Deutschland hat schlechte Rezepte für Somalia

Kritik an ATALANTA und der militärischen Unterstützung der somalischen Übergangsregierung

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Kurz bevor im Bundestag am 2.Dezember die Abstimmung über eine Verlängerung des EU-Marineeinsatzes ATALANTA am Horn von Afrika anstand, richtete sich ein ungewöhnlich breites Bündnis von entwicklungspolitischen Gruppen und Menschenrechtsorganisationen mit einem Positionspapier an die Abgeordneten. Die "Verteidigung der maritimen Handelsinteressen" durch ATALANTA geschehe in einer "Art und Weise, die aufgrund der bisherigen Erfahrungen berechtigten Anlass zu der Vermutung gibt, dass [sie] die Gesamtlage noch verschlechtert". Trotzdem verlängerte der Bundestag mit 487 zu 68 Stimmen bei 12 Enthaltungen die Beteiligung der Bundeswehr an der EU-Mission zur Pirateriebekämpfung.

Falsche Strategie der "Internationalisierung"

Das u.a. von Amnesty International und dem Evangelischen Entwicklungsdienst (eed) eingebrachte Positionspapier mit dem Titel: "Somalia: Deutsches Engagement für eine politische Lösung notwendig" übte jedoch auch scharfe Kritik am Vorgehen der "internationalen Gemeinschaft" in Somalia selbst: Die "Ausrüstungs- und Ausbildungsprogramme für bewaffnete Kräfte der [Übergangsregierung] TFG steigern in der derzeitigen Lage in nicht kontrollierbarer Weise das Gewaltpotenzial im Land... Die internationale, aber auch die deutsche Strategie ist dabei vorrangig auf die Unterstützung der TFG ausgerichtet. Dieser Ansatz ignoriert jedoch alle Erfahrungen aus einer 19-jährigen Geschichte von Interventionen und verkennt die Realität in Somalia."

AMISOM als Bodentruppen der "Internationalen Gemeinschaft"?

Hinsichtlich der AMISOM-Truppen, welche Teile der somalischen Hauptstadt Mogadischu kontrollieren und quasi als der Fuß der internationalen Gemeinschaft in der Tür zum somalischen Bürgerkrieg fungieren, heißt es vorsichtig, diese "sollten nachdrücklich dazu angehalten werden, internationales Humanitäres Völkerrecht und die Menschenrechte zu beachten".

Was sich dahinter verbirgt, machte wenige Tage später der humanitäre Nachrichtendienst der UN deutlich. Nahezu täglich würden die AMISOM-Truppen Wohnviertel und den wichtigsten Markt der Stadt mit Mörsergranaten beschießen, so IRIN. Dass sie dabei nicht zwischen zivilen und militärischen Zielen unterscheiden, wie es das humanitäre Völkerrecht vorschreibt, war zuvor schon von Human Rights Watch, dem UNHCR und Amnesty International kritisiert worden. Dies ist v.a. deshalb brisant, weil der Einsatz der AMISOM überwiegend von Deutschland und der EU finanziert wird, die zusätzlich noch weitere Konfliktparteien im somalischen Bürgerkrieg ausrüsten und unterstützen.

Auf eine Anfrage der Linksfraktion im Bundestag musste die Bundesregierung einräumen, dass die Europäische Union bislang 142 Mio. Euro alleine aus dem Europäischen Entwicklungsfonds für den Bürgerkrieg in Somalia bereitgestellt hat. Hinzu kommen bilaterale Beiträge der Mitgliedsstaaten. Ein Großteil der Gelder fließt an die Einheiten der AMISOM, die von der Afrikanischen Union bereitgestellt werden. Diese wird wiederum zu einem Viertel (72 Mio. Euro) von der EU finanziert.

Obwohl der Bundesregierung bekannt ist, dass diese Einheiten häufig keinen Sold erhalten oder diesen erst verspätet ausbezahlt bekommen, schwere Menschenrechtsverletzungen begehen und gegen das Kriegsvölkerrecht verstoßen, übt sie keine Kritik an deren Finanzierung, sondern verweist lediglich darauf, dass der militärische Gegner ebenso rücksichtslos vorginge. Deutschland trägt alleine ein Fünftel der EU-Beiträge zur Unterstützung der AMISOM.

Militärhilfe für Äthiopien

Hinzu kommt die massive Unterstützung des Nachbarstaates Äthiopien durch Deutschland. Äthiopien ist nicht nur für die Eskalation des Bürgerkrieges in Somalia seit dessen Einmarsch im Winter 2006/2007 verantwortlich, sondern geht auch in seinem Inneren äußerst repressiv gegen jegliche Opposition vor. Human Rights Watch belegte kürzlich in dem Bericht Entwicklung ohne Freiheit, wie westliche Entwicklungshilfegelder für die brutale Unterdrückung der eigenen Bevölkerung verwendet werden. Auch das ARD-Magazin FAKT kritisierte die enge Zusammenarbeit der Bundesregierung mit der Militärdiktatur in Äthiopien.

Dennoch gilt Äthiopien – so die Bundesregierung in ihrer Antwort auf die Kleine Anfrage - ihr als "grundsätzlich förderungswürdiger Staat". Dementsprechend erhält es von Deutschland militärische Ausstattungshilfe und wird durch eine "Beratergruppe" der Bundeswehr unterstützt. Seit 1998 wurden 73 höherrangige äthiopische Soldaten an Ausbildungseinrichtungen der Bundeswehr fortgebildet, für 2011 bietet die Bundesregierung dem äthiopischen Militär erstmals ein "bilaterales Kooperationsprogramm" an. Ende Oktober nahm ein deutscher Stabsoffizier an einer von der EU finanzierten Militärübung in der Hauptstadt Addis Abeba teil, in dem ein AU-Einsatz auf einer fiktiven Insel vor Somalia trainiert wurde. Kurz zuvor hatte der EU-Militärausschuss Addis Abeba besucht und Gespräche mit dem äthiopischen Verteidigungsminister geführt.

Die äthiopischen Streitkräfte hatten zuvor, finanziert vom Auswärtigen Amt, fast 1.000 somalische "Polizisten" ausgebildet, über deren anschließenden Verbleib sie keine Angaben machen konnte. Zuletzt gab die Bundesregierung als deren Aufenthaltsort das Gebiet Gedo im Südwesten Somalias an, wo mit Äthiopien verbündete Milizen operieren und es Ende Oktober zu schweren Gefechten kam, vor denen bis zu 60.000 Menschen flohen. Kenia verstärkte daraufhin seine militärische Präsenz an der nahegelegenen Grenze.

In der Antwort auf eine schriftliche Frage der Bundestagsabgeordneten Sevim Dagdelen, Sprecherin der Linksfration für Internationale Beziehungen, konnte Werner Hoyer, Staatssekretär im Auswärtigen Amt, nicht ausschließen, dass die mit Deutscher Hilfe ausgebildeten "Polizisten" an den Gefechten beteiligt waren. Anschließende Recherchen des in Nairobi tätigen Journalisten Marc Engelhardt brachten schließlich ans Licht, dass "die für Somalias Verhältnisse hervorragend ausgebildeten Sicherheitskräfte" hierbei sogar eine entscheidende Rolle gespielt haben. Ziel der mit der Übergangsregierung verbündeten Miliz des Warlords und Parlamentsabgeordneten Barre Aden Hiirale sei es, im Kampf gegen die Aufständischen "eine zweite Front im Süden [zu] eröffnen".

Ein gefährliches Unterfangen angesichts der Lage im Grenzgebiet zu Äthiopien und Kenia, die beide Konfliktparteien im somalischen Bürgerkrieg sind und leicht durch einen (erneuten) Einmarsch eine weitere Eskalation des Bürgerkriegs auslösen könnten. Vielleicht besteht jedoch auch genau darin die Strategie Deutschlands und der Europäischen Union. Die UN Monitoring Group on Somalia hatte zumindest schon im Frühjahr 2010 darauf hingewiesen, dass bis zu 80% der im Ausland ausgebildeten Sicherheitskräfte sich mitsamt Ausrüstung anderen Milizen anschließen oder desertieren würden und es auf absehbare Zeit keine Perspektive gäbe, dass die Übergangsregierung ohne eine massive Intervention von außen ihre Kontrolle über Somalia ausweiten könnte.

Nordic Battlegroup startbereit?

Vor diesem Hintergrund erhält die Teilnahme einer kenianische Eingreiftruppe, die zu einem großen Teil aus Kenianern somalischer Herkunft bestehen soll, an einer Übung der Nordic Battlegroup der EU im September 2010 in Schweden besondere Brisanz.

In ihrer Antwort auf die Kleine Anfrage der Linksfraktion leugnete die Bundesregierung jede Kenntnis über Inhalt der Übung und Sinn der kenianischen Beteiligung. Kenia erhält u.a. Unterstützung aus dem EU-Stabilitätsinstrument, seit es sich bereiterklärt hatte, somalischen Piraterieverdächtigen, die im Rahmen der EU-Mission Atalanta festgenommen wurden, den Prozess zu machen. Kenia beherbergt zudem das ebenfalls von der EU finanzierte "International Peace Support Training Centre", an dem das Personal der AMISOM mit deutscher und britischer Unterstützung ausgebildet und ausgerüstet wird, bevor es in Somalia zum Einsatz kommt. In der kenianischen Hauptstadt befindet sich zudem das Somalia-Büro der USA, über welches die Rekrutierung und Bezahlung der Truppen der somalischen Übergangsregierung koordiniert wird.

Uganda, Ausweitung der Kampfzone

Größter Truppensteller der AMISOM ist jedoch Uganda, das im Juli den Gipfel der Afrikanischen Union ausrichtete und sich für eine massive Ausweitung des AMISOM-Einsatzes auf 20.000 Soldaten stark macht. Kurz zuvor war die ugandische Hauptstadt während des Endspiels der Fußball-WM von Bombenanschlägen erschüttert worden, die somalischen Rebellen zugerechnet werden (Somalische Islamisten weiten ihren Einfluss aus). Die Bundesregierung vermutet zwar dahinter das Interesse, Uganda "zur Beendigung von AMISOM zu zwingen", sieht jedoch "keine Hinweise" für einen Zusammenhang mit der EU-Militärmission EUTM Somalia.

Bei dieser "Ausbildungsmission" werden in Uganda und gemeinsam mit dessen Streitkräften Soldaten für die somalische Übergangsregierung – u.a. im Häuserkampf – ausgebildet. Deutschland beteiligt sich an diesem Einsatz mit bis zu zwanzig Bundeswehrsoldaten und durch die Beteiligung an den gemeinsamen Kosten der Mission.

Dass in diesem Rahmen auch Minderjährige für den anschließenden Kampfeinsatz in Mogadischu ausgebildet werden, kann die Bundesregierung jedoch bis heute nicht ausschließen und verweist auf die Verantwortung der AMISOM, des Somalia-Büros der USA in Nairobi und der somalischen Übergangsregierung. Letzterer jedoch wurde jedoch vom UN-Generalsekretär, zuletzt in seinem Bericht über Kinder und den bewaffneten Konflikten vom 9.11.2010, vorgeworfen, Kindersoldaten zu rekrutieren und mit Milizen zusammenzuarbeiten, die bis zur Hälfte aus Kindersoldaten bestehen. Auch Hinweise, wonach Rekruten für die EUTM in Flüchtlingslagern geworben wurden, ist die Bundesregierung nicht nachgegangen.

Obwohl mittlerweile die ersten knapp 1.000 Soldaten im Rahmen der EUTM ausgebildet wurden, ist nach wie vor unklar, wie diese in die Truppen der Übergangsregierung integriert und bezahlt werden sollen, da diese bisher einen losen Verbund von Milizen darstellen. Als Zwischenlösung wird gegenwärtig in Mogadischu von der Europäischen Union der Bau eines "Reintegrationslagers" ("Al Jazeera Camp") finanziert, in dem die von EU und Bundeswehr ausgebildeten Rekruten zunächst der AMISOM unterstellt werden sollen, da die Truppen der Übergangsregierung zunächst noch eine Befehlskette "etablieren" müssten. Es ist davon auszugehen, so Sevim Dagdelen, dass mit den neuen Soldaten dasselbe geschehen wird, wie mit den von Äthiopien ausgebildeten "Polizisten": "Sie werden mitsamt ihren Waffen verschwinden oder überlaufen, auf jeden Fall aber zu einer Eskalation beitragen. Die Mission EUTM Somalia muss daher ebenso wie ATALANTA auf der Stelle beendet werden."