Bundesregierung will weiter das heikle Thema des "gezielten Tötens" umschiffen

Auch nach der Antwort des Verteidigungsministeriums auf die Anfrage eines SPD-Abgeordneten bleibt vieles im Vagen und fehlt die Begründung für die beanspruchte Legitimität

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Unmissverständlich hatte Bundesaußenminister Westerwelle Anfang August nach Bekanntwerden der Zusammenarbeit der Bundeswehr mit der US-Task Force 373 erklärt, dass gezielte Tötungen, also die nicht im Gefecht stattfindende Tötung von verdächtigen Extremisten, ganz legal seien. Auch die Bundeswehr erklärte, gezielte Tötungen seien völkerrechtlich legal und für die Isaf-Truppen in Afghanistan und im "Regelwerk der Nato" vorgesehen. Allerdings wurde erklärte, dass man nur an der Erstellung von Listen verdächtiger Extremisten mitarbeite, aber die Bundeswehr, mitsamt Spezialeinheiten, einer Selbstbeschränkung folge und Verdächtige nur ergreife, d. h. die Tötung oder das Ausschalten den US-Truppen oder denen anderer Staaten überlassen (Bundesregierung bleibt ungenau bei gezielten Tötungen).

Dann ging aber der Isaf-Sprecher und deutsche Brigadegeneral Josef Dieter Blotz doch einen Schritt weiter und erklärte, es gehöre auch zu den Aufgaben des Kommandos Spezialkräfte KSK, Taliban gezielt zu jagen und "auszuschalten" (Sonderkommando KSK ist mit gezielten Tötungen in Afghanistan beschäftigt).

Rolf Mützenich, der außenpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion hatte nach der Veröffentlichung der Geheimdokumente des US-Militärs durch Wikileaks am 30. Juli eine parlamentarische Anfrage an die Bundesregierung gestellt und nach den gezielten Tötungen durch die US-Spezialeinheit 373 gefragt. Am 16. August kam ihm eine offizielle Beantwortung seitens des Parlamentarischen Staatssekretärs im Bundesverteidigungsministerium, Thomas Kossendy, zu.

Ganz deutlich wird die Situation auch in diesem Schreiben nicht, das Telepolis vorliegt, schließlich ist die Frage der gezielten Tötungen in Konflikten nicht nur in Deutschland strittig und insgesamt eine rechtliche Grauzone. Kossendy widerspricht aber Brigageneral und erklärt, dass bei der Mitwirkung deutscher Soldaten "ausschließlich die Handlungsempfehlung 'Festnahme' gegeben" werde. Sind deutsche Soldaten an "Zugriffsoperationen" beteiligt, führen diese aus oder haben Verantwortung für diese, dann geschehe dies "ausschließlich mit dem Ziel, die Person festzusetzen". Das ist eindeutig formuliert und bedeutet, auch die KSK schaltet keine mutmaßlichen Extremisten durch gezielte Tötungen aus.

Behauptet wird, dass "in einem nicht-internationalen bewaffneten Konflikt die Regierungstruppen und die sie unterstützenden Truppen feindliche Kämpfer gegebenenfalls auch außerhalb der Teilnahme an konkreten Feindseligkeiten auf der Grundlage des humanitären Völkerrechts gezielt bekämpfen, was auch den Einsatz tödlich wirkender Gewalt einschließen kann." Das Völkerrecht setze aber - nicht näher benannte - Grenzen, heißt es weiter, ob "bestimmte Handlungen dem Völkerrecht entsprechen", könne "nur im Einzelfall bei Kenntnis aller relevanten Fakten von den dazu berufenen Stellen" entschieden werden. Da scheint gut zu sein, dass die in verdeckten Operationen durchgeführten gezielten Tötungen sich einer näheren Einsicht bislang entzogen haben, wobei schon der Umstand, dass Militärs und Geheimdienste entscheiden, wer auf die Tötungsliste kommt, ohne jede juristische Kontrolle stattfindet, so dass es sich um "extralegale Tötungen" handelt.

Die Frage stellt sich auch, ob der von den USA geführte "globale Krieg gegen den Terror" noch als "nicht-internationaler Konflikt" bezeichnet werden kann, schließlich agieren die US-Geheimdienste und Spezialeinheiten auch über Landesgrenzen hinweg und führen unter Billigung der übrigen Isaf-Staaten, gezielte Tötungen mittels Drohnen u.a. in Pakistan aus.

Über die Liste, an deren Zusammenstellung im "Isaf-Targeting-Prozess" zur "Identifizierung und Auswahl potentieller militärischer Ziele" die Bundeswehr nach Auskunft des Staatssekretärs teilnimmt, erfährt man genau das nicht, was erforderlich wäre, um beurteilen zu können, ob sie rechtmäßig erstellt wird. Es heißt lediglich, dass "auf der Grundlage eines festgelegten Kriterienkatalogs Zielpersonen Handlungsempfehlungen zugeordnet werden. Bei Personen, die sich unmittelbar oder dauerhaft an den Feindseligkeiten beteiligen, besteht die Möglichkeit, die Anwendung gezielt tödlich wirkender militärischer Gewalt zu empfehlen".

Zwar erläutert Kossendy ausführlich den Genehmigungsvorgang für die "Einsteuerung deutscher Zielvorgaben" in die "unterschiedichen Wirkungslisten" und die "Empfehlungen", der offenbar über "Target Folders (eine Art Dossier über die Zielperson)" auch durch das Einsatzführungskommando der Bundeswehr und "ministerielle Genehmigung" erfolgt, unklar bleibt aber etwa auch, ob von deutscher Seite eine gezielte Tötung "empfohlen" wird, der dann Kräfte anderer Isaf-Staaten nachgehen, um sich nicht direkt die Hände schmutzig zu machen. Ja, und was ist mit der KSK?

Wenn so viel Geheimniskrämerei schon mit einer Bundeswehr betrieben werden kann, die noch die Wehrpflicht kennt, dann würde dies mit einer Berufsarmee, auf die Verteidigungsminister Guttenberg, wenn auch ein wenig verschleiert, aus ist, vermutlich noch schlimmer.

Ungewisse Rechtsgrundlagen für gezielte Tötungen

Es ist auch nicht so, als gäbe es über die Legitimität der Drohnenangriffe in Pakistan, die ebenfalls als gezielte Tötungen zu verstehen sind, keine Diskussion. So hatte sich im April ein Kongressausschuss damit beschäftigt (Sind gezielte Tötungen mit Drohnen Selbstverteidigung oder Mord?). Strittig war hier allerdings primär, ob die Drohnenangriffe nicht auf Afghanistan bzw. die erklärten Kriegsgebiete beschränkt werden müssten. Schon in einem anderen Ausschuss hatte Rechtsprofessor Kenneth Anderson von der American University angemahnt, für die Drohnenangriffe eine rechtliche Grundlage zu schaffen, auch wenn er sie im Prinzip im Rahmen einer weit ausgedehnten Selbstverteidigung gerechtfertigt erachtet (Verstößt der US-Drohnenkrieg gegen internationales Recht?).

Im Juni hat Philip Alston, der UN-Sonderbeauftragte für extralegale Exekutionen, einen Bericht für den UN-Menschenrechtsrat vorgelegt, indem er auch auf fehlende rechtliche Grundlagen der damals noch vor allem im Blickpunkt stehenden gezielten Tötungen durch Drohnen hinwies. Er fordert, was auch die Bundesregierung und vor allem Verteidigungsminister von Guttenberg schnell tun sollten, dass die Staaten, die gezielte Tötungen vornehmen oder durchführen wollen, die von ihnen in Anspruch genommen rechtlichen Grundlagen öffentlich machen und begründen, warum dies in Übereinstimmung mit internationalem Recht sein soll. Es müsste auch sicher gestellt sein, dass die Tötungen begründet, gelistet und öffentlich geprüft werden können (das legte auch bereits ein US-Militärstratege 2006 in einem Bericht). Alston wendet sich nicht prinzipiell gegen gezielte Tötungen, die in bewaffneten Konflikten dann zugelassen seien, "wenn sie sich gegen Kämpfer oder Zivilisten richten, die direkt Kampf ähnliche Handlungen begehen" (Gezielte Tötungen mit Kampfdrohnen verletzen zunehmend internationales Recht).

Das Genfer Abkommen I ist eigentlich recht deutlich formuliert.

Im Falle eines bewaffneten Konflikts, der keinen internationalen Charakter aufweist und der auf dem Gebiet einer der Hohen Vertragsparteien entsteht, ist jede der am Konflikt beteiligten Parteien gehalten, wenigstens die folgenden Bestimmungen anzuwenden:

1. Personen, die nicht direkt an den Feindseligkeiten teilnehmen, einschließlich der Mitglieder der bewaffneten Streitkräfte, welche die Waffen gestreckt haben, und der Personen, die infolge Krankheit, Verwundung, Gefangennahme oder irgendeiner anderen Ursache außer Kampf gesetzt wurden, sollen unter allen Umständen mit Menschlichkeit behandelt werden …,

Zu diesem Zwecke sind und bleiben in Bezug auf die oben erwähnten Personen jederzeit und jedenorts verboten:
a. Angriffe auf Leib und Leben, namentlich Mord jeglicher Art, Verstümmelung, grausame Behandlung und Folterung; (…)
d. Verurteilungen und Hinrichtungen ohne vorhergehendes Urteil eines ordnungsmäßig bestellten Gerichtes, das die von den zivilisierten Völkern als unerlässlich anerkannten Rechtsgarantien bietet.

Artikel 3

Nach dem Haager Abkommen von 1907 ist im Artikel 22 im Krieg "die meuchlerische Tötung oder Verwundung von Angehörigen des feindlichen Volkes oder Heeres" untersagt. Hier käme es darauf an, wie man meuchlerisch definiert. Ist der Einsatz einer Drohne in Afghanistan oder Pakistan, die von Piloten in den USA gesteuert wird und die damit des Nachts ein Haus mit Raketen zerstören oder direkt eine Person töten, meuchlerisch?

Als Präsident Clinton 1998 Ziele im Sudan und in Afghanistan bombardieren ließ, galt dies vermutlich wegen der eingesetzten Waffe, nämlich von Tomahawk-Raketen, nicht als Versuch einer gezielten Tötung, obgleich der Anschlag aus der Ferne nicht im Rahmen eines erklärten Krieges stattfand. Daher haben diese Anschläge womöglich den von Clinton nicht aufgehobenen Präsidentenerlass von Gerald Ford aus dem Jahr 1975 verletzt, der es jedem, der für die amerikanische Regierung arbeitet, verbot, sich an Mordanschlägen zu beteiligen. Gleich nach dem 11.9. begann die US-Regierung aber mit gezielten Tötungen (Mord im Auftrag des US-Präsidenten). Das machte man heimlich, nach außen suchte man sich nämlich noch gegen die von Israel durchgeführten gezielten Tötungen oder Mordanschlägen abzugrenzen (Lizenz zum Töten auf dem globalen Schlachtfeld).