Moscheeanschläge: schleichende Kristallnacht

Nach den Anschlägen von Oslo wähnen sich die Islamkritiker wieder auf dem Vormarsch. Das Abendland soll gerettet werden, notfalls mit Gewalt. Dabei sind ausländer- und islamfeindliche Aggressionen keineswegs neu

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

In den letzten dreißig Jahren hat es allein in der Bundesrepublik ein Dutzend Bombendrohungen und über hundert kleinere und größere Anschläge gegen Moscheen mit Steinen, Brandsätzen und Schusswaffen gegeben. Hinzu kommen fast fünfzig Schändungen von Moscheen durch Hakenkreuz-Schmierereien, Scheiße oder Schweineblut. Der folgende Artikel ist die z. Zt. umfassendste, aber dennoch unvollständige Darstellung der Moscheeangriffe in insgesamt 106 Städten und Gemeinden in Deutschland.

1. Muslime und Moscheen in Deutschland

In der Nacht vom 9. auf den 10. November 1938 steckten die Nationalsozialisten die Synagogen im deutschen Reichsgebiet an. Zunächst hieß es, es seien 267 Synagogen zerstört worden. Erst Jahrzehnte später wurde das wahre Ausmaß des Pogroms bekannt: Schätzungsweise 1.406 Synagogen und Betstuben wurden zerstört, etwa 400 Menschen ermordet und rund 30.000 Juden in die Konzentrationslager Dachau, Buchenwald und Sachsenhausen verschleppt. Weil sich der Feuerschein in den zerbrochenen Fensterscheiben spiegelte, wurde dieser Überfall als Reichskristallnacht bekannt. Ursprünglich ein Begriff aus der NS-Propaganda, fand dieses Wort später Eingang in den allgemeinen Sprachgebrauch; Historiker sprechen jedoch lieber von der "Reichspogromnacht".

Auch heute brennen wieder "Gotteshäuser" in Deutschland. Aber diesmal sind es nur noch selten Synagogen; der Hass richtet sich heute gegen eine andere abrahamitische Religion, die Moscheen der islamischen Bevölkerungskreise. Immerhin leben in der Bundesrepublik z. Zt. rund 4 Millionen Muslime, die sich zum Großteil genauso (un-)friedlich und (un-)freundlich verhalten, wie der Rest der deutschen Bevölkerung auch. Von den Muslimen gelten 37.470 Personen, also knapp ein Prozent, als Islamisten, die einen Kalifatstaat auf Basis der Scharia anstreben. Von diesen Islamisten gelten wiederum knapp ein Prozent als Dschihadisten, die zur Durchsetzung ihrer Ziele auch die Gewalt als legitimes Mittel ansehen. Aber "nur" bei 131 Personen gehen die Sicherheitsbehörden wirklich davon aus, dass sie ihre Absichten auch in die Praxis umsetzen könnten.

Schon über dreihundert Jahre leben Moslems in Deutschland: Die ersten blieben als Kriegsgefangene nach dem "Türkenkrieg" (1683-1699) hier. Der erste islamische Gebetsraum entstand 1739 in Potsdam. Preußenkönig Friedrich Wilhelm I ließ dazu einen Saal neben der Garnisonskirche für seine zwanzig türkischen Gardesoldaten herrichten. Sein Sohn "Friedrich der Große" gab am 15. Juni 1740 ein weltoffenes Bekenntnis ab:

Alle Religionen sind gleich und gut, wenn nur die Leute, die sich zu ihnen bekennen, ehrliche Leute sind. Und wenn die Türken und Heiden kämen und wollten hier im Lande wohnen, dann würden wir ihnen Moscheen und Kirchen bauen.

Der erste Moscheebau in Deutschland ist die so genannte "Rote Moschee", die 1793 im Schlossgarten von Schwetzingen (Baden-Württemberg) neben einem Apollon- und einem Minvervatempel fertig gestellt wurde. Allerdings diente die Moschee ursprünglich nicht als islamisches Gotteshaus, sondern war lediglich Ausdruck für die kurfürstliche Toleranz gegenüber anderen Kulturen und Religionen. Erst im deutsch-französischen Krieg (1870/71) nutzte man die Moschee tatsächlich als Gotteshaus für die Kriegsgefangenen aus Marokko. Die erste "echte" Moschee wurde 1928 in Berlin eingeweiht.

Moschee im Schwetzinger Schlosspark. Bild: Andree Stephan. Lizenz: CC-BY-SA-3.0

Ab 1961 kam es zu einer Einwanderung von "Gastarbeitern" in die alte Bundesrepublik. In Folge dieser Arbeitsimmigration wurde ab 1970 eine wachsende Zahl von Moscheen bzw. islamischen Gebetsräumen eingerichtet. Nachdem sich viele Immigranten in der BRD etabliert und eine vermögende Mittelschicht herausgebildet hatte, wurde aus der Moschee-Gründungswelle ein Moscheebau-Boom. Die Zahl der Moscheevereine bzw. Moscheen liegt heute bei über 2.700, davon schätzungsweise 200 mit typischem Kuppeldach und mehr oder weniger großem Minarett. Hinzu kommt eine unbekannte Zahl von so genannten Cem-Häusern der Aleviten, die keine Moscheen bauen.

Aber mit der wachsenden Zahl der Arbeitsimmigranten und dem Aufkommen einer Wirtschaftskrise in den siebziger Jahren nahm die Ausländerfeindlichkeit zu. Diese richtete sich zunächst gegen Einzelpersonen, später folgten auch Anschläge auf Ausländerwohnheime und deren Religionsstätten. Bereits im Jahr 1995 verbreitete eine obskure "Gesellschaft für Deutsches Volkstum" ein so genanntes "Deutsches Manifest"; in dem zum Heiligen Krieg gegen Juden und Moslems hierzulande aufgerufen wurde:

Der Volkskrieg zur Befreiung unseres Landes beginnt am 9. Mai 1995 null Uhr. Nehmt von diesem Tage an den bewaffneten Kampf auf. Bedient Euch jeder Art Waffe: Benzin und Streichhölzer etc. Vollstreckt die Urteile der Volksgerichte an Verrätern und Volksfeinden. Die Tötung von Feinden und Verrätern im Kriege ist heilige patriotische Pflichterfüllung. (...) Nun müssen Asylantenheime, Aufnahmelager, Ausländerämter, Moscheen, Synagogen etc. brennen.

Diese Pamphlet blieb kein Einzelfall. Zuletzt verkündete der ehemalige NPD-Vorsitzende der Stadt Düsseldorf, Manfred Breidbach, eines Tages werde Deutschland "im Glanze brennender Moscheen" erstrahlen.

Aber es blieb nicht nur bei solchen Ankündigungen. Schon 1981 erfolgte der erste Überfall auf eine Moschee in Dortmund. Diesem ersten Einzelfall folgten weitere "Einzelfälle" und im Laufe der Jahre wurde die Summe der Angriffe immer größer. In Anlehnung an eine alte Kölner Rockband könnte man heute sagen: "Es riecht nach Kristallnacht!"

2. Schwierige Datenlage

Die Einschätzung der genauen Datenlage ist schwierig. Die Liste der Moscheeanschläge ist unvollständig und die Schilderung der Einzelfälle lückenhaft: Das Bundeskriminalamt (BKA) in Wiesbaden konnte auf Anfrage des Fernsehmagazins "Monitor" nicht mitteilen, ob die islamfeindlichen Anschläge in Deutschland in den letzten Jahren zugenommen haben oder nicht, weil man - trotz der gemeinen behördlichen Datensammelwut - diese Kategorie gar nicht erfassen würde.

Für das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) in Köln stellen die Angriffe auf Moscheen kein Problem dar. In den "Verfassungsschutzberichten" des Bundesinnenministeriums der letzten dreißig Jahre wurden gerade einmal zwei Brandstiftungen explizit erfasst: Herten (25.11.1990) und Göppingen (21.3.2007). Außerdem wird eine Anschlagsserie der "Kurdischen Arbeiterpartei PKK" (seit 2003: Volkskongress Kurdistan - KONGRA-GEL) vom Februar bis April 1995 zumindest am Rande erwähnt: "Neben türkischen Reisebüros waren nun bundesweit auch Versammlungsstätten nationalistischer Türken und sunnitische Gebetsstätten Ziele von Anschlägen." Dies ist alles zu den Moscheenanschlägen. Offenbar ist das Bundesamt für Verfassungsschutz der Meinung, die Brandanschläge auf MAN, Mercedes und BMW haben eine größere staatspolitische Bedeutung.

Auch die universitäre Wissenschaft kann kaum weiterhelfen. Die deutschen Islamwissenschaftler interessieren sich nur am Rande für die Ausbreitung des Islams in Deutschland. Forschungsreisen nach Marrakesch, Kairo oder Damaskus sind ja auch viel interessanter. Als Erstes hat das private Zentralinstitut Islam Archiv Deutschland Stiftung e. V. (ZIAD) in Soest-Deiringsen im November 2006 eine entsprechende Liste veröffentlicht. Allerdings sind in der Liste lediglich Datum und Ort der einzelnen Angriffe ohne weitere Detailinformationen bis Ende 2004 aufgeführt. Außerdem hat Prof. Dr. Şefik Alp Bahadir von der Philosophischen Fakultät I der Friedrich-Alexander-Universität in Nürnberg-Erlangen eine entsprechende Liste für die Jahre 2006 bis 2008 herausgegeben, die auf der Webseite der Türkischen Gemeinde in der Metropolregion Nürnberg (TGMN) im November 2008 veröffentlicht wurde. Das Zentrum für Antisemitismusforschung (ZfA) an der TU Berlin kann zusätzliche Informationen über die Neonazi-Szene und die Ausbreitung der Islamophobie beisteuern.

Auch die Politik kann wenig zur Aufklärung beitragen: Kam es zu einem Anschlag, gibt es zwar die obligatorischen Protestnoten der Parteien, Gewerkschaften und christlichen Kirchen, aber die bornierten Parlamente haben sich mit dem Thema bisher nicht nennenswert beschäftigt.

Die wichtigsten Informationsquellen sind nach wie vor die Lokalzeitungen. Allerdings ist deren Berichterstattung in Umfang und Qualität von Einzelfall zu Einzelfall höchst unterschiedlich. Außerdem verfügen die kleineren Redaktionen über kein eigenes Archiv. Die größeren Zeitungsverlage haben ihr Archivmaterial erst teilweise digitalisiert, so dass ältere Artikel über das Internet nicht verfügbar sind.

Eine weitere wichtige Informationsquelle sind nicht zuletzt die Betroffenen selbst. Bei einem aktuellen Anschlag werden entsprechende Informationen auf der eigenen Webseite präsentiert, z. B. durch die Islamische Gemeinschaft Millî Görüş. Bei der IGMG handelt es sich um ein Sammelbecken rechtsradikaler, islamistischer, aber im Allgemeinen gewaltfreier Türken, das alljährlich in den "Verfassungsschutzberichten" auftaucht. Dennoch bietet die IGMG-Berichterstattung zu aktuellen Moscheeangriffen brauchbare Informationen. Allerdings scheitern direkte Nachfragen bei den Moscheegemeinden an den mangelnden Deutschkenntnissen der Imame bzw. Hodschas. Außerdem ist zu beklagen, dass Moscheegemeinden einzelne Vorfälle bei einem nur geringen Sachschaden nicht melden. Über das Ausmaß dieses Dunkelfeldes kann keine seriöse Schätzung abgegeben werden.

Nach der Reichskristallnacht von 1938 sollte man meinen, dass die deutsche Bevölkerung besonders sensibel auf solche Anschläge reagiert, damit sich die Geschichte nicht in ähnlicher Weise wiederholt. Stattdessen ist das Gegenteil der Fall. Die Angriffe sind jeweils eine kurze Zeit Stadtgespräch, aber danach kaum noch Gegenstand öffentlicher Aufmerksamkeit. So ist es nach zwanzig, fünfundzwanzig Jahren überaus mühselig herauszufinden, wer damals irgendwo in Deutschland die Fensterscheibe einer Moschee eingeworfen hat, und nicht immer hat man Erfolg. Dennoch wäre eine vollständige Auflistung unerlässlich.

Die folgende (unvollständige) Übersicht bietet eine Auflistung der physischen Gewaltakte gegen Moscheen, die im Folgenden als "Anschlag" bezeichnet werden:

  • Steinwürfe (o. ä.)
  • Einbrüche mit Vandalismus
  • Brandanschläge
  • Schusswaffengebrauch
  • Bombendrohungen
  • "Bomben"-Anschläge (o. ä.)

Ausgeklammert wurden alle Fälle einer "bloßen" Schändung von Moscheen oder Morddrohungen gegen muslimische Einzelpersonen.

Juristisch geht es u. a. um folgende Straftatbestände des Strafgesetzbuches: Störung des öffentlichen Friedens (§ 126 StGB), Bedrohung (§ 241), Sachbeschädigung (§303), schwere Brandstiftung (§ 306), besonders schwere Brandstiftung (§ 307), gefährliche Körperverletzung (§ 223), Mord (§ 221), Landfriedensbruch (§ 125), etc..