp, zumindest sofern auf genaue Zeitangaben verzichtet wird. Allerdings haben die Finanzmärkte normalerweise die Tendenz, nach einem schweren Crash für einige Jahre etwas vorsichtiger zu sein und auf die in Boomzeiten üblichen Exzesse zu verzichten. Aber während der jüngste Crash ja eigentlich schwer genug gewesen sein sollte, um die Märkten vor übermäßiger Euphorie zu bewahren, ist das Gegenteil der Fall.

Mit ihren Versuchen, die Krise zu überwinden, verursachen die Regierungen und Notenbanken der G20-Staaten bereits wieder genau die Euphorie, die vor kaum einem Jahr in den fast völligen Zusammenbruch des globalen Finanzsystems geführt hat.

Das legen zumindest die Global Economic Prospects and Principles for Policy Exit des IWF nahe, die beim G20-Finanzreffen am letzten Wochenende präsentiert wurden. Aber während führende Ex-Ökonomen des IWF vor dem Treffen noch erwartet hatten, es werde zwar zu makroökonomischen Lippenbekenntnissen kommen, nur würde diese dann ignoriert werden, war von den globalen Ungleichgewichten in den offiziellen Gipfeldokumenten nicht einmal die Rede. Hingegen werden die G20-Staaten vom IWF eindringlich aufgefordert, die außergewöhnlichen Konjunkturmaßnahmen selbst dann weiterzuführen, wenn es zu einer deutlichen globalen Konjunkturerholung kommen sollte.

Dazu ließen die G20-Staaten sich gerne überreden, erhielten sie so doch eine quasi offizielle Legitimation zum Schuldenmachen und Gelddrucken, was die gewohnheitsmäßig kurzfristig denkenden Politiker nun wohl der letzten Hemmungen berauben dürfte. Der einzige breite Konsens, den die G20 finden konnten, bestand offenbar darin, dass die Förderung des Wirtschaftswachstums in allen Ländern Priorität haben sollte, wie auch US-Finanzminister Timothy Geithner tags darauf feststellte.

Mit keinem Wort erwähnt wurden indes die globalen Ungleichgewichte, die vielleicht den wichtigsten einzelnen Beitrag zum entstehen der Krise geleistet haben, namentlich die „Bretton Woods II“ (Bretton Woods II) genannte symbiotische Beziehung zwischen China und den USA. Bekanntlich kauft China seit Jahren US-Anleihen, um die fixe Bindung der eigenen Landeswährung an den Dollar sicherzustellen, und finanziert damit gleichzeitig die China-Importe der USA. Die Folge ist die von den USA offiziell stets heftig kritisierte Dollar-Bindung des Yuan. Sie wird zwar auch beim bevorstehenden Chinabesuch Barak Obamas auf der Tagesordnung stehen, aber die gegenseitigen Abhängigkeiten und die letztlich übereinstimmenden Interessenlagen werden ein vorzeitiges Ende von Bretton Woods II wohl verhindern.

Dies ist vor allem deswegen zu erwarten, weil die Lasten dieses Arrangements nicht von China und den USA, sondern vor allem von den Staaten getragen werden, deren internationale Wettbewerbsfähigkeit unter der steten Unterbewertung des Dollar/Yuan-Währungsverbunds leidet, derzeit also vor allem von Euro-Europa und den anderen Hartwährungsländern. Angesichts der weltweit vorliegenden Nullzinsen bleibt diesen Ländern nur die Möglichkeit, gleichfalls Dollars zu kaufen, um die eigene Währung zu drücken – wie es viele ostasiatische Länder handhaben –, oder sie müssen zusehen, wie ihre Exporteure immer mehr ins Hintertreffen geraten und ihr Inlandsmarkt von billigen ausländischen Gütern überschwemmt wird.

Mutter aller Carry-trades

Gleichzeitig ermöglicht erst die chinesische Finanzierung den USA die anhaltende Niedrigzinspolitik der US-Notenbank, die andernfalls wohl mehr Rücksicht auf die Langfristzinsen nehmen müsste. So hingegen kann sie die monetären Schleusen offen lassen, was inzwischen die Mutter aller Carry-trades zur Folge hat, wie der US-Ökonom und bewährte Krisenprophet Nouriel Roubini letzte Woche gewarnt hat. Während Rubini einen baldigen Crash für unvermeidlich hält, blickt auch der IWF mit Besorgnis auf die enormen globalen Preisanstiege bei allen als riskant geltenden Finanzanlagen und vermutet gleichfalls, dass die niedrigen Dollarzinsen dazu einen gewichtigen Beitrag geleistet haben.

Man erinnere sich an den so genannten Yen-Carry-trade. Als der Boom weltweit noch voll am Laufen war, hatte Japan noch immer unter den Folgen seiner Finanzexzesse der 1980er Jahre zu leiden und als weltweit erste Notenbank Jahrelang Geld zinsenfrei verliehen. Das machte den japanischen Yen zur globalen Niedrigzins-Finanzierungswährung, die für Finanzanlagen in Hochzinsländern genutzt wurde. Das war nur aufgrund einer ökonomischen Anomalie rentabel, denn eigentlich sollte „im Gleichgeicht“ die höher verzinste Währung tendenziell im Ausmaß ihres Zinsvorsprunges abwerten, was dem Zinsdifferenzial der Forward-Wechselgeschäfte entspricht, nicht aber der ökonomischen Realität.

So strichen die Trader neben der Zinsdifferenz oft auch noch Wechselkursgewinne ein, was den Finanzakrobaten zwar gewaltige Gewinne brachte, mit dem Ausbruch der Krise aber gravierende Folgen zeigte. Denn als die Risiken der Zielländer plötzlich wesentlich höher eingeschätzt wurden, mussten viele stark fremdfinanzierten Trader ihre Positionen zwangsweise auflösen, was zu eine Kaskade an weiteren Verkäufen und Preiseinbrüchen führte und stark dazu beitrug, dass die Krise fast augenblicklich auf weltweit alle als riskant geltenden Finanzanlagen übergreifen konnte.

Das ruinierte etliche Trader, die freilich immer mit Verlusten gerechnet hatten. Immerhin ist diese Strategie grundsätzlich drei erheblichen Gefahren ausgesetzt: Es könnte die Zielwährung plötzlich drastisch an Wert verlieren, es könnte der Preis des Anlagegutes einbrechen und es könnte die Finanzierungswährung plötzlich teurer werden, was allesamt zu erheblichen Verlusten führen kann.

Derzeit sind diese Gefahren hingegen weitgehend gebannt. Denn wie die Fed letzte Woche verlautbarte, ist mit dem Dollar als Finanzierungswährung zumindest das Zinsänderungsrisiko vernachlässigbar; und auch das Wechselkursrisiko wurde seit März ausschließlich zugunsten der Trader schlagend, ebenso die Preissteigerungen bei den riskanten Anlagegütern.

Trader leihen sich Gelder zu 20 Prozent negativen (!) Zinsen, um mit großem Hebel in eine Masse an riskanten, globalen Anlagegütern zu investieren, deren Preise aufgrund der exzessiven Liquidität und des Carry-trades steigen. Weil die Gewinne in der Gegend von 50 bis 70 Prozent liegen sieht jeder Investor, der dieses riskante Spiel spielt, wie ein Genie aus – selbst wenn er nur auf einer gewaltigen Blase reitet, die von stark negativen Kreditkosten finanziert wird.

Nouriel Roubini

Aber auch die Zielwährungen werden durch die einströmenden Dollars immer teurer, so dass das betroffene Land Gefahr läuft, an Wettbewerbsfähigkeit zu verlieren. Wehrt es sich durch monetäre Operationen, die die eigene Währung schwächen sollen, gefährden die erforderlichen Sterilisierungsmaßnahmen die inländische Preisstabilität und führen zwangsläufig ebenso zu spekulativen Blasen, wie die Carry-trades selbst.

Und so wird die quer über alle riskanten Anlageklassen perfekt korrelierte Blase jeden Tag nur immer größer.

Nouriel Roubini

Da diese ins Ausland geflossenen Gelder zu Hause natürlich fehlen, springen die Fed und die anderen großen Notenbanken ein und kaufen direkt alle Arten von einheimischen Schuldtiteln. Das macht es den weniger risikofreudigen Tradern zudem viel leichter, etwa mit den Nullzins-Dollars auch Dollaranlagen zu kaufen, etwa die zurzeit in Massen emittierten Staatsanleihen oder die höherrentierlichen mit Hypothekar-, Unternehmens- oder Kreditkartenschulden unterlegten „Asset Backed Securities“. Damit verzichten die Investoren laut Roubini zwar auf annualisiert rund 20 Prozent Rendite, entgehen aber auch dem Währungsrisiko und sind dank Fed vor starken Einbrüchen des Anlagegutes geschützt.

Notenbanken finanzieren Gewinne der Investmentbanken und Hedge Fonds

Während die Zentralbankgelder also nicht in Kredite an die Realwirtschaft, sondern in Finanzmarktgeschäfte fließen, profitieren davon am meisten diejenigen, die für die Krise verantwortlich sind und schon zuvor davon profitiert haben: die Investmentbanken und Hedge Fonds, die in diesem Jahr – wenn kein Crash dazwischen kommt – anscheinend so hohe Gewinne einfahren werden, wie niemals zuvor. So werden laut Bloomberg die drei führenden US-Investmentbanken Goldman Sachs, Morgan Stanley und JPMorgan Chase 29,7 Mrd. Dollar an Boni ausbezahlen, das sind 60 Prozent mehr als im Vorjahr und fast zehn Prozent mehr als im bisherigen Rekordjahr 2007 Die Hedge Fonds hingegen könnten angesichts der für heuer erwartenden Gewinne mit hohen Zuflüssen rechnen und schon im Jahr 2010 das bisherige Rekord-Anlagevolumen von zwei Billionen Dollar überschreiten, heißt es optimistisch aus der Deutschen Bank.

Voraussetzung dafür ist die weiterhin unbeschränkte Finanzierungsbereitschaft der Notenbanken sowie eiserne Nerven der Investoren. Denn so wie bereits vor der Krise ist das System extrem anfällig für Schwankungen sowohl bei den Währungsrelationen wie bei den Preisen der Anlagegüter. So könnte ein Moment plötzlicher Dollarstärke schlagartig zum massenhaften Auflösen der Carry-trades, zu Kurseinbrüchen in den Emerging Markets und zu einer weiter steigender Dollar-Nachfrage aufgrund einer neuerlichen globalen Flucht in die Qualität führen. Dann würden gleichzeitig aber auch an der Wall Street und überall sonst die Aktienkurse einbrechen, und schon wären wir neuerlich mit Chaos, Panik und den diversen Rettungsaktionen konfrontiert. Wie Rubini anmerkt „scheinen die Fed und andere Entscheidungsträger die Monster-Blase nicht zu bemerken, die sie kreieren. Je länger sie aber blind bleiben, umso härter werden die Märkte fallen“.

Schon jetzt bleibt indes ein Rätsel, wie die Notenbanken ihre Geldpolitik zurückfahren wollen, ohne das filigrane Finanzmarktgefüge zu stören. Zwar hat die EZB als einzige der großen Notenbanken bereits offen die Frage gestellt, wie lange bestimmte Notkredit-Fazilitäten noch erforderlich sein werden, etwa jene mit einjähriger Laufzeit. Allzu drastisch wird aber auch die EZB nicht vorgehen können, müsste sie dann doch wohl einzelne Euro-Staaten über die Klinge springen lassen, was wohl die gesamte Währungsunion existenziell bedrohen würde.

Immerhin haben alle EU-Staaten zuletzt massiv Staatsanleihen begeben, welche großteils von Banken übernommen wurden, die diese risikofreien Aktiva durchwegs mit EZB-Geldern finanziert haben. So lange der Geldbedarf der Staaten nicht abnimmt, werden die Notenbanken auch die Finanzierung der Banken nicht zurücknehmen können bzw. dürfen. Denn wie der in seiner Amtszeit stets seine absolute Unabhängigkeit betonende langjährige Fed-Chef Alan Greenspan nach seiner Pensionierung eingestanden hatte, sei es manchmal „politisch nicht opportun“ gewesen, die Zinsen zu erhöhen, selbst wenn er es gewollt hätte. Das sagte Greenspan übrigens zu den Niedrigzinsen in den Jahren 2003/2004, die er auf Druck der Bush-Administration nicht habe anheben dürfen und die heute als wichtigste Voraussetzung für die Finanzmarktexzesse gelten, die dem Crash vorangegangen waren.