Bevölkerungsscanner liebäugelt mit Supercomputer

INDECT signalisiert Interesse am polnischen Computer-Cluster "GALERA". Nach der polnischen Polizei wollen auch tschechische "Extremismus-Experten" einen Prototyp des EU-Forschungsprogramms testen

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INDECT (Intelligent information system supporting observation, searching and detection for security of citizens in urban environment) will bis 2013 einen Prototyp einer Überwachungsplattform für die Mitgliedsstaaten entwickeln. Laut EU-Kommission arbeitet INDECT unter anderem an der "Registrierung und den Austausch operativer Daten", dem "Erwerb von Multimedia-Inhalten", der "automatischen Aufdeckung von Bedrohungen" und der "Erkennung von abnormalem Verhalten oder Gewalt". INDECT soll demnach ein "integriertes netzwerkzentriertes System zur Unterstützung der operativen Aktivitäten von Polizisten unter Bereitstellung von Techniken und Instrumenten zur Beobachtung verschiedener beweglicher Objekte" entwerfen.

Neben angeschlossenen Polizeidatenbanken und dem Internet sollen Daten auch von fliegenden Kameras verarbeitet werden (Fliegende Kameras für Europas Polizeien). Die gesammelten Erkenntnisse sollen mittels computergestützter, mathematischer Verfahren auf begangene oder zu erwartende Straftaten analysiert werden. Die EU-Kommission bezeichnet das Verfahren als "intelligente Verarbeitung aller Informationen".

Auch andere polnische Forschungsprojekte integriert

Damit soll INDECT eine Art "Bevölkerungsscanner" entwickeln, der in Echtzeit Bild- und Videodateien, Polizeidatenbanken und das ganze Internet nach "Auffälligkeiten", also Übereinstimmungen, absuchen kann. Um das Problem der Verarbeitung von riesigen Datenmengen in den Griff zu bekommen, haben INDECT-Beteiligte letzte Woche an einem Seminar zu "Next Generation Networks" teilgenommen. Umtriebig wird das Projekt auf IT-Konferenzen vorgestellt, darunter der polnischen IT Giants 2010.

Eine derartige Plattform benötigt nicht nur breitbandige Netze zur Übertragung der Informationen, sondern muss auch eine gigantische Menge an Rechenleistung bevorraten. Kein Wunder also, wenn sich die Projektbeteiligten für den polnischen Supercomputer GALERA interessieren. Zusammen mit vier Mitarbeitern der Merseyside Police aus Liverpool, der technischen Avantgarde der britischen Polizei, hat die an INDECT beteiligte Technische Universität Gdansk ein Treffen mit einer Präsentation zu "GALERA" organisiert.

Auf der deutschen Konferenz "Future Security" hatte der polnische Projektverantwortliche Andrzej Czy?ewski vor offiziellem Projektbeginn 2008 kundgetan, dass INDECT zur Fußball-EM 2012 in Polen getestet werden solle. Czy?ewski ist an der Universität Gdansk beschäftigt, die auch den Supercomputer "GALERA" betreibt. Der Supercomputer ist nicht der einzige Synergieeffekt im INDECT-Vorhaben: So forscht etwa die Krakauer Universität mit "Intelligent Information System for Detection and Recognition" (INSIGMA) an der automatisierten Erkennung von Fahrzeugdaten.

Im Oktober wurde offenkundig, dass bald erste Tests im öffentlichen Raum in Warschau beginnen sollen (Wer nichts getan hat, muss auch nichts befürchten). Nun hat auch die tschechische Polizei Interesse signalisiert. Sieben Beamte haben letzte Woche an einer INDECT-Vorstellung teilgenommen, darunter zwei "Experten” der "Abteilung für Extremismus". Die Polizisten zeigten sich "sehr offen" für eine weitere Zusammenarbeit und wünschen sich die Überlassung von "Prototypen" für Testreihen. Bei dem Stelldichein stand die Gesichtserkennung im Vordergrund. Im Januar soll in Warschau ein nächstes Treffen der entsprechenden Arbeitsgruppe abgehalten werden, an dem die tschechische Polizei wie auch an anderen Arbeitsgruppen wieder teilnehmen will.

Keine Auskunft über widersprüchliche Projektziele

Weiterhin ist unklar, welches Projektziel INDECT verfolgt. Die EU-Kommission verharmlost, es würde "eher ein Prototyp/Prüfstand zur Technologiedemonstration als ein serienreifes Produkt" entwickelt. Demgegenüber wird auf der INDECT-Webseite erklärt, dass 2013 "Industriepartner" eingeladen und "Marktstudien" zur Einführung der entwickelten Technik in den Polizeialltag eingeleitet werden. Ein ebenfalls angekündigter Workshop für eine "intelligence community" kann so verstanden werden, dass auch europäische Nachrichtendienste als Endnutzer anvisiert werden.

Antworten auf die offensichtlichen Widersprüche gibt es bislang nicht. Das Auskunftsverhalten der EU-Kommission gegenüber den (ohnehin mit beschränkten Fragerechten versehenen) EU-Parlamentariern kann getrost als armselig bezeichnet werden. Aber auch die Kontrolle über die nationalen Parlamente funktioniert nicht. In ihrer Antwort auf eine Kleine Anfrage des Bundestagsabgeordneten Andrej Hunko erklärt sich die Bundesregierung ahnungslos und uninteressiert. Die Widersprüche in den Projektzielen möchte man erst gar nicht kommentieren.

Brisant: Die INDECT-Macher sind selbst kürzlich zur Geheimniskrämerei übergegangen und wollen Dokumente, die das Vorhaben in Verruf bringen könnten, erst gar nicht mehr veröffentlichen. Geheimnisvoll wird erklärt, dass auch jene Arbeitsergebnisse unter Verschluss bleiben, welche die "nationale und öffentliche Sicherheit" gefährden könnten. Auch hierzu wollte sich die Bundesregierung nicht verhalten.

Jedoch bringt die Antwort auf die Kleine Anfrage endlich Licht ins Dunkel über die Beteiligung des Bundeskriminalamtes an INDECT. Demnach hat das Amt die Ergebnisse von dessen Projekt Foto-Fahndung vorgestellt. 200 Pendler hatten hierfür von Oktober 2006 bis Ende Januar 2007 in einem "Feldtest" die biometrische Gesichtserkennung als neues "Fahndungshilfsmittel für die Polizei" getestet. Die Probanden hatten zuvor in ihre Teilnahme eingewilligt. Die deutsche Bundesregierung fördert im Programm "Forschung für die zivile Sicherheit" im Rahmen ihrer "High-Tech-Strategie" weitere Projekte zur Videoerkennung, darunter "CaminSens", "APFEL", "ASEV", "MUVIT" und "SINOVE".

Unklar ist, wie die Passanten im öffentlichen Raum in Warschau und Krakau vor den geplanten Testreihen unterrichtet werden oder welche Maßnahmen sie zur Wahrung ihrer Persönlichkeitsrechte ergreifen können. Und wieder wird offenbar, dass über die Projektziele unterschiedliche Auffassungen existieren: Nach Aussage der EU-Kommission vom 8. Juli 2010 würden im INDECT-Projekt "keine echten (nutzbaren) Daten verwendet oder aufgezeichnet" und stattdessen nur "experimentelle Daten zu Versuchszwecken erhoben". Im Gegenteil dürfen demnach alle Daten "nur nach Treu und Glauben für festgelegte Zwecke und mit Einwilligung der betroffenen Person oder auf einer sonstigen legitimen Gesetzesgrundlage" prozessiert werden. Zudem müssten alle Betroffene Auskunft über sie betreffende Daten erhalten und ihre Berichtigung erwirken können. Eine "unabhängige Stelle" soll die die Einhaltung dieser Vorschriften überwachen.

INDECT als Teil des FP7-Forschungsprogramms der Europäischen Union wird von der Kommission verantwortet und finanziert. Ihr obliegt auch eine Evaluierung, die eigentlich für September versprochen war. Jetzt haben sich Europa-Parlamentarier mit einer fraktionsübergreifenden Initiative zu Wort gemeldet. Alexander Alvaro, Carlos Coelho, Stavros Lambrinidis, Judith Sargentini und Rui Tavares rufen zur Unterzeichnung einer Erklärung auf, in der die Offenlegung aller Dokumente sowie ein endlich klar definiertes Forschungsziel gefordert werden.