Anwälte sind die neuen Schauspieler

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Ein Dokumentarfilm beleuchtet die Entwicklung von Horst Mahler, Otto Schily und Hans-Christian Ströbele

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In dem Film, "Die Anwälte - eine deutsche Geschichte" beleuchtet Birgit Schulz die Entwicklung von Horst Mahler, Otto Schily und Hans-Christian Ströbele. Auf einem gemeinsamen Foto1, das dem Film als Ausgangspunkt dient, sieht der damals langbärtige Mahler aus wie eine Mischung aus griechischem Philosophen und alttestamentarischem Wüterich, der immergleiche Schily wie eine Mischung aus Dandy und Westernheld und der zeitgemäß frisierte Ströbele wie ein Darsteller aus einer Kommissar-Folge.

Tatsächlich waren die Drei Ende der 1960er bis Mitte der 1970er Jahre beruflich eng verbunden. Durch ihre früher gemeinsamen und später sehr unterschiedlichen Positionen zeigt der Film die Unsinnigkeit der Neo-McCarthyistischen Beziehungsketten, wie sie von den Pasdaran der Politischen Korrektheit gerne geknüpft werden. Und er beweist, wie recht Prefab Sprout hatten, als sie in Moving the River sangen "You surely are a truly gifted kid, but you're only as good as the last great thing you did". Allerdings schließt die Tatsache, dass nur Idioten sich nicht ändern, wie Otto Schily im Film anmerkt, natürlich nicht aus, dass man durch Ändern nachher näher am Idioten stehen kann als vorher.

Horst Mahler - der seine ehemaligen Kollegen im Film eher besser analysiert als umgekehrt - macht in dem Film die eloquenteste Figur, balanciert aber manchmal sehr wackelig auf der Kippe vom Zyniker zum Clown. Von sich selbst sagt er, er hätte nicht das Gefühl, von links nach rechts gegangen zu sein. Seinen Werdegang beleuchtet der Film eher lückenhaft: Abgesehen von Kindheitsfotos, zu denen er erzählt, dass er schon immer Politiker werden wollte und deshalb "das Recht studierte", beginnt sein Lebenslauf erst mit einer Schilderung Schilys, wie er gegen den damaligen Anwalts-Star unerwartet einen Erbrechtsprozess gewann. Nicht eingegangen wird auf Mahlers Zeit bei der "schlagenden" Studentenverbindung Thuringia, seinen Eintritt in die SPD und darauf, wie er zum Anwalts-Star wurde. Näher beleuchtet wird erst wieder sein Engagement für die Kommune 1, den SDS, die APO und spätere Mitglieder der Baader-Meinhof-Gruppe.

Zentrale Punkte sind die Gründung des Sozialistischen Anwaltskollektivs 1969, Mahlers Weg zur RAF, seine rechtsstaatlich höchst fragwürdige Verurteilung als angeblicher Verantwortlicher der Anti-Springer-Krawalle, seine Flucht nach Jordanien (die von Ströbele 1970 als eine Art lange geplante Studienreise erklärt wurde) und seine Haftzeit. Für die besorgte ihm sein damaliger Strafverteidiger Otto Schily 20 Bände Hegel, deren Einfluss Mahler in einem sehr kurzen aber prägnanten Abschnitt des Films schildert. Dieser Einfluss führte auch zur Weigerung, sich im Austausch für die Freilassung des inhaftierten CDU-Politikers Peter Lorenz ausfliegen zu lassen und zu der öffentlichen Standpauke, in der er den RAF-Terroristen die Fehler in ihren theoretischen Grundlagen darlegt. Völlig ausgespart wurde Mahlers Verhältnis zu einem vierten Anwalt: Gerhard Schröder, der ihn 1980 nach Verbüßung von zwei Dritteln der Haftzeit frei bekam und sieben Jahre später vor dem Bundesgerichtshof seine Wiederzulassung durchsetzte.

Ausführlicher wird der Film erst wieder, als sich Mahler in den 1990er Jahren der NPD annähert, deren Verbot er kurz darauf als Prozessbevollmächtigter der Partei mit von Hegel- und Hayek-Zitaten gespickten Schriftsätzen und Verweisen auf V-Männer vor dem Bundesverfassungsgericht verhindert. Als Fallbeispiel dazu führte der Anwalt unter anderem den agent provocateur Peter Urbach und dessen Wirkung bei der "Kriminalisierung der revoltierenden Studenten" von 1968 bis 1970 an. Nach dem gewonnenen Prozess verließ er die NPD wieder und meinte, er sei in die "in jeder Hinsicht bedeutungslose Partei" lediglich deshalb eingetreten, weil sie von einem Verbot bedroht gewesen sei und halte wenig von ihrer Fixierung auf den Parlamentarismus.

Seitdem machte er vor Allem durch Provokationen auf sich aufmerksam, die bei vielen Beobachtern den Eindruck erweckten, Mahler lege es geradezu darauf an, durch Prozesse Medienaufmerksamkeit zu erzeugen. Diesen Eindruck bestätigen Aussagen des Anwalts auch direkt. So stellte er gegen sich selbst Anzeige wegen seiner Äußerungen zur Geschichte des Dritten Reiches und meinte bei der Verfahrenseröffnung zu den Richtern "Ich sitze hier, weil ich hier sitzen will". In einem seit August rechtskräftigen Urteil verhängte das Landgericht München II sechs Jahre Strafhaft wegen Volksverhetzung gegen ihn, die er derzeit in Brandenburg absitzt.

Mahlers ehemaliger Kanzleigenosse Hans-Christian Ströbele leistete bereits einen Teil seiner Referendarszeit in dessen alter Kanzlei ab. Nach seinem zweiten Staatsexamen gründete er 1969 zusammen mit seinem Ex-Chef und Klaus Eschen (der später Verfassungsrichter in Berlin wurde) das Sozialistische Anwaltskollektiv, das (wie es in der Dokumentation heißt) nur Mieter gegen Vermieter und Arbeitnehmer gegen Arbeitgeber verteidigen, niemals aber umgekehrte Auftragskonstellationen annehmen wollte. Auch derjenige unter den drei Kandidaten, der im Film auf Anwaltskollegen den schlechtesten Eindruck macht2 wird eher blitzlichtartig als ausführlich ausgeleuchtet, so dass es nicht schadet, wenn der Zuschauer etwas Hintergrundwissen ins Kino mitbringt.

Unangesprochen bleibt beispielsweise Ströbeles von 1970 bis 1975 währende Mitgliedschaft in der SPD und sein Parteiausschluss, der angeblich deshalb erfolgte, weil der Anwalt seine ihm aus APO-Zeiten bekannten Mandanten von der Baader-Meinhof-Gruppe in einem Brief nicht wie üblich als "Sehr geehrte Damen und Herren", sondern als "Liebe Genossen" ansprach. Auch seine später erfolgte Verurteilung wegen der Weitergabe von Dokumenten (ihm nicht bekannten aber angeblich zur "Schulung, Disziplinierung und Bestrafung" eingesetzten Inhalts) zwischen RAF-Terroristen bleibt Außen vor. Näher eingegangen wird dagegen auf den rechtsstaatlich problematischen Mandatsentzug und das - wie man nun weiß - tatsächlich geschehene Abhören von Verteidigergesprächen in Stuttgart-Stammheim, das der Jurist damals als aus Lagerkoller geborene Verschwörungstheorie der Inhaftierten abtat.

Nach seinem Ausschluss aus der SPD gründete Ströbele die später in den Grünen aufgegangene Berliner Alternative Liste und nach der Auflösung des Sozialistischen Anwaltskollektivs 1979 die Taz mit. Als Bundestagsabgeordneter wurde er unter anderem durch seine Opposition gegen den Kosovokrieg und seine Arbeit im Parlamentarischen Kontrollgremium bekannt, das die Geheimdienste begutachten soll. 2002 erreichte er als erster und bisher einziger Grüner in seinem Wahlkreis Friedrichshain - Kreuzberg - Prenzlauer Berg-Ost ein Direktmandat, das er 2005 mit 43,2 Prozent der Stimmen souverän verteidigte. Bei der Bundestagswahl 2009 konnte Ströbele seinen Stimmanteil trotz prominenter Konkurrenz sogar noch einmal auf 46,8 Prozent der Erststimmen steigern.

Auch bei dem großbürgerlichen Verhältnissen entstammenden dritten dargestellten Anwalt, Otto Schily, bleibt die Adoleszenz weitgehend ausgespart. Abgesehen von ein paar Kindheitserinnerungen beginnt seine Geschichte im Film ebenfalls erst Ende der 1960er Jahre, als er Mahler und Ströbele kennen lernt und Benno Ohnesorgs Vater bei dessen gescheiterter Nebenklage gegen den Todesschützen Karl-Heinz Kurras vertritt. 1971 verteidigt er dann Horst Mahler, 1975 Gudrun Ensslin. Dabei wird er nicht nur abgehört, sondern auch in seiner Arbeit als Strafverteidiger behindert und liefert sich wütende Wortgefechte mit den Stammheimer Richtern. Auch er wird einer der Gründerväter der Grünen und wechselt schließlich (nachdem er auf Parteitagen regelmäßig mit all seinen Anträgen scheitert) zur SPD. 1998 macht ihn Gerhard Schröder zum Innenminister seines rot-grünen Kabinetts, in dem er sich vor allem nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 mit zahlreichen neuen Überwachungsgesetzen und -gesetzesvorschlägen hervortut. Während seiner Amtszeit erlaubt er unter anderem verfassungswidrige Ermittlungen gegen das Magazin Cicero und die Änderung einer Dienstanweisung zum heimlichen Ausspähen von Computern. Dafür zeichnet man ihn gleich zweimal mit dem Big Brother Award aus.

Nicht angesprochen werden im Film Schilys geschäftliche Verwicklungen als "Berater" der Firma Siemens und als Aufsichtsrat der Safe ID Solutions AG, die viel Geld mit der vom Schröder-Innenminister vorangetriebenen Einführung neuer Pässe mit biometrischen Merkmalen verdiente. Mit seiner Weigerung, auch nach Erlass eines entsprechenden Gesetzes alle Nebeneinkünfte offenzulegen, scheiterte Schily zwar im September vor dem Bundesverwaltungsgericht, konnte eine Herausgabe der Informationen aber durch sein vor Kurzem erfolgtes Ausscheiden aus dem Bundestag verhindern.

Doch Die Anwälte zeigt nicht nur die Veränderung, sondern auch Kontinuität - also das, wo sich die drei Anwälte gerade nicht änderten: Bei Ströbele ist das die Fixierung auf Gerechtigkeit, bei Mahler der Widerspruch und bei Schily die Vorstellung vom idealen Staat (der dann auch mit einem sehr umfassenden Gewaltmonopol ausgestattet sein kann). Allerdings nahm Schily den Staat aus der Außenperspektive möglicherweise schärfer wahr als von Innen: Ein noch 2009 gesprochener Satz wie "freie Wissenschaft und freie Kultur sind Lebenselexiere einer freien Gesellschaft" deutet darauf hin, dass ihm (wie vielen anderen Politikern) möglicherweise gar nicht bewusst ist, wie sehr die von ihm angesprochenen Bereiche durch elektronische Überwachung gefährdet sind. Eine andere dieser Inkonsequenzen ist, dass Schily in der Dokumentation zugibt, dass er indirekt den Tod von Katharina Hammerschmidt zu verantworten hat, die sich auf seinen Rat hin den Behörden stellte und deren Krebs im Gefängnis nicht adäquat behandelt wurde. Trotzdem änderte er während seiner Zeit als Innenminister nichts an den Zuständen in deutschen Gefängnissen, in denen sich seit den 1970er Jahren sogar vieles zum Schlimmeren hin entwickelte.

Abgesehen davon macht der Film von Birgit Schulz deutlich, dass Anwälte heute die deutlich interessanteren Berühmtheiten sind als beispielsweise Schauspieler. Nicht zuletzt deshalb, weil man im Abmahnzeitalter praktisch Anwalt sein muss, um etwas halbwegs Interessantes sagen zu dürfen. Für ein Nachfolgeprojekt würden sich zum Beispiel Portraits von Günter von Gravenreuth und Johannes Eisenberg anbieten.