Die schwierige Kunst des Kopierens

Erkenntnisse aus der Archäologie sollen Kohlenstoff binden und gerodeten Urwaldboden länger fruchtbar machen

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Lange ging man davon aus, dass die Schriften des Francisco de Orellana, der das Amazonas-Tiefland entlang zu Anfang der 1540er Jahre reich mit Dörfern bestückt schilderte, stark übertrieben waren - streiften doch in diesen Gebieten später vorwiegend Jäger, Sammler und Brandrodungsbauern durch den Wald. Erst Tonscherben weckten das Interesse von Archäologen und gaben Hinweise darauf, dass weite Landstriche vor der durch Krankheitserreger ausgelösten demografischen Katastrophe ganz anders besiedelt waren als in den Jahrhunderten darauf.

Doch im Unterschied zu den aus Stein gefertigten Städten und Sakralbauten in Mesoamerika und im Inkareich waren die aus organischem Material hergestellten Bauten der südamerikanischen Tieflandindianer bereits wenige Jahre nach dem Zusammenbruch der Gesellschaften vom Wald überwuchert und hinterließen kaum sichtbare Spuren. Erst, als man gezielt suchte, fand man neben Tonscherben auch ein Erdreich, das sich deutlich vom gelbbraunen Standardboden im Amazonas-Tiefland unterschied - die schwarze Terra Preta.

Terra Preta hat einige verblüffende Eigenschaften: Sie sorgt bei landwirtschaftlicher Nutzung nicht nur für deutlich höhere Erträge, sondern auch dafür, dass eine Plantage auf gerodetem Land nicht nach fünf bis fünfzehn Jahren aufgegeben werden muss, sondern dauerhaft bestehen kann. Maßgeblich zu dieser Eigenschaft bei tragen offenbar großporige Holzkohlepartikel, die 10 bis 40 Prozent dieses Bodens ausmachen. Durch sie kann das Erdreich nicht nur Wasser besser speichern, sondern auch Nährstoffe.

Auch wenn Tonscherben und Terra Preta gemeinsam gefunden werden und die Vorstellung einer mit der Kultur ausgestorbene Technik bei europäischen Indianerromantikern gut ankommt, ist genauso gut möglich, dass die Indianer die Erde nicht selbst anfertigten, sondern ihre Siedlungsplätze nach dem Vorhandensein von Terra Preta wählten. Allerdings wäre eine natürliche Entstehung des Bodens kein grundsätzliches Hindernis, die Substanz nachzumachen.

Rübenwachstum im Vergleich: Links in einer Mischung aus künstlicher Terra Preta und Blumenerde, rechts in bloßer Blumenerde. Foto: Kelpie Wilson. Lizenz: CC-BY 2.0

Versuche, die archäologischen Erkenntnisse wirtschaftlich zu nutzen und "Terra Preta Nova" herzustellen, führten freilich zu sehr unterschiedlichen Ergebnissen, die zeigten, dass die Kunst des Kopierens durchaus eine schwierige sein kann und es offenbar nicht genügt, einfach Holzkohle in den Boden zu mischen. Bereits in den 1980er Jahren hatten erste Experimente offenbart, dass der mit der Holzkohle vermischte Ursprungsboden und die darauf angebauten Pflanzen eine entscheidende Rolle spielen.1 Eine Vergleichsstudie in der Nähe der Amazonasmetropole Manaus kam später zu dem Ergebnis, dass eine Kombination aus Kunstdünger und Holzkohle zwar bessere Ergebnisse bringt, als die ein bloßes Ausbringen von Kunstdünger, dass aber Holzkohle alleine das Pflanzenwachstum nach zwei Ernten sogar hemmen kann.2 Weil es noch keine Langzeitstudien gibt, befürchten Kritiker, dass ein verfrühter Einsatz von unzureichend nachgemachter Terra Preta Böden möglicherweise nicht verbessert, sondern verschlechtert.

Seit einigen Jahren steht aber nicht mehr die Qualitätsverbesserung von Böden im Vordergrund, sondern eine andere Eigenschaft der holzkohlebehandelten Erde: Sie hindert auf relativ billige Weise große Mengen Kohlenstoff daran, sich zu Kohlendioxid zu verbinden, weshalb man darüber nachdenkt, durch "Klimafarming" zwei Fliegen mit einer Klappe zu schlagen. Ob das funktioniert, scheint ebenfalls von den Details abzuhängen: Ein mit Nadelwaldboden durchgeführtes Experiment kam beispielsweise zu dem Ergebnis, dass die Beigabe von Holzkohle nicht nur zum Abbau von Humus, sondern auch zur Freisetzung von vorher im Boden gespeichertem Kohlendioxid führt. 3 Auch Forscher an der Cornell University stellen in einem unlängst in der Fachzeitschrift Environmental Science & Technology veröffentlichten Aufsatz fest, dass es von Faktoren wie der Herstellungsmethode, den Böden, den Klimazonen und der Bebauung abhängt, ob sich die Methode als langfristiger Kohlenstoffspeicher eignet.

Holzkohle entsteht in Schwelbränden, bei denen organische Materialen erhitzt, aber nicht ausreichend mit Sauerstoff versorgt werden. Durch das Verschwelen verwandelt sich ein großer Teil des darin vorhandenen Kohlenstoffs nicht in Kohlendioxid (wie beim Verbrennen oder Verrotten), sondern in jenen porösen Feststoff, den man vom Grillen kennt. Damit die Herstellung möglichst energieeffizient vor sich geht, stellt man "Biochar"-Holzkohle zur Bodenanreicherung nicht auf traditionelle Weise her, sondern in Pyrolyseanlagen, welche die freigesetzte Energie zur Stromerzeugung oder für Fernwärme nutzen. Als Rohstoff wird nicht nur Holz verwendet, sondern auch organischer Abfall - beispielsweise aus Biotonnen oder aus der Viehwirtschaft. Erhitzt man diese Materialien unter Druck, dann entstehen nicht nur Holzkohle und Energie, sondern auch flüssige und gasförmige Brennstoffe, die sich verkaufen lassen.

Die im US-Bundesstaat Georgia ansässige Firma Eprida leitet die ammoniakhaltigen Pyrolysegase über die heiße Holzkohle, wodurch sich an deren Außenseite das über einen langen Zeitraum wirksame Düngemittel Ammoniumbicarbonat bildet. Andere Hersteller experimentieren mit der Zugabe von Azospirillum-Bakterien, die ebenfalls Stickstoff produzieren. Echte Terra Preta enthält dagegen viel düngendes Phosphat, das im Urwaldboden sonst kaum vorkommt. Eine Theorie geht davon aus, dass es aus riesigen Mengen Fischgräten stammt, die von den an Flussläufen siedelnden Indianern über lange Zeiträume hinweg auf den Feldern entsorgt wurden.