Roboter statt Arbeiter

Steht die chinesische "Werkstatt der Welt" vor einer umfassenden Automatisierungswelle?

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Der für die globale Hightech-Industrie tätige Auftragshersteller Foxcon zählt zu den wichtigsten "Arbeitgebern" Chinas, für den rund eine Million Arbeitskräfte in kasernenähnlichen Fertigungshallen tätig sind. Das taiwanesische Unternehmen beschäftigt weltweit insgesamt ein Heer von 1,2 Millionen Arbeitern, die unter anderem die Lifestyle-Gadgets von Apple, Sony, Nintendo oder HP in manueller Arbeit zusammenbauen müssen. Somit wird das neueste Technikspielzeug des 21. Jahrhundert, das längst zu einem ikonenartigen Statussymbol vieler Mittelschichtkids in den Industrieländern avancierte, mittels der archaischen Fließbandproduktion des frühen 20. Jahrhunderts hergestellt.

Das soll sich nach dem Willen von Foxconn-Chefs Terry Gou bald ändern. Eine Million Roboter sollen künftig in den chinesischen Fertigungsstätten von Foxconn eingesetzt werden, erklärte Gou Ende Juli, um "simple und routinemäßige" Tätigkeiten wie Lackieren oder das Zusammensetzen von Komponenten zu übernehmen. Derzeit finden sich nur 10.000 Industrieroboter in den Werken Foxconns, deren Anzahl schon im kommenden Jahr auf 300.000 massiv erweitert werden soll. Ab 2014 soll die volle Zahlenstärke von einer Million Arbeitsmaschinen bereits erreicht sein. Bislang schweigt sich die Führung von Foxconn über eventuelle Massenentlassungen aus, die aufgrund dieser gigantischen Rationalisierungswelle wahrscheinlich erscheinen. Die globalen Dimensionen des angestrebten Umbruchs in der chinesischen Industrie werden auch anhand der Schätzungen der International Federation of Robotics (IFR) deutlich, die davon ausgeht, dass im vergangenen Jahr weltweit nur 115.000 Industrieroboter ausgeliefert wurden, von denen gerade mal 15.000 ihre Weg ins dauerboomende Reich der Mitte fanden.

Es scheint kein Zufall, dass gerade Foxconn als erster großer chinesischer Produzent massiv auf die Automatisierung der Produktion setzt, geriet doch der Auftragshersteller wegen der buchstäblich selbstmörderischen Arbeitsbedingungen in seinen Fertigungskasernen international in Verruf. Mehrere Fließbandarbeiter haben sich aufgrund der bei Foxconn herrschenden Leistungshetze das Leben genommen, während rund 30 weitere Fälle von versuchtem Selbstmord an die Öffentlichkeit durchsickerten. Bis zu 100 Überstunden pro Monat sollen die Fließbandarbeiter in Foxconns Hightech-Fabriken leisten, die zumeist aus den verarmten Westen Chinas stammen und in Wohnheimen auf dem Betriebsgelände kaserniert sind.

Foxconn reagierte auf diese Selbstmordserie mit Lohnerhöhungen und dem Aufbau von Schutznetzen vor den Fabrikgebäuden und Arbeiterwohnheimen, um künftige Selbstmorde zu erschweren. Absurd mutet die Antiselbstmordverpflichtung an, die Foxconn seine Arbeitskräfte unterzeichnen ließ. Schließlich mobilisierte die Unternehmensführung die Massen gegen die Selbstmordwelle: Auf einer "Demonstration" in dem Foxconn Hauptwerk in Shenzhen mussten die Foxconn-Arbeiter ihre Verbundenheit mit dem Unternehmen unter Beweis stellen, indem sie "I Love Foxconn"-T-Shirts trugen und auf Transparenten ihre grundehrliche, tiefste und innigste Liebe zum Foxconn-Vorstandsvorsitzenden Gou zum Ausdruck brachten.

Zudem entschied sich der taiwanesische Auftragshersteller dazu, dem Elend in China zu folgen und Produktionsanlagen in dem unterentwickelten Landesinnern zu errichten, wo das Lohnniveau noch weitaus niedriger als in den boomenden Küstenprovinzen war. Damit wandern die exportorientierten chinesischen Konzerne in die Heimat der chinesischen Wanderarbeiter, deren billige Arbeitskraft die Grundlage des Exportbooms im Reich der Mitte bildet. Die rückständigen Regionen Westchinas sollen durch diese von der Regierung in Peking unterstützte industrielle Umsiedlungsaktion "Anschluss an die Industrialisierung in der Küstenregion" finden, so die Finantial Times Deutschland (FTD). Die Ergebnisse dieser "Industriewanderung", an der etliche in China engagierte Exportunternehmen teilnahmen, seien aber durchwachsen, berichtete die FTD:

Doch der Ansturm der Auftragsfertiger überfordert selbst den Arbeitsmarkt der dicht besiedelten Provinz Sichuan. Im Juni beschwerten sich Werksmanager anonym bei "Digitimes", das Gehalt von Anlernkräften in Chongqing habe das Niveau der vermeintlich teureren Küstenstädte erreicht - und das bei höheren Transportkosten: Während Shenzhen voll in die globale Logistikkette integriert ist, müssen nun die Computer und Handys Tausende Kilometer aus Zentralchina an die Küste verfrachtet werden, bevor es per Schiff weitergeht.

Der Versuch der chinesische Billighersteller, vor der wachsenden Verhandlungsmacht der chinesischen Arbeiterschaft zu fliehen, scheint somit gescheitert. Foxconn kam somit nicht um eine Anhebung der Löhne für sein Millionenheer an Fließbandarbeitern herum. Ein Foxconn-Arbeiter kann nach den Gehaltserhöhungen, die in Reaktion auf die Selbstmordserie vergangenes Jahr gewährt wurden, an die 300 US-Dollar monatlich verdienen - vor ein paar Jahren war es in etwa die Hälfte. Dabei sind die Lohnerhöhungen bei dem taiwanesischen Auftragshersteller Teil eines gesamtwirtschaftlichen Trends zur Anhebung des Lohnniveaus in China, der durch eine Streikwelle im vergangenen Sommer beschleunigt wurde, von der insbesondere der Fahrzeugbau betroffen war.

Roboter statt Arbeiter

Das boomende Reich der Mitte ist gerade dabei, seine Stellung als Billiglohnland zu verlieren, was die massenhafte Ausbeulung der "Ware Arbeitskraft" insbesondere in der chinesischen Exportindustrie rentabel machte. Das Lohnniveau ist alleine 2009 um 12 Prozent gestiegen, 2010 waren es sogar 13 Prozent. Die höheren Lohnkosten machten arbeitsintensive Produktionsverfahren des vergangenen Jahrhunderts nun auch in China unrentabel, wodurch kapitalintensive, auf stärkerer Automatisierung beruhende Fertigungsmethoden Verbreitung finden würden, so das Wirtschaftsblatt The Economist:

Chinas jüngste ökonomische Entwicklung hat im hohen Ausmaß den Trend zur Automatisierung in der reichen Welt umgekehrt – das bedeutete, Arbeit zu benutzen, um Kapital in der Produktionskette zu ersetzen. Die Löhne steigen nun als eine Folge der Nachfrage nach qualifizierter Arbeitskraft …, so dass man erwarten kann, dass die Firmen nun ihre Kombination von Arbeit und Kapital anpassen.

Viele andere, kleinere chinesische Produzenten hätten laut Economist ebenfalls ähnlich Prozesse der Produktionsrationalisierung initiiert, bei denen "höhere Lohnkosten gegen Kapitalinvestitionen" in Automatisierungsanlagen getauscht würden. Foxconn bemühe sich nur, diese graduelle industrielle Transformation in einem "großen Sprung" zu vollführen.

Dabei befindet sich dieser Prozess der Automatisierung der chinesischen "Werkstatt der Welt" erst in der Anfangsphase, obwohl schon jetzt die entsprechende Branche jährliche Zuwachsraten von 20 bis 30 Prozent verzeichnet. So ist der Anteil der Maschinen mit numerischer Steuerung an der Produktion Chinas von 18 Prozent in 2008, über 22 Prozent in 2009 auf 27 Prozent im vergangenen Jahr gestiegen. Dieses Niveau der Automatisierung entspricht der Produktionsstruktur in Japan in den 80er Jahren. Inzwischen weist Japan den weltweit höchsten Automatisierungsgrad der Industrie von 82 Prozent auf. Letztendlich stellt sich die Frage, wo Chinas Millionenheer an Billigarbeitskräften tätig sein wird, falls das Reich der Mitte auf einen ähnlich hohen Grad der Automatisierung zusteuern sollte.