Die Entdeckung des halben Quanten-Lochs

Forscher haben ein weiteres, bisher nur theoretisch vorhergesagtes Phänomen der Quantenwelt entdeckt: halbe Quanten-Vortices

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„Ein Quanten-Vortex erzeugt ein Nullpunkt-Feld, das die besten Voraussetzungen für Befreiung und Kreation schafft. Wer den Vortex-Strahl betritt, kann über eine direkte Verbindung zum höheren Selbst und zum Universum seine Wünsche und Vorstellungen wahr werden lassen.“ – Nein, der Autor ist nicht wahnsinnig geworden, das Zitat bietet nur einen Auszug daraus, was Esoteriker mit dem hübschen Begriff „Quantum-Vortex“ schon angestellt haben. Und er klingt ja auch wirklich wie von einem Startrek-Drehbuchschreiber erfunden. Ist nicht Raumschiff Enterprise irgendwann einem Quanten-Vortex zu nahe gekommen?

Tatsächlich ist das dahinter stehende Phänomen zwar wirklich faszinierend, das Zustandekommen des Begriffs aber doch erstaunlich trivial. Ein Vortex ist in diesem Zusammenhang nicht mehr und nicht weniger als ein Loch – oder wissenschaftlich ausgedrückt: ein topologischer Defekt. Eine Störung also in der Struktur des Stoffes. Quantum Vortices kann man in Supraleitern und Supraflüssigkeiten beobachten. Beider Gemeinsamkeit ist, das sagt schon der Name, dass es sich um quantisierte Effekte handelt. Zudem entspricht die Natur des „Inhalts“ des Lochs gerade nicht der Natur des Trägermediums: Bei einer Supraflüssigkeit ist der Vortex nicht suprafluid, beim Supraleiter nicht supraleitend.

Bei einer Supraflüssigkeit benötigt man Quantum-Vortices, wenn die Flüssigkeit rotiert. Der Vortex übernimmt dann das Drehmoment des Systems. Was wirklich im Loch steckt, ist eigentlich egal – Vakuum, Teilchen, was auch immer. Typischerweise ist so ein Quanten-Vortex sehr klein (also so viel zum Thema „den Quanten-Vortex betreten“) – bei suprafluidem Helium etwa in der Größenordnung von deutlich unter einem Nanometer.

Bei einem Supraleiter hingegen entstehen Quanten-Vortices wegen des Meißner-Ochsenfeld-Effekts: Der Tatsache, dass Supraleiter magnetische Felder aus ihrem Inneren verdrängen. Ist nun das Magnetfeld stark genug, wird der Supraleiter gequetscht – es kann allerdings auch energetisch günstiger sein (nämlich bei Typ-II-Supraleitern, zu denen auch alle Hochtemperatur-Supraleiter gehören), dass sich Löcher bilden, die den magnetischen Fluss aufnehmen. Und da haben wir dann unsere Quanten-Vortices. Um den Vortex herum bleibt die supraleitende Phase erhalten.

Und wie darf man sich nun halbe Löcher vorstellen?

Das „halb“ nimmt hier Bezug auf das Ausmaß der Rotation, das in diesem Fall nicht 2*Pi, sondern nur Pi beträgt. Halbe Quanten-Vortices sagt die Theorie für zweidimensionale Supraflüssigkeiten mit vorhandenem Spin voraus. Solche Flüssigkeiten müssen also schon einmal aus Quasiteilchen bestehen – in der Natur wurde Suprafluidität bisher nur bei Helium und Lithium beobachtet. In diesem Fall handelt es sich um eine Polariton-Flüssigkeit – die Gemeinschaft der den Energieaustausch zwischen Exzitonen (also Loch-Elektron-Paaren) in einem Halbleiter beschreibenden „Teilchen“.

Diese Exziton-Polaritonen besitzen einen ganzzahligen Spin, es handelt sich also um „Quasi-Bosonen“. Auch die Bose-Einstein-Kondensation ist für ein Polaritonengas schon nachgewiesen worden. Für Polaritonengase stellen Halb-Quantum-Vortices elementare Anregungen dar. Sie tragen weniger Energie als gewöhnliche Quanten-Löcher. Im Wissenschaftsmagazin Science beschreibt nun ein internationales Forscherteam, wie die tatsächliche Beobachtung dieses bisher nur theoretisch bekannten Phänomens gelungen ist. Eigentlich, meinen die Forscher, müssten sich Halb-Quanten-Vortices auch in Helium 3 oder einigen Supraleitern nachweisen lassen – das ist bisher jedoch nicht eindeutig erreicht worden.

Die Exziton-Polaritonen erleichterten den Wissenschaftlern nun die Arbeit, weil sie eine effektive Masse von einer Tausendstel Elektronenmasse besitzen – dadurch kann man sie schon bei relativ hohen Temperaturen (also warmen 10 Kelvin) zur Bose-Einstein-Kondensation bringen, bei der der suprafluide Effekt erst einsetzt. Trotzdem war noch eine Kombination aus Interferometrie, Spektroskopie und Rasterkraftmikroskopie nötig, um die Vortices tatsächlich ausfindig zu machen. Praktische Auswirkungen hat die Arbeit nicht – abgesehen von dem Nachweis, dass erneut ein von der Theorie vorhergesagtes Phänomen auch in der Praxis auftritt. Was das Vertrauen in die Theorie stärkt.