Was dem Humanen am fremdesten ist

Interview mit Achim Szepanski

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Der Musiker, Labelbesitzer, postmoderne Theoretiker, Herausgeber bei Suhrkamp, Schriftsteller und Deleuze/Guattari-Enthusiast Achim Szepanski veröffentlicht in diesen Tagen drei voluminöse Romane. Aber über was? Telepolis lauschte dem ambitionierten Autoren und gab ein paar Stichworte zum autopoietischen Monolog.

Herr Szepanski, um was geht es in Ihren drei Romanen?

Achim Szepanski:: Zunächst ging es in den drei Romanen darum, das Genre noch einmal auf seine Tauglichkeit für die Gegenwartsdiagnose zu testen. Anschließend an den französischen Kunsttheoretiker Etienne Souriau handelt es sich beim zeitgenössischen Roman im besten Falle um ein heterogenes Universum, in dem Handlungen, Dinge und Figuren in Gefügen spielen, deren fiktionale Welten und Relationen zu erfinden sind.

Dabei vermeidet der Text eine vordergründige Aktualisierung des Virtuellen, vielmehr handelt er mit Möglichkeiten, die sich seltsam und fremd ausdrücken, fremde Sprachen in der Sprache. Und zwar im Sinne der Diegese, die alles einschließt, was man im Roman als dargestellt betrachtet, und was zur Wirklichkeit, die er in seiner sinnhaften Dimension voraussetzt, auch tatsächlich gehört.

Will heißen, der Roman taucht auf seine eigene Art in die Wirklichkeit ein. Fiction bleibt nicht ohne Folgen auf Reales; d.h. die Texte sind fiktiv, aber real, denn das Verständnis, das man mit der Fiktion macht, hat konkrete Folgen für die Art und Weise, wie man eben Welten wahrnimmt.

"Abstrakte Maschine unter Ausschluss der Eins"

In Falle meiner Trilogie vielleicht derart, dass raum-zeitliche Assemblagen konstruiert werden, die sich mit den Dispositiven der Macht, den ökonomischen Strategien der Finanzkapitale und deren Risikokalkulation sowie De- und Subjektivierungsprozessen der Protagonisten beschäftigen; es sind gleichzeitig auch sogenannte nonlinar urban dynamics in Frankfurt und deren Verdichtungen, das n-dimensionale Gewebe bzw. die abstrakte Maschine unter Ausschluss der Eins, unter der Bedingung der Subtraktion, die aus jeder Handlung herausrechnet, was sich eben als Einheit präsentieren will. Frankfurt im Roman als Attraktorraum und als Zeitspanne, so wie es nicht war, nicht ist und nicht sein wird.

Das ist jenem Hyperrealismus verpflichtet, der die Figuren auf bestimmten Aufzeichnungsflächen (Saal 6) - Handelsräume einer fiktiven Großbank versus Stadtwald, in dem sich reiche Freizeitobdachlose, Politaktivisten und das ungleiche, an Beckett erinnernde Paar eines gescheiterten Philosophen und Starkochs treffen, die dort ihre Dialoge auswälzen -, in gewisser Weise den verzeitlichten Verfahren der Ironisierung bzw. des Humors aussetzt.

" Wir haben es mit Netzwerken von wahrscheinlichen Maschinen zu tun"

Die Vektoren der Stadt müssen permanent gebündelt werden, wenn Finanzsysteme einer Logik der Gläubiger-Schuldner-Relation folgen. Wenn produktives Kapital heute vor allem Finanzkapital ist, das seine Axiomatiken in Realtime anwendet, dann müssen die operativen Aussagen trotz der permanenten stochastischen Risikokalkulation davon absehen, welche konkreten Folgen sie haben, denn selbst komplex vernetzte Supercomputer müssten unendliche Datenmengen mit unendlich viele Kursverläufen berechnen, um ökonomische Instabilitäten zu stabilisieren, während das einzelne Kapital ja immer nur je spezifischen Bewegungen folgt.

Die Märkte handeln also mit gegenwärtigen Erwartungen an zukünftige Gewinne, bewerten eine kontingente Zukunft danach, wie der Markt selbst sie gegenwärtig bewertet. Wir haben es sozusagen mit Netzwerken von wahrscheinlichen Maschinen zu tun, die unberechenbare Effekte produzieren, und zwar nicht im negativen Sinne des Nichtfunktionierens oder der Störung, sondern im positiven Sinne der Hervorbringung von Wirkungen, die auch mit komplexesten kybernetischen Feedbacksystemen nicht zu 100% berechenbar sind, womit je der Toleranzgrad zu bestimmen ist, in welchem Maschinen "abzuschalten" sind.

"Soziales Kontrolldispositiv besonderer Güte"

Um es mit Elena Esposito zu sagen, alles ist anders, als man es im Augenblick voraussehen kann, gerade weil die kontingente Zukunft darauf reagiert, wie man versucht, die Zukunft zu kalkulieren. Die Schuldenproblematik beschränkt sich aber nicht darauf, dass Banken qua Schulden Geld generieren, vielmehr ergibt sich mit den sogenannten Debths, neben den scheinbar unvermeidbaren Staatsschulden, ein soziales Kontrolldispositiv besonderer Güte.

Der Konsumentenkredit erscheint als ein Versprechen auf Reichtum, das einfordert, dass die Kreditnehmer in Eigenverantwortung ihre Zeit regulieren oder managen. Und man denke an die Vielzahl von technischen Dispositiven (TV, Games, Handys, etc.), deren Funktion darin besteht, Individuen zu desubjektivieren, d.h. man konstruiert Individuen als Stichproben unter Einbeziehung in die Berechnung von Quoten, und trotz des Internets gerinnen die Akteure zu einer obskuren Absorptionskraft, und werden möglicherweise auch süchtig, ohne dass allerdings ihre Autonomie wesentlich gefährdet scheint.

Im Gegenteil, Bodysculptering und Tätowierung inhärieren in den Romanen neue Körperpolitiken, Psychofitness wird als affektive Selbststeigerung der Angestellten in den Marketingagenturen oder der Broker in den Banken installiert, unter der Voraussetzung, dass man auf die Angebote der Enhancement-Industrien zugreifen möge, um das eigene Egodesign im Sog der Fake-Rhetorik der medialen Dispositive zu befeuern und zu überhitzen, bis hin zum ritalininduzierten psychischen Kollaps und Infarkt.

"Ubiquitäre Bindung durch privates Vertragsrecht"

Es ist nicht abwegig, dass die Linien, die ständig abbrechen (und wieder aufbrechen), es den Protagonisten dennoch erlauben, zu fliehen, bis sie sich erneut die Köpfe anstoßen. Das geschieht im Roman Pole Position durch die Einführung der chemisch-elektronischen Bilder der Sexindustrie, die permanent eine sexuelle Stimulation evozieren beziehungsweise ein Kreislauf der emotionalen Kalkulation in Gang setzen, der anstelle des Verliebten des Partners bedarf und des Realen eben nicht mehr bedarf.

Der Roman Verliebt ins Gelingen inszeniert Castings-Dispositive, deren strategische Funktion darin besteht, die Kandidaten in eine mediale Schleuse hineinzutreiben, um den vermeintlich inneren Drang der Protagonisten hin zum Promiderivat zu bahnen, immer vorausgesetzt, dass da ein glühendes Bekenntnis des Kandidaten vorliegt, das ihn zugleich als Produkt einer Selbstinszenierung durch eine Medienmaschinerie ausweist.

Dispositive zirkulieren in Netzwerken, deren Funktion darin besteht, ständig neue Nuancierungen/Differenzen hervorzubringen, seien sie sprachlich oder nichtsprachlich, die allerdings alle in bezug auf die Norm gestellt sind. Das wahre Gesetz der politischen Ökonomie offenbart die (nie gelingende?) Kalkulation der statistischen Abweichung, des Zufalls bzw. Deformierung der Form, und zwar als Wirkung der Konkurrenz auf dem globalen Markt, insofern diese eben zu bestimmten Strategien zwingt.

"Diskursfragmente"

Die Logik des Strömens und Fließens, die Beschleunigung der Zirkulation, innerhalb derer jede Abweichung gemessen und annulliert werden, bringt, zumindest in den Romanen, auch äußerst produktive, plastische Protagonisten hervor, denen es ein Vergnügen ist, die Relikte einer neokapitalistischen Feudalität bzw. die ubiquitäre Bindung durch privates Vertragsrecht, die der Logik des Kredits koexistiert, abzuwerfen, weil sie das Risiko eingehen, aber eben ganz anders als dies die Risikokalkulation unter der Diskurshoheit der Stochastik bzw. der Computersimulation von Turbulenz- und Schwarmforschung vorsieht, welche heute der Motor der kybernetischen Hypothese ist.

Für mich persönlich war es wichtig, dass Diskursfragemente zu Deleuze/Guattari, Marx und David Foster Wallace die sowieso gebrochenen und polyphonen Erzählungen ergänzen.

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