Bundestrojaner: Wer kontrolliert die Ermittler?

Das Innenministerium und das BKA dementieren die Vorwürfe des Chaos Computer Clubs; Politiker reagieren beschwichtigend

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Wer kontrolliert die Mittel, welche die Polizei anwendet? Und wie groß ist der politische Wille überhaupt dazu? Bei der Entdeckung der Überwachungssoftware gehe es um keinen speziellen Einzelfall, präzisierte heute Morgen der CCC-Sprecher Frank Rosengart in einem Radiointerview. Der Trojaner, der auf mehreren Festplatten gefunden wurde (CCC entlarvt Bundestrojaner und Sicherheitspolitik), sei in mehreren Fällen zum Einsatz gekommen und werde wahrscheinlich bundesweit eingesetzt, weswegen man "mit gutem Gewissen von einem Bundestrojaner sprechen kann".

Ob die Programme in der Gesamtbreite ihrer Möglichkeiten von der Polizei genutzt wurden, könne man nicht sagen. Das müsse geprüft werden. Feststeht nach der Analyse des Behörden-Trojaners, dass er weit mehr kann, als das Gesetz gestattet. Was "im unauffälligen Neusprech" (CCC) Quellen-Telekommunikationsüberwachung genannt wird, ist eine Spionagesoftware, die Live-Beobachtung des Computerbenutzers ermöglicht, Fernsteuerung des Rechners, das Manipulieren von Datensätzen, Schriftstücken, E-Mails und darüberhinaus auch den Eingriff einer dritten Partei.

Die untersuchten Trojaner können nicht nur höchst intime Daten ausleiten, sondern bieten auch eine Fernsteuerungsfunktion zum Nachladen und Ausführen beliebiger weiterer Schadsoftware. Aufgrund von groben Design- und Implementierungsfehlern entstehen außerdem eklatante Sicherheitslücken in den infiltrierten Rechnern, die auch Dritte ausnutzen können.

Der Sprecher des CCC ließ offen, wie die Polizei mit diesen Möglichkeiten tatsächlich verfahren ist. Ist es möglich, dass der Hersteller der Software die Möglichkeiten, die teilweise durch verschleierte Programme zur Verfügung stehen, installiert hat, ohne dass die Polizei davon Kenntnis hatte? Dass sie die Erweiterungen nur "toleriert", aber nicht angewendet hat? Kaum vorstellbar. Genau das muss jetzt untersucht werden.

Das Vertrauen, dass sich Fahnder bei Ermittlungen an gesetzliche Vorgaben halten, dürfte nicht allzu groß sein. Fälle in Süddeutschland bestätigten in jüngster Zeit (Mehr "Dankbarkeit" gegenüber der "Super-Polizei") sowohl das Misstrauen gegenüber Praktiken der Polizei und dem Willen zur Verschleierung seitens der politischen Vertreter wie der Staatsanwaltschaft. Insofern ist das Dementi des Innenministeriums und des BKA ein riskantes Unterfangen.

Das Bundeskriminalamt hat den in der heutigen Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung durch den "Chaos Computer Club" (CCC) dargestellten sogenannten Trojaner nicht eingesetzt. Was auch immer der CCC untersucht hat oder zugespielt bekommen haben mag, es handelt sich dabei nicht um einen sogenannten Bundestrojaner.

Was aber, wenn sich, wie vom CCC behauptet, bestätigt, dass die Schnüffelsoftware zwar nicht offiziell als Bundetrojaner etikettiert ist, aber in der Praxis so angewendet wird? Schon jetzt wird vom Info-GAU gesprochen mit "tiefgreifenden unausweichlichen politischen Folgen" (Dietmar Dath). Der Vorsitzende des Innenausschusses des Deutschen Bundestages, Wolfgang Bosbach (CDU), spricht von einem "gravierenden Vorwurf".

Er ist nicht der einzige Politiker, der an der Schwere der Vorwürfe nicht rüttelt: Man bemüht sich um Schadensbegrenzung - allerdings auch, wie im Fall Bosbach, um Wesentliches zu verschweigen: Aussagen, die erkennen lassen, dass man die Polizeiarbeit stärker kontrollieren müsse, dass es dort möglicherweise Freispielflächen gibt, welche sich nicht um Grenzen kümmert, die von der Verfassung eindeutig vorgegeben sind.

Bosbach versucht es stattdessen mit dem Gegenangriff: "Man darf den Behörden nicht, ohne dass man ganz konkret wird, solche massiven Vorwürfe machen." Der CCC müsse dies mit Tatsachen unterlegen - als ob sich deren Mitglieder, die sich sehr viel besser mit Software auskennen als der innenpolitische Experte, nicht im Klaren darüber waren, was sie am Sonntag mit ihren Veröffentlichungen losgetreten haben.

Beunruhigt zeigte sich Bosbach nicht über die Mittel und Möglichkeiten staatlicher Sicherheitsdienste, sondern über die Reaktion der Bundesjustizministerin Leutheusser-Schnarrenberger, die sich auf Seiten der Grundrechte platziert hatte:

Es ist mehr als beunruhigend, dass die berechtigten technischen Argumente der Beschwerdeführer in der Klage gegen die Online-Durchsuchung vor dem Bundesverfassungsgericht jetzt bestätigt werden. Wenn die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts in der Praxis durch die Technik nicht eingehalten werden, verschwindet das Vertrauen der Bürger.

Die Justizministerin fordert denn auch folgerichtig "Untersuchungen in den einzelnen Bundesländern, deren Ermittlungsarbeit durch die Entdeckungen des CCC unter Verdacht stehen". Auf ganz Anderes zielt Bosbach: Das Internet entwickle sich immer mehr zum Tatort "und auch zum Tatmittel", sprach der Innenpolitiker, um noch einmal darauf zu verweisen, dass der Staat nicht auf technische Möglichkeiten verzichten könne, um "zur Abwehr und Aufklärung von schwersten Straftaten im Internet Beweise zu erheben". Als ob es darum ginge - und nicht um die Anschuldigung, dass Behörden Programme auf Rechner installiert haben, die weit über das gesetzlich Erlaubte hinausgehen und eine Grundgesetzverletzung darstellen. Insofern müsste man eher davon sprechen, dass nun die Polizeibehörden das Internet zum Tatort mit dem Bundestrojaner gemacht haben.

Diese Grundgesetzverletzung ist alles andere als harmlos. Sie kleinzureden oder sie mit dem Hinweis auf einen schwachen Staat im Kampf gegen Kriminalität zu relativieren, verrät Ignoranz. Es geht immerhin um den Selbstschutz des Bürgers, der mit solchen Mitteln, welche die wenigsten erkennen können, "ausgeschaltet wird", wie dies der ehemalige Bundeverfassungsrichter Wolfgang Hoffmann-Riehm betont.