From Oil to Soil

Die Energie- und Klimawochenschau: Vor der Klimakonferenz "Cop15" in Kopenhagen werden die Claims der Verhandlungspartner abgesteckt. Am Klimawandel selbst besteht kein Zweifel mehr

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Dominierten in den letzten Jahren noch die Wissenschaftler die Klimadiskussion, mit oft pedantisch anmutenden Auslassungen über zehntel Grade Temperaturerhöhung, in ihrem Bemühen, mit empirischen Daten den Treibhauseffekt zu belegen, so scheint der Klimawandel tatsächlich noch schneller voranzuschreiten als prognostiziert. Der Klimawandel und seine Auswirkungen auf Mensch und Umwelt sind damit endgültig in der Realpolitik angekommen und Klimapolitik wird zunehmend als übergreifende Metapher der internationalen Beziehungen benutzt. In Kopenhagen wird also weit mehr diskutiert werden, als über das Klima. Vielmehr wird um eine Neudefinition der bisherigen Entwicklungspolitik, Umweltschutz, Hungerbekämpfung und internationale Koalitionen gepokert.

Am Verhandlungstisch sitzen Opportunisten, die vor allem die Transferleistungen zu ihren Gunsten im Blick haben, Pragmatiker, die berücksichtigen, dass es wenig Sinn macht Ziele zu definieren, die nach den bisherigen Erfahrung nicht zu erreichen sind und Überzeugte die die Klimadebatte als Ansatz sehen mehr Gerechtigkeit und Umweltschutz weltweit zu erreichen.

Ungedeckte Schecks

Mehrere Umwelt- und Entwicklungsorganisationen fordern Transferzahlungen und begründen dies mit einer Ethik von Schuld und Sühne. Sie forderten die Bundesregierung auf, Entwicklungsländern konkrete finanzielle Unterstützung anzubieten. Ferdinand Dürr von Campact begründet die Erwartung nach Transferleistungen damit, dass die reichen Industrieländer für fast 75 Prozent der Kohlendioxidemissionen verantwortlich seien, während die armen Länder am stärksten unter dem Klimawandel zu leiden hätten. Der Klimawandel führe in den armen Ländern bereits zu mehr Dürren, Überschwemmungen und Unwetterkatastrophen. Die reichen Industrieländer als Hauptverursacher des Klimawandels müssten den Entwicklungsländern beim Klimaschutz und der Anpassung an den Klimawandel helfen. Thomas Hirsch von Brot für die Welt beziffert die „benötigten Finanzmittel“ auf mindestens sieben Milliarden Euro.

Wahrscheinlich ist damit in erster Linie der Finanzbedarf der Entwicklungsorganisationen selbst gemeint. Denn die EU schätzt die voraussichtlichen Kosten des Klimawandels allein in den Entwicklungshilfeländern mit 100 Mrd. Euro. Bei solchen Summen werden Begehrlichkeiten geweckt. Bei den UN-Verhandlungen in Barcelona letzte Woche legten die afrikanischen Staaten diese für zwei Tage lahm, weil ihnen die Vermeidungsziele zu unkonkret und die gebotenen Transfer-Euros zu wenig erschienen - die EU hatte nur 22 bis 50 Mio. Euro Klimakompensation geboten. Alle anderen Verhandlungsthemen mussten deshalb abgesagt werden – dies als ein Vorgeschmack auf das, was in Kopenhagen passieren kann, wenn bestimmte Erwartungen nicht erfüllt werden. Gastgeber Dänemark machte sich in gewisser Sicht auch erpressbar mit seinem Wunsch, die Klimakonferenz möge ein Erfolg werden.

Der dänische Premierminister Lars Rasmussen zog daher die Notbremse und flog kurzerhand nach Singapur zum APEC-Treffen der pazifischen Anrainerstaaten. Darunter die Schwergewichte in Sachen Emissionsverursachung und ökonomischer Potenz: die USA, China und die expandierenden Industrieregionen Südasiens. Rasmussens pragmatischer Vorschlag, in Kopenhagen kein bindendes Klimaabkommen anzustreben, wurde dankend angenommen. Weil es unrealistisch sei, ein umfassendes, weltweit rechtsverbindliches Abkommen in der verbleibenden kurzen Zeit zustande zu bekommen, soll im Dezember lediglich eine politische Vereinbarung mit Zielen zum Klimachutz verabschiedet werden. Ein neuer bindender Klimaschutzvertrag, als Nachfolger des Kyotoprotokolls, soll dann zu einem "späteren Zeitpunkt" folgen.

Es wird heißer auf der Erde. Klimawandel, Hunger und Migration inbegriffen. Das Deutsche Klimarechenzentrum visualisierte die aktuellen Prognosen des IPCC. Bild: Deutsches Klimarechenzentrum (DKRZ)

Klimaboykott und Klimaerfolge

Es wird also noch weiter am Verhandlungstext gefeilscht werden. Die bisherigen Reduktionsziele decken sich noch nicht mit den wissenschaftlichen Erkenntnissen. Denn nach Erhebungen des IPCC müssten die CO2-Emissionen der Industrieländer bis 2020 um 25 bis 40 Prozent unter den jährlichen Ausstoß von 1990 gedrückt werden. Die bisherigen Angebote zusammengerechnet liegen die nationalen Reduktionsziele aber lediglich bei 16 bis 23 Prozent. Einige Länder wie Russland, Weißrussland und Kroatien wollen sogar eine Steigerung ihres Kohlendioxid-Ausstoßes festschreiben. Ambitionierte Zielvorgaben kamen dagegen von Norwegen und Brasilien, die ihre Reduktionsziele an der IPCC-Marke ausrichten und minus 40 Prozent Treibhausgasemissionen für sich festschreiben wollen.

Statt weiterer Zahlenspiele wies der WWF in seinem Beitrag zu den Vorbereitungen der Klimakonferenz auf konkrete erfolgreiche politische Instrumente hin, die viel zum Klimaschutz beitragen. In einer Studie im internationalen Vergleich hat der WWF die Klimaschutzmaßnahmen der G-20-Staaten untersucht. Das Gebäudesanierungsprogramm und das Erneuerbare-Energien-Gesetz landeten dabei in Sachen Wirksamkeit ganz vorne. Seit der Einführung der Energie-Einsparverordnung (ENEV) habe sich der Energiebedarf im Neubau auf 60 kWh/m2a und bei sanierten Bestandsgebäuden auf 80 kWh/m²a reduziert. Das bringt in der Summe viel, denn in Gebäuden wurde bei uns bisher mehr als ein Viertel des gesamten Energieverbrauchs verheizt. Das Marktanreizprogramm belohnt außerdem noch den Umstieg auf Erneuerbare Energien. Ein Euro an Fördermitteln habe hier 12 Euro an Investitionen angestoßen. Auch das Erneuerbare Energien Gesetz (EEG) erweist sich als sehr wirksam. 2008 habe es bereits zu einer Emissionsreduktion in Deutschland von 7,5 Prozent geführt.

Während im Kyoto-Protokoll die Reduktionsziele nur bei etwa 5 Prozent lagen sind die Ziele heute viel höher. Sie gehen von den besagten 25 bis 40 Prozent Reduktion aus, die EU will 30 Prozent bis 2020 festlegen. Zudem zeigt das Kyoto-Protokoll, wie langwierig klimapolitische Prozesse sein können. 1997 beschlossen, wurde es erst 2005 ratifiziert und in seiner Gültigkeit dann auch schon wieder bis 2012 begrenzt. Dieses Mal sollen vor allem die USA mit ins Boot geholt werden. Doch niemand weiß, wie weit die nationale Klimagesetzgebung der USA bis Dezember sein wird und wie viel die USA als zweitgrößter Emittent zu bindenden politischen Abmachungen in Kopenhagen beisteuern wollen und können.

Erfolgreiche Verhandlungen in Kopenhagen müssen, neben der Einbindung der USA, konkreten Minderungszusagen der Industrienationen, den Beiträgen der Entwicklungsländer und der Finanzierung auch die Kontrolle der Einhaltung der Abmachungen, also die Erfassung der tatsächlichen Emissionen beinhalten.

Unterernährung in Prozent weltweit. Das „Millenniumsziel“, die Zahl der Hungernden bis 2015 zu halbieren, wurde gründlich verfehlt, der Hunger nimmt zu. Bild: Food and Agriculture Organization of the United Nations (FAO)

Hunger in Zeiten des Klimawandels

Im Vorfeld von Kopenhagen weisen Aktivisten wie die Trägerin des Alternativen Nobelpreises Vandana Shiva auf die Rolle der Landwirtschaft im Klimwandel hin. Sie prägte den Slogan „Soil Not Oil“ um auf die weltweiten Auswirkungen der energieintensiven agroindustriellen Landwirtschaft hinzuweisen und prangert den Zusammenhang von Saatgutpatenten, Entrechtung und Hunger an. Sie kritisiert, dass die Gentech-Firmen und globalen Saatgutproduzenten eine vielfältige, lokal verankerte Landwirtschaft mit eigenen, an das lokale Klima angepassten Sorten und damit der Möglichkeit auch auf klimatische Änderungen zu reagieren, verdrängen und statt dessen Abhängigkeiten zu ihrem alleinigen Profit schaffen. In ihrem Kampf gegen Biopatente und für Biodiversität Navdanya baute sie in ihrem Heimatland bis jetzt 46 Saatgutbanken auf und versorgt mit ihnen etwa 200.000 Bauern auf dem Subkontinent.

Auch in Deutschland könnte eine diversifizierte und extensive Landwirtschaft, die auf lokale Sorten und Stoffkreisläufe setzt, ebenfalls einen wichtigen Beitrag zum Klimaschutz leisten. Bioland veröffentlichte dazu sein Positionspapier "Klimaschutz und Biolandbau in Deutschland", wonach Bio-Landbau eine wesentlich bessere Klimabilanz aufweist als die konventionelle Landwirtschaft. Der flächendeckende Bio-Landbau sei auch in Deutschland möglich und aus Sicht des Klimaschutzes dringend notwendig.

Weltweiter Hunger ist eine immer drängendere Misere, die eng mit der Klima- und Energiepolitik zusammenhängt. In Rom fand dazu der Welternährungsgipfel statt. Die Zahl der Hungernden hat ein nie dagewesenes Niveau erreicht, zum ersten Mal ist die Zahl der Menschen, die nicht genug zu essen haben, auf mehr als eine Milliarde gestiegen - und das, obwohl die industrialisierte Landwirtschaft immer produktiver wird und obwohl immer mehr Staaten vor allem in Asien ihre Wirtschaftsleistung stark gesteigert haben.

Shivas These, dass agroindustrielle Strukturen nicht die Lösung, sondern das Problem selbst sind, wird durch diese Entwicklung gestützt. Beim FAO-Treffen verabredete man, zukünftig den Fokus der Hilfe zu verschieben. Statt direkter Hungerhilfe sollen Landwirtschaft und Hilfe zur Selbsthilfe gefördert und langfristige Erzeugerstrukturen gestützt werden. Gründe dafür, dass sich die Ernährungssicherheit in den letzen Jahren so verschlechtert hat, sind vor allem die hohen Lebensmittelpreise, die Konkurrenz der Bioenergieproduktion und deren Verwertung lebensmittelfähiger Getreidesorten und Ernteausfälle nach ausbleibenden Niederschlägen als Folge des Klimawandels.