Das Kosovo bleibt Sorgenkind Europas

Weniger als die Hälfte der Kosovo-Bevölkerung beteiligte sich an den Kommunalwahlen. Grund dafür sind auch die sozialen Probleme

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Eineinhalb Wochen nach den Kommunalwahlen in der Kosovo-Region herrscht in europäischen Medien und Regierungsbüros verschämtes Schweigen. Zum ersten Mal seit der von der NATO unterstützten Sezession (Kosovo: Sprung ins dunkle Ungewisse, Polit-Choreografie auf dem Balkan) im Februar 2008 haben in der ehemaligen südserbischen Provinz unabhängige Wahlen stattgefunden, zuvor waren dafür die UN-Verwaltung UNMIK und die OSZE verantwortlich. Gelungen ist die Premiere nicht. Nur 45 Prozent der rund 1,5 Millionen Wahlberechtigten nahmen an der Abstimmung teil. Der Urnengang war zudem von Unregelmäßigkeiten überschattet und nun folgt auch noch eine Regierungskrise. Während nach außen positives Bild gezeichnet wird, nehmen innerhalb der EU die Sorgen zu.

Die Probleme begannen am Ende des Wahltags. Über Stunden hinweg warteten die Menschen im Kosovo am 16. November auf die Ergebnisse. Doch die Wahlbehörde konnte – nach eigenen Angaben wegen technischer Probleme – kein Ergebnis vorlegen.

Am Tag nach der Wahl dann erklärte sich der ehemalige UCK-Milizionär und amtierende Ministerpräsident Hashim Thaci zum Sieger. Seine Demokratische Partei (PDK) habe 20 der 36 Gemeinden, in denen neue Kommunalvertreter gewählt wurden, gewonnen. Angesichts der geringen Beteiligung wirkten Thacis Stellungnahmen skurril. Die Wahl sei ein Votum für seine gute Regierungsführung im Kosovo gewesen, sagte er. Beobachter sehen das freilich anders. Die verschwindend geringe Wahlbeteiligung sei eine Quittung für die massiven Wirtschaftsprobleme, hieß es in Meldungen von Nachrichtenagenturen, die zugleich auf die Arbeitslosigkeit von rund 40 Prozent verwiesen.

Vor wenigen Tagen dann folgten Berichte über eine drohende Regierungskrise. Die bislang amtierende PDK wolle ihren Koalitionsvertrag mit der Demokratischen Liga (LDK) kündigen. Beide Kräfte waren Mitte des Monats gegeneinander angetreten.

Berlin und Brüssel versprechen wirtschaftliche Zusammenarbeit

Neben den internen Problemen sorgt in der EU vor allem der Konflikt mit Serbien, das die Unabhängigkeit des Kosovos nicht anerkennt, für Kopfzerbrechen. Am Tag nach der Kosovo-Wahl bekräftigte Präsident Boris Tadic bei einem Besuch in Berlin erneut seine ablehnende Position. Belgrad sei jedoch bereit, auf "regulärem Weg“ nach Lösungen des Konfliktes zu suchen, sagte der konservative Politiker. Wenige Tage später weihte Tadic nur wenige Kilometer von der Grenze zum Kosovo entfernt den größten Armeestützpunkt seines Landes ein. Rund eintausend Soldaten werden auf der Militärbasis Jug (Süden) ständig stationiert sein. In der Region hatten bis 2001 kosovo-albanische Milizen ihr Unwesen getrieben. Nach wie vor ist die Sicherheitslage labil. Und Serbien, so scheint es, will nach den Erfahrungen der vergangenen Jahre nicht auf die EU vertrauen.

Dabei unternimmt vor allem die deutsche Regierung alles Denkbare, um die serbische Staatsführung trotz des Kosovo-Problems an sich zu binden. Kurz nachdem der EU-Erweiterungskommissar Olli Rehn Serbiens Außenminister Vuk Jeremic zum Beitrittsgesuch aufforderte, bescheinigte Angela Merkel ihrem serbischen Amtskollegen Tadic in Berlin Erfolge bei der Annäherung an die Union.

Während der Zusammenkunft wurden weitreichende Kooperationsverträge zwischen dem deutschen Energiekonzern RWE und dem staatlichen serbischen Energieunternehmen EPS geschlossen. Der Kontrakt, so hieß es, könne der Beginn einer weiteren Zusammenarbeit auch in anderen Bereichen sein. Angekündigt wurden Machbarkeitsstudien über den Bau von Wasserkraftwerken. Mit derartigen Angeboten soll Serbien offensichtlich aus dem Einfluss Russlands gelöst werden, das den Kurs der Nichtanerkennung des Kosovos aktiv unterstützt.

Moskau beobachtet die Entwicklung gelassen

In Moskau ist man sich dieser außenpolitischen Konkurrenz zwar bewusst, reagiert aber gelassen. Nach Angaben des Abteilungsleiters des Europa-Instituts der Russischen Akademie der Wissenschaften, Pawel Kandel, waren 70 Prozent der jungen Serben noch nie in der EU. Grund dafür ist die restriktive Visa-Politik Brüssels. Zwar verspricht die EU Belgrad seit geraumer Zeit einen Abbau der Reisebarrieren. Geschehen ist bislang aber wenig.

Kandel beschreibt in einem Sammelband über den „Kosovo-Konflikt und internationale Sicherheit“ die Folgen dieser Politik: Nach einer Umfrage des Belgrader Meinungsforschungsinstituts NSRM sei die Zahl der EU-Befürworter in Serbien von 72 Prozent im Jahr 2007 auf 63 Prozent in 2008 gesunken. Diese Zahlen zitiert auch die russische Nachrichtenagentur RIA Nowosti. In seinem Kommentar kommt Mitarbeiter Dmitri Babitsch zu dem Schluss: „Heute erreichen die EU- und Nato-Beamten durch ihre Politik das, was die S-300-Raketen, die Moskau 1999 Serbien versprach, aber nicht lieferte, nicht hätten erreichen können. Wir dürfen auf den Balkan zurückkehren - nicht weil wir so überaus gut wären, sondern weil sich die 'Eurokraten' als absolut schlecht erwiesen haben.“

Informationen aus Brüssel geben der russischen Haltung Recht. Innerhalb der Union wird eine weitaus negativere Bilanz der Demokratieentwicklung in der Kosovo-Region gezogen, als dies in öffentlichen Stellungnahmen der Fall ist. Nach Informationen aus diplomatischen Kreisen wird vor allem die serbische Ablehnung der Gemeinsamen Außen- Sicherheitspolitik (GASP) der EU als Problem gesehen. Die Sezession des Kosovo von Serbien ist ein Kernstück dieser EU-Politik auf dem Balkan.

In einer internen Beratung zählte der Erweiterungsbeauftragte der EU, Lawrence Meredith, unlängst zudem die Probleme des „jüngsten Staates Europas“ auf: Es gebe erhebliche Defizite bei den staatlichen Institutionen, eine schwache Justiz, Geldwäsche und andere Machenschaften der organisierten Kriminalität. Minderheiten würden diskriminiert und bei der Zusammenarbeit mit der EU-Justizmission EULEX hapere es. Der Titel des Papiers, in dem diese Probleme aufgelistet sind, wirkt da fast schon zynisch. Das Dokument heißt "Fortschrittsbericht“.