Im (sic!) Anfang war das Bild

Unbestechlicher Realist, berechneter Tabu-Bruch: Die "Bibel der Schweinigeleien" im Gewand eines Gesangsbuchs.

Wie der Comic-Künstler Robert Crumb unser Bibelverständnis verändert hat

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400 Jahre nach der klassischen King James Bibel gibt es nun die revolutionär neue Version vom Schöpfer von Fritz the Cat. Und auch Playboy-Chef Hugh Hefner (84) mischt ein wenig mit am neuen Bibelverständnis

Die englische Bibel des Jahres 1611 stellt eine editorische Großtat ihrer Zeit dar. Von 1604 bis 1611 arbeiteten 47 Schriftgelehrte an einer umfassenden, offiziellen Version der "Heiligen Schrift". Es war ein intellektuelles Großprojekt, an dem das britische Königreich nicht zuletzt finanziell schwer zu knabbern hatte. Eine endgültige Fassung, nach vielen Querelen, erschien denn auch erst 1619. Das Resultat war ein gedrucktes "Buch", ein technisch revolutionäres Produkt, ähnlich dem iPad unserer Tage, freilich nicht in jenem politischen Sinne revolutionär, wie ihn Martin Luther mit seiner deutschen Bibelübersetzung verfolgt hatte, dass es ein "Volksbuch" gewesen wäre.

Der unhandliche Wälzer kostete ein gutes Jahresgehalt der damaligen Menschen, und war dementsprechend als ein Objekt gedacht, das einzig liturgischen Zwecken der obrigkeitlichen Kirchen- und Staatsräson diente. Auch die Sprache war für jene Zeit bewusst altertümlich und latinisiert gehalten, und sogar das Schriftbild zielte auf erschwerte Lesbarkeit. So dauerte es ein gutes Jahrhundert, bis sich diese Bibel gegenüber älteren, kleineren, billigeren und oft leichter verständlichen Versionen durchsetzte. Schließlich ist sie aber als die entscheidende Variante von "Gottes Wort" akzeptiert worden - vor allem auch in Amerika, wo sie heute noch vielen Fundamental-Christen als "von Gott diktiert" gilt. Selbst die angeblich von einem Engel diktierte Sektenbibel, "Das Buch Mormon" basiert auf der King James Lesart.

Man muss es wohl in diesem Kontext sehen - dem der religiösen Afghanisierung und intellektuellen Infantilisierung der USA - dass Robert Crumb sich an die vierjährige Marathon-Arbeit setzte, um in rund 2000 Bildern das Buch Genesis ("Von den Anfängen") des Alten Testaments als Comic - oder als Graphic Novel - darzustellen. Und zwar nicht in der Absicht, einer weiteren Verblödung der Nation Vorschub zu leisten, sondern, im Gegenteil, in aufklärerischer Absicht.

So steht denn, in einem in kleinen Großbuchstaben, in Kapitälchen, im besten Comic-Stil handgeletterten Vorwort, die für amerikanische Verhältnisse fast häretische, in einem europäischen Kontext dagegen eher überflüssige, weil als selbstverständlich geltende Ansage:

Crumbs aufklärerische Absicht, seine geradezu anthropologische Perspektive auf dieses alte literarische Werk der Menschheitsgeschichte, wird in der deutschen Ausgabe des Carlsen Verlags zumindest tendenziell desavouiert, indem man die hier verwendete kritisch-moderne Textvariante durch eine Version der Luther-Übersetzung aus dem Jahr 1912 ersetzt hat. Damit gerinnt Crumbs "Genesis" zu einer reinen Bibel-Bebilderung, bzw zu einer sektiererischen Wohlfühl-Bibel -- zumindest für den protestantischen Teil der Bevölkerung. (Wenn nicht gar zu einem forcierten Missionierungsversuch der katholischen oder nicht-religiösen Bevölkerungsteile.) So wird die Crumb-Bibel vom deutschen "Bible Belt" wieder eingeholt, und Crumb auf den Kopf gestellt.

Aber Moment mal, werden nun einige Leser und Leserinnen einhaken, selbst wenn sie sich mit Comics gar nicht auskennen. Robert Crumb? Ist das nicht der mit dem "Keep on Truckin'" Poster? Der mit dem langbärtigen "Mister Natural"? Der mit dem "Cheap Thrills" Plattencover von Janis Joplin? Ja, das ist er. Er ist auch der Illustrator zahlloser anderer Buchdeckel und Plattenhüllen und führt eine durchaus respektable Zweitkarriere als eigenständiger Musiker.

Basil Wolverton, der surrealistische Comiczeichner des MAD, zeichnete das Alte Testament noch als - tiefreligiös empfundene - Abfolge von Katastrophen und Kalamitäten.

Und ja, von ihm stammt auch das berühmte Cover mit den Skeletten, die allen möglichen Rock-Größen auf der Bühne zujubeln. "Die musikalischen Einflüsse der Grateful Dead."

Rock'n Roll als Totentanz. Crumb: "Ich mag die Musik von den Grateful Dead eigentlich überhaupt nicht."

Anders als fast alle anderen amerikanischen Comic-Zeichner vor ihm, deren Ruhm meist sekundär, als Anhängsel, als Accessoir, zum Ruhm ihrer Kreationen, daher kommt (also Charles M. Schulz mit den Peanuts oder Carl Barks über "Walt Disney" mit Onkel Dagobert, usw.) trat Crumb von Anfang an als er selber auf.

Mit 19 Jahren wurde er, wie er es in Terry Zwigoffs Dokumentarfilm Crumb darstellt, fast ohne irgendwelche Arbeitsproben vorzuweisen, in einen Job als Zeichner bei einer Glückwunschkartenfirma hereingewunken, und machte dort gleich einmal eine erfolgreiche, wenn auch eher anonyme, Karriere. Eine Karriere, die er bis ans Ende seiner Tage hätte fortführen können, aber es kam ihm das LSD dazwischen und die Hippie-Bewegung in San Francisco, der er sich (äußerlich unangepasst, auch hier der komplette Non-Konformist) anschloss. Mit seinen selbstpublizierten ZAP-Comics traf er gleichwohl den Geschmack der Zeit, bzw. gab er der Zeit einen überzeitlich gültigen Ausdruck. Comics als Kunst. Die gleichen Hefte werden auch heute noch, in x-ter Auflage, zu reichlich überzuckerten Liebhaberpreisen angeboten.

"Nur für intellektuelle Erwachsene". Drogen-Comics der Sixties im Retro-Look der Looney Tunes und frühen MAD-Hefte.

Die Drogenerfahrungen der Sechzigerjahre, die neben ungewöhnlichen mentalen auch viele verzerrte Körpererfahrungen beinhalteten, die letztlich den "straighten" Fieberträumen der Superhelden-Comics nicht unähnlich sind, wurden bei Crumb zu den für ihn charakteristischen trickfilmartigen Verschlingungen, Verdrehungen, Verzerrungen, Verflechtungen gesteigert, wie sie später im Film "Fritz the Cat" zu sehen waren, von dem sich Crumb gleichwohl distanziert hat, weil der Animations-Stil des Films gegenüber seinem eigenen Zeichenstil zu seicht ausfiel, und der Film selbst zu gefällig und ohne rechten Biss war. Hier, bei "Mr Natural", biegen sich die Körper, blähen sich die Füße und die genagelten Schuhe als Waffen des Arschtritts. Und die sexuell ineinander verknoteten Körper in der "Bible of Filth", der "Bibel der Schweinigeleien" - im schönsten Gesangsbuch-Einband, mit Lesebändchen - beginnen ungefähr dort, wo Tomi Ungerer's "Masturbinen" bzw. sein "Fornicon" aufhörten.

Verzerrte Körpererfahrungen, genagelte Arschtritte

So stilistisch verschieden Ungerer, Crumb und beispielsweise Manfred Deix auch sein mögen, so zeichnet sie doch gleichermaßen ihr hohes zeichnerisches Können und ihre Lust an üppiger Komik aus. Ungerers "Rotkäppchen"-Illustration - im völlig zerstörten Zimmer der Großmutter liegt der Wolf auf dem Rücken, während die nackte Großmutter, eine zahnlose Alte mit Hängebrüsten, ihn gewaltsam niederhält und niederreitet, und während zugleich Rotkäppchen mit wissendem Grienen durch die Eingangstür hereinspaziert - hält jedem Vergleich mit Crumbs drastischen Sexphantasien statt. Warum das eine als Kunst, das andere als Schmuddelkram gelten soll, ist nicht einzusehen. Ich vermute, dass Ungerers frivole Zeichnungen letztlich auf das Niveau von Altherrenwitzen rekurrieren - frech, aber belanglos - während Deix bei aller Boshaftigkeit doch auch eine versöhnliche Note anschlägt. Crumb ist selbst in seinen phantastischsten Momenten unbestechlicher Realist. Vergleiche mit Honoré Daumier, mit Goya, mit Otto Dix oder George Grosz - dem Berlin Grosz, nicht dem amerikanischen Grosz der "1001 Afternoons in New York" - sind durchaus zulässig.

Mit dem Gesangsbuch-Einband folgt Crumb dem Vorbild Brechts, der seine unfromme Gedichtsammlung, die "Hauspostille", ähnlich gedruckt sehen wollte. DAS war in den Zwanzigerjahren in Deutschland nicht machbar, und auch in Amerika wäre dieses "Manual of Impiety" ("Gebetsbuch der Unfrömmigkeit") in dieser Form nicht gedruckt worden. So erschien "Bible of Filth" in Frankreich. Ich halte den puren Schock-Wert des Buches für vernachlässigenswert, aber als Comic-Klassiker rangiert es für mich auf der Ebene von Milt Gross' "He Done Her Wrong" (1930).

Ebenfalls in Frankreich ist eine Gesamtausgabe des bisherigen Crumb-Oeuvres in 17 Bänden erschienen, darunter "Mes Femmes", ein vergnüglicher Einblick in Crumbs häusliche und familiäre Idylle nach dem Umzug nach Frankreich. In Deutschland erschienen bei Zweitausendeins seine Sketch Books, jeweils als Edel-Ausgaben im amerikanischen Original, mit eingelegter Übersetzungsbeilage von Harry Rowohlt, KALOO KALAY. (JUPPHEIDI, JUPPHEIDA.)

Die Liste seiner Werke ist lang, und umfasst Bearbeitungen von Kafka, von Harvey Pekar (einem Straßen-Poeten aus Cleveland, dessen Jules Feiffer-ähnliche Scripts - "American Splendor" - einzig durch Crumbs Zeichnungen aufgewertet werden; wenn andere Comic-Künstler sich dran machen, ist Pekar gleich nur noch die Hälfte wert.) Crumb fertigte auch zahlreiche Illustrationen zu Texten von Charles Bukowski an, darunter ein Buch aus dem Nachlass, das ich nur auf Spanisch kenne, dessen amerikanisches Original mir hingegen unbekannt ist: "El capitán salió a comer y los marineros tomaron el barco" [The Captain Is Out to Lunch and the Sailors Have Taken Over the Ship]. "There's No Business [Like Show Business]" ist eine kleine, fast unfertige Bukowski-Geschichte , die erst durch Crumbs Zeichnungen richtig abgerundet und aufgewertet wird.

Für Bukowski erwies sich Crumb als kongenialer Illustrator

Was Bukowski und Crumb verband, erkennt man leicht aus Terry Zwigoffs wunderbarem Dokumentarfilm über Crumb aus dem Jahr 1994 (dem Todesjahr Bukowskis.) Bukowski stammte, ähnlich wie Crumb, aus einer komplett zerrütteten Familie. Crumbs ältere Brüder, Charles und Maxon, als Zeichner und Texter ähnlich hochtalentiert wie der jüngere Robert, waren an den Umständen dieser Familie (wie bei Bukowski, einer lähmend-dominanten Vaterfigur) zerschellt. Crumbs Bruder, Charles, beging nach Beendigung der Filmarbeiten Selbstmord. Bukowski gelang es, nach rund 40 Jahren fortgeschrittener Selbstzerstörung durch Alkohol, Schlägereien und ein Leben in der Gosse, endlich doch, als Schriftsteller Fuß zu fassen und eine ungeheure Produktivität zu entwickeln. Crumb schaffte es als einziger seiner Familie seine Dämonen zeichnerisch zu bannen und eine auch finanziell höchst erfolgreiche Künstlerkarriere zu entwickeln. In gewisser Weise kann man Crumbs zeichnerische Unterstützung Charles Bukowskis als eine Art Dienst an einem noch älteren Bruder (als seinem eigenen gleichnamigen Bruder Charles) betrachten, dem er in jedem Fall nicht mehr helfen konnte.

In Zwigoffs Film, der in neunjähriger Arbeit mit geringsten Mitteln entstand, treten Crumbs beide Schwestern, anders als die Brüder, nicht auf. Trotzdem ist es unvorstellbar, dass das künstlerische Talent in dieser Familie nur den Söhnen vorbehalten geblieben sein sollte. Ich stelle mir die künstlerischen Produktionen der Schwestern vor in der Art der Zeichnungen von Wanda Gág der amerikanischen Kinderbuchillustratorin, bekannt durch ihre Bebilderungen der Grimms Märchen und ihr Buch "Millions of Cats". Indessen, die Schwestern haben sich komplett unsichtbar gemacht. Was immer ihre Geschichte ist, man wird es entweder nie oder vielleicht erst in einigen Jahrzehnten erfahren.

Robert Crumb hat sich aber in den letzten 20 Jahren vom "Underground"-Zeichner, als den ihn Wikipedia und alle anderen amerikanischen Medien nach wie vor titulieren, weitgehend emanzipiert, und eben nirgends wo mehr so als in seinem Mega-Werk, "Genesis".

Ich denke, es ist, vor dem Hintergrund seiner übrigen Produktion, klar zu erkennen, dass Crumb nicht von einem religiösen Eiferertum erfüllt war, als er sich daran machte, die ersten 50 Kapitel des Alten Testaments zu illustrieren. Andererseits wollte er sich aber auch nicht über den Text lustig machen.

Tatsache ist, dass der biblische Text, wenn man ihn in seiner ganzen Trockenheit vor sich hat, als denkbar ungeeignet für eine durchgängige Illustrierung erscheint. Betrachtet man sich Crumbs Zeichnungen erst nach einem solchen Text-Studium - und sei es auch nur nach einigen wenigen Minuten - ist man zunächst verblüfft über die bildliche Vorstellungskraft, die der Zeichner hier an den Tag legt. Trotzdem hatte auch er Schwierigkeiten mit dem Text. Er bediente sich bei der King James Bibel, die in England nach wie vor unter königlichem Copyright steht, und ebenso, mit Erlaubnis, an einer neuen Übersetzung der fünf Bücher Mose von Robert Alter, die es, um es nur gleich zu sagen, komplett mit einem Kommentar-Anhang, auch in Deutschland bei Amazon zu kaufen gibt. Zusätzlich, wie Crumb im Vorwort schreibt, "wagte ich mich ein wenig an eine eigene Interpretation, wenn ich dachte, dass die Wörter etwas klarer gemacht werden könnten, aber ich hielt mich zurück, allzu oft einer solchen "Kreativität" nachzugeben, und manchmal ließ ich das Ganze in seiner verworrenen Unklarheit stehen, statt an solch einem ehrwürdigen Text herumzuwerkeln."

Entstanden ist also ein Comic-Kunstwerk von Cecille-B.-DeMille-Dimensionen, ein Bibel-Schinken, der jeden Hollywood-Film der Charlton-Heston-Ära glatt in den Schatten stellt. Natürlich tritt Gott selber als eine Art superhaariger Alter, als ein wahrer Charlton Heston auf, und ich las auf einer jüdischen Webseite, wie sich eine junge amerikanische Jüdin darüber ausließ, dass sie sich nun ihr Leben lang gegen das Bild Gottes als eines weißhaarigen alten Mannes zur Wehr gesetzt habe. Und nun bei Crumb - das!

Josef in Ägypten, besser als bei Thomas Mann

Andererseits habe ich biblische Illustrationen gesehen - etwa bei Neal Adams - deren glatte Hollywood-Gesichter dem Auge buchstäblich nichts bieten, an dem es sich festsaugen könnte, sie haben die Leere und Ausdruckslosigkeit eines japanischen Mangas, sie laden ein zu einem "Lesen" in Sekundenschnelle. Crumb dagegen zeichnet seine Gestalten mit einem Rotring-Stift, ohne glatte oder durchgängige Linien, auf keinem Bild, selbst nach 200 Seiten, zeigt sich irgendeine Spur von Ermüdung, des Hudelns und Eilens. Crumb zeichnet, eine Meisterleistung eigener Art, die unzähligen Genealogien in Dutzenden von stets wandelbaren Portrait-Galerien, es treten uns Menschen und Tiere entgegen, die nie einfach verdoppelt oder verdreifacht sind, sondern jedes ist einzeln als Individuum porträtiert, manche altern von einem Panel zum nächsten und bleiben dennoch als sie selbst erkennbar. Die Geschichte von Joseph in Ägypten ist womöglich eindringlicher dargestellt als selbst bei Thomas Mann.

Natürlich hat sich Crumb bei Film-Kadern (und vermutlich genauso wie Carl Barks bei "National Geographic") bedient. Ein Freund, berichtet Crumb, habe laut aufgelacht, als er seine Anfangszeichnungen gesehen habe. Die biblischen Gestalten seien quasi in Bademänteln und vor Freizeit-Zelten wie aus einem Sportwaren-Geschäft gestanden. Crumb studierte Bauwerke, Städtebilder, "biblische Szenen" aus Nordafrika, aus Gesellschaften, die sich seit Jahrtausenden kaum verändert haben.

Endlich am Berg Ararat gelandet, Noahs Familie und die Tiere verlassen die Arche. Eulen wie bei Goya, Gorillas wie bei Carl Barks.

Dennoch bleibt natürlich die Bildsprache, die Crumb sich in rund 60 Jahren pausenlosen Zeichnens erworben hat, erkennbar erhalten. Wenn Kain seinen Bruder Abel erschlägt, klebt am Stein zähflüssiges Comic-Blut, wenn Noah mit seiner Familie und den Tieren endlich wieder aus der Arche freikommt, sehen wir ein Panorama, das teilweise an ähnliche Szenen bei Carl Barks erinnert. Eine übermäßig naturalistische Darstellung würde hier nur stören.

Kain erschlägt Abel, dickflüssiges Comic-Blut klebt am Stein.

Wenn die Engel oder die Boten Gottes Abraham mitteilen, dass seine Frau, Sarah, noch einmal schwanger werden wird (es handelt sich hier um den ersten Witz der Menschheitsgeschichte, der tatsächlich aufgeschrieben wurde), muss sie lachen. "Mein Mann ist schon so alt. Und ich soll noch mal einen Orgasmus erleben?" Crumb zeichnet diesen Moment mit dezenter Zurückhaltung, aber das Lächeln auf Sarahs Gesicht ist mindestens so vielsagend oder geheimnisvoll wie das der Mona Lisa.

Sex-Szene im Alten Testament: Eindeutig, aber zurückhaltend, zärtlich. Crumb wird im Alter weise.

Auch seine Sex-Szenen sind von Crumbscher Eindeutigkeit, aber zugleich ohne übertriebene Spritzigkeit. Man versteht, warum auf dem Titel des Buches - der eher einem Fünfzigerjahre-Filmplakat ähnelt - die Geschichte als nicht ganz jugendfrei deklariert wird. Nein, dies ist keine Kinderbibel. Der amerikanische Comic, der sich in die Fangemeinden aus Dungeons-&-Dragons-Spielern geflüchtet hat, dessen Leserschaft üblicherweise von sich behauptet: "Comics? Mann, ich bin 17!" - hat sich hier als Erwachsenenmedium emanzipiert. Und, so wider den Zeitgeist Crumb auch zu wettern beliebt, hat das Buch in seiner großformatigen Buch-Gestalt sich zugleich vom Buch emanzipiert. Es ist, wie ich meine, der erste iPad Comic, der danach verlangt, Panel für Panel, angeklickt, aufgemacht, studiert zu werden, mit dem ganzen kritischen Apparat an Fußnoten und Kommentaren im anklickbaren Handgepäck.

Der älteste Witz der Menschheitsgeschichte. "Ich soll noch mal einen Orgasmus erleben? Dabei ist mein Mann doch schon so alt."

Und auch dies ist interessant. Crumbs Hebräer sehen aus wie Juden oder wie Araber, jedenfalls nicht wie Hollywood-Schauspieler. Die biblischen Gestalten, die hier angeblich Hunderte von Jahren alt sind, sehen wirklich uralt aus. Sie sind kahl, bärtig, von gedrungener Gestalt, sie liegen ihren Frauen auf, sie werden von ihren Töchtern genommen, SEX ist ebenso wie die Schafzucht allgegenwärtig. Man möchte meinen, Crumb hätte seinen amerikanischen Zeitgenossen zurufen wollen: "Ihr nennt euch bibeltreu? Schaut euch diesen Text doch einmal richtig an." Tatsächlich ist es wunderbar - ich meine, nicht unbedingt für den studierten Theologen, sondern für normale Alltagsmenschen - auf diesem Wege ein Bild der Lebensweise und Gedankenwelt von Menschen vor mehreren Tausend Jahren geliefert zu bekommen. Crumbs illustrierte (Teil-)Bibel ist ein Werk der Phantasie - der informierten Phantasie, der bildlichen Vorstellungskraft - und als Kunstwerk für jeden Menschen interessant. Vermutlich wird es auch gläubige Menschen ansprechen, obwohl ich den Verdacht hege, dass es gerade in Amerika Reaktionen erleben wird wie Salman Rushdies "Satanische Verse."

Der Sex, den uralte Männer hier (in diesem biblischen Text) mit zeugungsfähigen, oft beträchtlich jüngeren Frauen pflegen, um dann stolz ihre Söhne in den Armen zu halten, wird dabei wohl gerade in Amerika den besonderen Zorn nicht nur der bibeltreuen Fundis erregen. Ausgerechnet in der den nationalen Diskurs anführenden Leit-Postille New York Times ließ sich unlängst ein als Opinionator auftretender (also als brachial eine Kampfmeinung äußernder) Kolumnist vernehmen, wie widerlich er den 84jährigen Playboy-Chef Hugh Hefner fände, der sich soeben mit der 24jährigen Crystal Harris verlobt hatte. Die öffentliche Beschimpfung des Paares, die buchstäblich mit einem mittelalterlichen an-den-Pranger-stellen vergleichbar war, ließ dabei auf nichts Gutes in der Zukunft oder in der Gegenwart hoffen.

Ob Amerika sich bei jedem Krieg auch mit den geistigen Krankheiten der Gesellschaft infiziert, mit der es gerade Krieg führt? Eben wurde in Pennsylvania der 13-jährige Jordan Brown lebenslänglich, ohne Möglichkeit der Berufung, ins Gefängnis gesteckt. Er hatte als Elfjähriger die schwangere Verlobte seines Vaters erschossen. Natürlich, ein Horror. Aber es muss für eine solche Rechtsprechung wohl ein Mischwort aus Amerika und Afghanistan geben. Ob ein Werk wie Crumbs "Genesis" hier noch Aufklärung bewirken kann? Oder ob es nicht eher zu einer Bücherverbrennung anregt? Ich jedenfalls meine, es gehört in jedes Haus, in jede Bibliothek, es ist ein Meisterwerk der Comic-Literatur.

Im (sic!) Anfang war das Bild (12 Bilder)

Basil Wolverton, der surrealistische Comiczeichner des MAD, zeichnete das Alte Testament noch als - tiefreligiös empfundene - Abfolge von Katastrophen und Kalamitäten.

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