San Romero de America und die Heiligsprechung der Armen

Ein Aufruf zum 1. Mai soll die Kirchen der Reichen zur Umkehr hinführen: basiskirchlich von unten, ökumenisch und international vernetzt

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Am 28. April 2011 wird die Öffentlichkeit mit einem erneuten Zeichen des kirchlichen Aufbruchs und Widerspruchs konfrontiert. Doch diesmal ist alles anders als sonst. Die basiskirchliche Initiative ist im deutschsprachigen Raum entstanden, doch sie wird getragen von einer internationalen Gemeinschaft aus vielen Ländern. Es handelt sich um keine Initiative von Professoren, doch berühmte Theologinnen und Theologen haben sich nachträglich mit eingereiht in die Gemeinde der Unterzeichnenden. Der Reformkatholizismus ist federführend dabei, doch er weiß sich an der Seite von vielen Geschwistern aus der Ökumene aller Kirchen. Nicht die seit Jahrzehnten von der Amtskirche ignorierten klassischen Reformanliegen stehen im Mittelpunkt, sondern das Thema Gerechtigkeit. Es geht um einen katholischen Märtyrerbischof, doch er wird weltweit verehrt von Christinnen und Christen aus allen Konfessionen, und seine Seligpreisung erfolgt nicht - begleitet von horrenden Kosten und Medienspektakeln - in der "Heiligen Stadt". Es geht durchaus auch um Rom, doch von der Hierarchie wird hier nichts erwartet und auch kein Segen eingefordert.

Erzbischof Oscar Romero, ermordet am 24. März 1980

Denn der Ökumenische Aufruf, den wir hier vorstellen, gedenkt der bereits erfolgten "Heiligsprechung des Märtyrers San Oscar Romero durch die Armen Lateinamerikas und durch Freundinnen und Freunde Jesu auf dem ganzen Erdkreis". Diese Ermutigung soll "zugleich als Umkehrruf in den Kirchen der Reichen gehört werden". Dreißig Millionen oder viel mehr Tote - aufgrund gemachter Unterversorgung - sind Jahr für Jahr auf dem Globus die Opfer einer brutalen Weltwirtschaft, deren mörderischen Profitmotor Papst Paul VI. in seiner Enzyklika "Populorum Progressio" (1967) unmissverständlich gebrandmarkt hat. Der Apparat einer unendlichen Geldvermehrung geht über Leichen und bedroht das Leben auf der Erde. Deshalb ist Oscar Romero, den die Auftraggeber zu seiner Ermordung einen "Kommunisten" nannten, der Heilige für unsere Zeit:

Sehr bald nach seiner Ernennung zum Erzbischof von San Salvador wurde der konservative Seelsorger Oscar Arnulfo Romero 1977 mit der blutigen Christenverfolgung in El Salvador konfrontiert. Die Tränen an den Särgen von ermordeten Katechetinnen, Messdienern und Priestern ließen ihn zum unerschrockenen Bischof an der Seite der Kleinen, Geschundenen und Verfolgten werden.

Aus dem Ökumenischen Gedenkaufruf "Oscar Romero"

Ein deutscher Theologe, der nach dem Ende seiner wissenschaftlichen Berufstätigkeit solidarisch und heilend mit Menschen "am Rande" wirkt, erinnert uns nachdrücklich an die Vorgeschichte: Romero, so schreibt er, habe erst einmal ganz gut Karriere in der Hierarchie gemacht, sei dann "schließlich nicht heilig geworden, aber selig in seiner spät erreichten Solidarität mit den normal Armen". Wegen dieser Seligkeit ist San Romero de América 1980 von einem Auftragskiller der Reichen ermordet worden. Allerdings muss man ergänzen, dass Romero auch vor seiner Bekehrung nie ein reicher Kirchenmann gewesen ist.

"Die Ordensfrauen - die ganz einfachen Christinnen und Christen - dürfen nicht fehlen", hat eine Protestantin zusammen mit ihrer Unterschrift geschrieben, denn sonst wirke der Aufruf leicht klerikal. An Oscar Romeros Seite stehen viele Märtyrerinnen und Märtyrer aus der lateinamerikanischen Kirche der Armen, die vom jetzigen und vom letzten Papst so viel Maßregelung - aber keine Unterstützung in ihren Bedrängnissen - erfahren hat.

"Selig, die hungern nach Gerechtigkeit"

Nun werden sich manche, die den Aufruf lesen, zunächst fragen, wie das denn ökumenisch sein kann: Es ist von "Heiligsprechung", "Kanonisation" und "Beatifikation" die Rede, und das alles sind "Fachbegriffe", die im Amtsgebrauch der römisch-katholischen Kirchenhierarchie streng geregelt sind. Ohne Erlaubnis dürfen sie nicht gebraucht werden. Acht Jahre nach der Ermordung von Bischof Romero verbot Kardinal Joseph Ratzinger dem brasilianischen Armenbischof Pedro Casaldáliga, den Märtyrer Oscar Romero einen Märtyrer zu nennen. - Was sollen Lutheraner, Reformierte und andere Protestanten damit anfangen, aber auch Anglikaner und Alt-Katholiken, die in ihrer Kirchengemeinschaft den Tag der Ermordung von Oscar Romero (24. März 1980) längst in den liturgischen Gedenkkalender aufgenommen haben?

Wer den Gedenkaufruf aufmerksam liest, findet darin zwar den "amtlichen Sprachgebrauch", doch dieser wird in einem biblischen Sinn gedeutet, den alle Christen teilen können. Es geht nicht um eine anmaßende Sakralisierung von Menschen durch menschliche Instanzen, sondern um eine "Beatifikation" (Seligsprechung) im Sinne der Seligpreisungen der Bergpredigt Jesu:

Selig sind die Trauernden; denn sie werden getröstet werden.
Selig sind die, die keine Gewalt anwenden; denn sie werden das Land erben.
Selig sind die, die hungern und dürsten nach der Gerechtigkeit; denn sie werden satt werden.
Selig sind die Barmherzigen; denn sie werden Erbarmen finden.
Selig sind die, die ein reines Herz haben; denn sie werden Gott schauen.
Selig sind die, die Frieden stiften; denn sie werden Söhne Gottes genannt werden.
Selig sind die, die um der Gerechtigkeit willen verfolgt werden; denn ihnen gehört das Himmelreich.

Matthäus-Evangelium, 5. Kapitel

Für diese Seligpreisung ist eine "Erlaubnis von oben" gar nicht förderlich oder nötig. So heißt es in einer der Zuschriften über Romero: "Hier bei uns im Nordosten Brasiliens wird er ja bereits als Heiliger gefeiert und kommt bereits in verschiedenen Allerheiligenlitaneien vor." Eine Gemeinde an der Peripherie von São Paulo hat sich diesen Märtyrer zum Patron ausgewählt und feiert an jedem an jedem 24. März enthusiastisch sein Patronatsfest.

Die einen stehen im Rampenlicht, die anderen werden vergessen

Für die Großen, die Rom feierlich "selig spricht" oder noch "seligsprechen" will, kann man auf dem Medienmarkt ein Riesensortiment von Büchern, Bildbänden, Filmen und Fernsehproduktionen erstehen. Oscar Romero gehört aber zu den Kleinen, die von unten seliggepriesen werden und die die kommerziellen Marktführer aus ganz bestimmten Gründen nicht interessieren. Den Spielfilm oder die Filmdokumentation zu ihm kann man hierzulande als DVD gar nicht erwerben. Mit den guten Büchern von Martin Maier SJ ist der Kreis der erhältlichen Literatur schon fast geschlossen.

So wird eine "Geschichte" in großem Stil geschrieben, bei der am Ende das eine in hellstem Licht erscheint und das andere ganz vergessen wird. Der Gedenkaufruf erinnert deshalb auch an eine unbequeme und unterschlagene historische Wahrheit des letzten Pontifikates. In Rom fand San Oscar Romero weder Verständnis noch Hilfe. Stattdessen hatte er dort mächtige Kirchenmänner gegen sich. Nach seinem Besuch bei Johannes Paul II. äußerte sich der Bischof von San Salvador 1979 tief enttäuscht: "Ich glaube, ich werde nicht noch einmal nach Rom kommen. Der Papst versteht mich nicht."

Ökumene für "Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung"

Sehr viele der Initiativen, die den Romero-Gedenkaufruf mittragen, kommen aus den basischristlichen und ökumenischen Netzwerken. Dies ist für engagierte KatholikInnen aus diesen Gruppen gerade auch deshalb erfreulich, weil der derzeitige Papst in mehreren Büchern gegen die ökumenische Bewegung für "Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung" scharf polemisiert hat. Diese Ökumene für das Leben betrachtet er als eine unzulässige Politisierung des Glaubens. Wir sind hingegen der Überzeugung, dass eine Kirche, die diese Anliegen der Ökumene im dritten Jahrtausend nicht in den Mittelpunkt ihres globalen Wirkens stellt, keine Glaubwürdigkeit beanspruchen kann.

Hier geht es letztlich um den gleichen Konflikt wie bei der nunmehr 30 Jahre währenden amtskirchlichen Kontroverse um die Seligkeit des Märtyrers aus El Salvador. Doch die Einsprüche der gut abgesicherten Amtstheologen halten im Licht des Evangeliums nicht stand:

Da jeder Mensch ein Kind und lebendiges Gleichnis Gottes ist, war für San Oscar Romero Gottesdienst untrennbar verknüpft mit der unerschrockenen Verteidigung der menschlichen Würde.

Aus dem Ökumenischen Gedenkaufruf "Oscar Romero"

Wenn aus unserem Sprachraum spezielle katholische Reformen eingefordert werden, spricht die kirchliche Hierarchie sehr gerne von deutschen oder anderen "Sonderwegen" etc. In der Öffentlichkeit wird das bisweilen auch wie ein Teil des nationalen Politikgeschehens wahrgenommen, aber ohne Substanz. Bezeichnenderweise hat kein Massenmedium den im "Theologen-Memorandum" eingeforderten Einsatz für Menschenwürde - unter Parteinahme an der Seite der Armen - deutlich aufgegriffen.

Im ökumenischen Gedenkaufruf "Oscar Romero" ist jedoch für alle klar, dass es um ein Anliegen der Weltkirche, der ganzen Ökumene und der - globalen - Gerechtigkeit geht. Deshalb haben sich dieser Initiative in vielen Ländern und in allen Konfessionen in nur kurzer Zeit so unglaublich zahlreiche Türen geöffnet. Dass sich bislang über 60 Professorinnen und Professoren der Theologie - auch einige evangelische - eingereiht haben und das oft mit großer Herzlichkeit, ist für ihren Stand eine wirkliche Christenehre.

Eine Diözese ohne räumliche und geistige Grenzmauern

Unser Bruder Jacques Gaillot, der den ökumenischen Romero-Gedenkaufruf früh unterzeichnet hat, ist Bischof von Partenia, einer Diözese ohne räumliche und geistige Grenzen. Die Unterzeichnerliste des Aufrufs kennt ebenfalls keine künstlich gemachten Mauern. Es sind auf ihr römisch-katholische, reformierte, alt-katholische, lutherische, anglikanische und andere Christen zu finden, auch solche, die ausdrücklich einen Austritt aus der Amtskirche oder Körperschaft öffentlichen Rechts vermerkt haben.

Die sechs Sprachversionen des Gedenkaufrufs wurden nicht zentral diktiert, sondern erhielten von beteiligten Länderinitiativen den "Schluss-Segen". Im Internetzeitalter kann eine Fassung zwischen Europa und dem Amazonas leicht hin und hergehen. Verschiedene Sprachen von Menschen in freier Begegnung zusammenzubringen und zu "übersetzen", das wünschen wir uns als ein Modell für Kirche.

Aus Frankreich kamen rasch Hilfe, Zuspruch und - im regen Austausch - Unterstützung von sieben Gruppierungen. Weitere Gruppen und Bewegungen aus Brasilien, Italien, Kanada, Österreich, den Niederlanden, Norwegen, Peru, Portugal, Schweden, Schweiz und Spanien stehen auf der Unterzeichnungsliste. Am Osterfest kam die Unterstützung des international assoziierten katholischen Netzwerks "We are Church" (IMWAC-US) aus den Vereinigten Staaten, nachdem dieses den ökumenischen Romero-Aufruf mit allen Mitgliedsgruppen beraten hatte.

Inzwischen ist der Aufruf damit - für jeden nachzulesen in der langen Liste der Initiativen - wirklich international. Die Prominenz ist ohne Hervorhebung alphabetisch eingereiht in die lange Liste aller Geschwister, wie es sich für die Gemeinde Jesu gehört. Die 60 Professorinnen und Professoren der Theologie, aber auch der Bruder Bischof Jacques Gaillot aus Frankreich und der Bruder Bischof Frei Luiz Flavio Cappio aus Brasilien machen da keine Ausnahme. Es kann also ein berühmter Name auf einmal zwischen Hausfrau, Student, Informatiker, Rentner oder Küster stehen in der gemeinsamen Liste bei der Christlichen Initiative Romero. Übrigens war von Anfang an keine Massenunterzeichnungsfunktion im Internet vorgesehen. Die persönlichen Unterschriften wurden bei engagierten Leuten in Netzwerken und Bewegungen erfragt.

Es ist Zeit für Jesus und für den Abschied von Goldgewändern

Es ist allerhöchste Zeit für den Katakomben-Pakt, den Bischöfe der Armen wie Dom Hélder Câmara auf dem letzten katholischen Reformkonzil vereinbart haben. In allen Kirchen sollten die "Nachfolger der Apostel" ihren kostbaren Verkleidungen und jeglichem eitlen Goldschmuck entsagen und sich - an der Seite der Ärmsten auf der Erde - als Freunde Jesu erweisen. Wir sind zuversichtlich, dass sich nach einer solchen Umkehr ganz neue, hoffnungsvolle Horizonte auftun: für die Suche nach Gott, für die Ökumene aller Kirchen und auch für die drängenden Fragen der Kirchenreform.

Zwischen einem einfachen Lebensstil, der Reformfähigkeit und dem Zeugnis der Kirche gibt es vielfältige Zusammenhänge. Dies macht die Zuschrift eines Theologieprofessors an uns deutlich:

… gern unterschreibe ich diesen Aufruf! Möge er für heilsame Irritationen sorgen. [… es] ist mir noch klarer geworden, dass ich auf unsere Bischöfe in ihrer Mehrheit nicht mehr setzen mag und will. Das verschleißt nur noch länger Kräfte, die ich anderswo einsetzen möchte. Viel Arbeit muss in der Tat an den Bischöfen vorbei von unten her getan werden. Vielleicht bekehren sich die 'Herren' Bischöfe ja später einmal.

Derzeit scheint mir da keinerlei Hoffnung: Sie predigen die Armut - und wohnen in Palästen, fahren in Luxuslimousinen; sie beschwören die Demut - haben aber nicht einmal den Willen oder die Kraft, normal kritische Anfragen 'demütig', offen und zugewandt anzuhören; sie erklären Dialogbereitschaft - und legen bereits prozesswidrig im Voraus fest, welches die Themen sein dürfen, wann welche dran sind, welche besprochen, aber keinesfalls ergebnisoffen diskutiert werden dürfen; sie reklamieren Kommunikation und communio - sind aber nicht bereit, von ihren hierarchischen Privilegien und Machtpositionen Abschied, von ihren dogmatischen und moralischen Vorentscheidungen Notiz und zu den Anliegen der Gläubigen jenseits vorgefertigter Muster Stellung zu nehmen, geschweige denn aus Einsichten Konsequenzen zu ziehen, die ihr eigenes Leben im biblischen bzw. im Sinne Jesu verändern würden.

Ansteckend sind sie nicht - höchstens, leider, im negativen Sinne - heute schon ersichtlich in den fundamentalistischen Kreisen derer, die für ihre Angst eine feste Burg suchen […] Lassen wir uns an je unserem Platz immer wieder vom Geist Jesu anstecken! "Das Beispiel unseres Bruders San Oscar Romero zeigt uns, wie schön und mutig wir Menschen werden können, wenn wir beginnen, der Botschaft Jesu zuzuhören." - Wunderbar! Danke für diese Initiative!

Zu den Verfassern: Peter Bürger gehört der Solidarischen Kirche im Rheinland, dem Versöhnungsbund und der Internationalen katholischen Friedensbewegung pax christi an. Bernd Hans Göhrig ist Bundesgeschäftsführer des Ökumenischen Netzwerks "Initiative Kirche von unten" (IKvu) , dessen Mitgliedsgruppe "Christliche Initiative Romero (CIR) den Aufruf sowie die Namen der unterstützenden Gruppierungen und unterzeichnenden Personen stellvertretend für alle veröffentlicht. Christian Weisner gehört zum Bundesteam der KirchenVolksBewegung "Wir sind Kirche", das er auch in der "International Movement We Are Church" (IMWAC) vertritt. Allein aus der IMWAC tragen neun Ländergliederungen den Ökumenischen Romero-Aufruf mit.