Der Gotteskomplex

Alle Bilder: Sony

Hiroshima ist nichts dagegen: Roland Emmerich Katastrophenspektakel "2012" verlangt einen höheren Blutzoll, als jeder Kriegsfilm

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Im Kaputtmachen waren die Deutschen schon immer gut. Und der Godzilla unter den germanischen Regisseuren ist seit jeher Roland Emmerich. Das Wesen von Katastrophenfilmen liegt vor allem in drei Elementen: Zum einen ist dies immer eine Leistungsschau des Effektkinos und des aktuellen technischen Vermögens der Leinwanddesigner. Zum zweiten sind Katastrophenfilme ein Medium, um allgemeine, aber verborgene Ängste eines Gemeinwesens punktgenau zu erfassen, diese, so die Filme wirklich gut sind, zu reflektieren und zu entfalten. Oft genug aber dienen sie, drittens dann auch wieder dazu, sich von diesen durch Übertreibung auch gut und subtil wieder distanzieren zu können. Statt Bankenbilanzen stürzen hier die computerdesignten Bankentürme ins Bodenlose, die Filme reflektieren damit das Krisengefühl - aber mit den tatsächlichen Bedrohungen unserer Gegenwart haben sie dennoch nichts zu tun. Im Gegenteil entfernen sie das Publikum subtil von ihnen und bieten schmierigen Trost. Vielleicht leidet Emmerich ja auch einfach an einem Gotteskomplex. Jedenfalls möchte er offenbar die Erde neu erschaffen. Und davor braucht es eine Sintflut.

Vielleicht muss man einmal andersrum anfangen und erwähnen, was alles ganz bleibt, wenn doch alles kaputt geht. Denn wieder wütet Roland Emmerich wie ein Regieelefant im Porzellanladen der Welt, weil es diesmal aber wirklich um die ganze Welt geht, stellte sich bei diesem Regisseur dann eben offenkundig irgendwann der bekannte Effekt ein: Ein Kind ist in einem riesigen Schokoladengeschäft, stopft und stopft alles in sich hinein, was es greifen kann - und irgendwann hat es dann Bauchweh.

Zuerst also gönnt sich Emmerich hier unter anderem die extreme Eitelkeit, das Weiße Haus ausgerechnet von einem US-Flugzeugträger zerdeppern zu lassen, der auf einer Flutwelle surft, dann die Sixtinische Kapelle - Gott, Adam, Welterschaffung sind darauf zu sehen - in tausend Stücke zerbröseln zu lassen, so wie den Petersdorm, wie den Zuckerhut von Rio mit seiner Christusstatue. Er lässt einen Tsunami über den Himalaya schwappen - nichts ist kleiner als das Größtmögliche, und sogar die Regale amerikanischer Supermärkte halten nicht stand. Dann aber wird plötzlich das Kleinstmögliche gerettet, der Hund der Queen. Und die Kaaba von Mekka auch.

Wo Emmerich drauf steht, ist Emmerich drin

"Wir waren gewarnt", heißt der Werbeslogan, und böse Zungen könnten nun behaupten, damit sei eigentlich auch bereits das Urteil über den Film gesprochen. In jedem Fall kommen in "2012" alle Fans von Roland Emmerich auf ihre Kosten, genauso, wie sich jene bestätigt fühlen können, denen die Katastrophenspektakel dieses Regisseur schon immer zu platt und primitiv waren - irgendwelche Überraschungen sind hier jedenfalls ausgeschlossen: Wo Roland Emmerich drauf steht, ist auch Roland Emmerich drin - nicht mehr, aber auch nicht weniger.

Dazu gehört dann aber auch gleich die Mitteilung, dass dieser Film immerhin spektakulär anzugucken ist - vorausgesetzt, man schafft es, am Anfang seinen Verstand auszuschalten und in den letzten 40 Minuten auch seinen Geschmackssinn. Vom visuellen Spektakel abgesehen ist dieser Film in jeder Hinsicht ein schlechter Witz.

"Mutter aller Katastrophenfilme"

Die Welt war bekanntlich noch nie genug für Emmerich, darum will und muss er sie im Kino immer wieder kaputt machen, wie Kinder ihr Spielzeug. "Apokalypse Now!" könnte eigentlich der Titel fast aller seiner Filme heißen - von "Independence Day" bis "The Day after Tomorrow" (siehe Supersturm mit frostiger Botschaft). Auch in "2012" bestätigt der deutsche Regisseur in Hollywood sein Image: Der Film bietet genau jenes bombastische Katastrophenspektakel, das man von diesem Regisseur erwartet.

Der Titel des Werks, der als die "Mutter aller Katastrophenfilme" beworben wird, verweist auf einen uralten Maya-Kalender, der den Weltuntergang ankündigt. Damit kombiniert der Film ein paar Wissenschaftler, die eines Tages im Jahr 2009 mit verwirrenden Formeln den Wahrheitsgehalt des Kalenders beweisen wollen. Chiwetel Ejiofor spielt den missverstandenen Weisen, Danny Glover einen US-Präsident, der - ein seniler Obama - die Katastrophe auch nicht verhindern kann, Woody Harrelson einen Hippie, der von den Ereignissen alle LSD-Visionen betätigt sieht. Hinzu kommen zahlreiche kreischende, schluchzende, bangende und am Ende sterbende Statisten - Emmerich verlangt einen höheren Blutzoll als jeder Kriegsfilm. Vor allem aber ist hier eine Armada an Computertechnikern am Werk - es geht vor allem um Malen auf der Leinwand, nicht um Realismus.

Lauter, größer, wahnsinniger als hier geht es nicht

Im Mittelpunkt des Films steht eine Familie, die allerdings nicht mehr ganz heil ist: Der erfolglose Schundromanschriftsteller Jackson Curtis (gespielt von John Cusack, vielleicht auch ein verkapptes Selbstportrait), seine zwei Kinder Lilly und Noah (!!) und seine Ex-Frau Kate. Diese Personen, ähnlich wie das übrige Personal des Films ein Klischee nach dem anderen, begleiten den Zuschauer während der monumentalsten Vernichtung der Erde seit der biblischen Apokalypse.

Denn tatsächlich lässt der Regisseur am Ende die Erde in einem Spektakel aus Spezialeffekten untergehen, Hiroshima ist nichts dagegen: Erdspalten öffnen sich, Flutwellen ergießen sich über Metropolen, lauter, größer, wahnsinniger als hier geht es nicht. Deswegen muss man noch nicht von Größenwahnsinn sprechen - man fragt sich aber, wie Emmerich im nächsten Film noch einen draufsetzen will. Diese Bilder sind interessant. Zwar ist am Computer inzwischen alles möglich, aber mal zugucken, wenn die Welt untergeht, möchte man dann schon, zumal Emmerich nicht Emmerich wäre, gäbe es nicht auch das kleine Glück im großen Unglück, gäbe es nicht die diesmal chinesische Arche Noah in der Sintflut.

Die dysfunktionale Kleinfamilie befindet sich inmitten dieses bombastischen Untergangs auf einer wilden Jagd, die immer wieder mal ganz schamlos von "Indiana Jones" abgekupfert ist: Immer "in letzter Sekunde", immer wenn der Untergang quasi schon einen Rockzipfel der lieben Protagonisten gepackt hat, und es wird dabei alles immer redundanter und immer dümmer.

Reaktionäre Mystik und Survival of the richest

Dieser Film ist reiner Trash, die Sprüche aus der C-Movie-Konserve - "I thought we'd have more time"; "You won't believe this"; "The world as we know it, will soon come to an end."; "It's starting" – so dass man sich noch nicht mal mehr über die mehr als fragwürdige Ideologie aufregen mag, die Emmerich hier propagiert: Anfangs wird der Esoterik das Wort geredet, folgt Maya- und Tibet-Hokuspokus, bevor dann in der Arche das Prinzip "Survival of the richest" gilt.

Das mag dann sogar etwas mit der Krise zu tun haben, aber es ist so albern, dass man hier nicht mal kotzen muss. Ernst nehmen kann man das alles hier also gar nicht mehr - viel eher wirkt alles wie eine einzige Selbstparodie des Regisseurs. Wäre da nicht besagter Gotteskomplex vor. Wäre Emmerich nicht der moderne reaktionäre Mystiker, der er ist, hätte er Sinn für Ironie, könnte man sich in diesem Film wirklich amüsieren. So ist man nur ermüdet. Auch der Weltuntergang, zum fünften Mal gesehen und auf drei Stunden gedreht, ist langweilig.

Emmerich allerdings ist, wie wir es von ihm auch nicht anders erwartet haben, weiterhin steigerungsfähig. Darum dreht er jetzt in Babelsberg Shakespeare. Mit, wie es heißt, "kleinstem Budget". Aber was wäre bei Emmerich schon je wirklich klein gewesen. Bei der Horrorwortkombination Shakespeare und Emmerich fällt uns dann nur noch Oscar Wilde ein, der einmal schrieb: "Die Abneigung gegen den Realismus im 19. Jahrhundert entspricht der Wut Calibans, als er sein eigenes Gesicht im Spiegel erblickte. Die Abneigung gegen die Romantik im neunzehnten Jahrhundert entspricht der Wut Calibans, als er sein Gesicht nicht im Spiegel erblickte." Man muss es sich noch einmal auf der Zunge zergehen lassen: Emmerich dreht Shakespeare. Das wäre dann wirklich der ultimative Kastastrophenfilm.