Europa vom Empörten-Virus infiziert

Die spanischen Indignados haben ihr Ziel erreicht und ganz Europa mit ihrem Protest infiziert

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Am Samstag wird es in 45 Ländern und in mehr als 300 Städten zu Protesten kommen. Aufgerufen hat zu den "internationalen Protesten" die spanische Plattform Wahre Demokratie Jetzt" (DRY) (deutsche Website). Ausgedrückt werden soll die "Empörung über den Verlust unserer Rechte", denn diese Rechte würden den Menschen von einem "Bündnis der großen Unternehmen und der politischen Klasse entzogen" (deutsche Übersetzung des Aufrufs).

Beschlossen worden war der Protesttag schon am 30. Mai auf den spanischen Protestcamps der "Indignados". Zwar hatten die Empörten und DRY schon damals auf eine internationale Ausweitung der Proteste gehofft, dass die Bewegung aber zum Vorbild für die massiven Proteste in Israel und den USA werden sollte und am Samstag in insgesamt 45 Ländern protestiert wird, hatte man im Frühjahr nicht einmal zu träumen gewagt. Die Bewegung war mit den Demonstrationen am 15. Mai entstanden, zu denen DRY in mehr als 50 spanischen Städten die Menschen "ohne Job, ohne Wohnung, ohne Pension und ohne Angst" aufgerufen hatte.

Mit der freiwilligen Auflösung der Protestlager Ende Juni hatte sich auch die Bandbreite der Proteste vergrößert. So entstanden auch Protestmärsche, mit denen sie in verschiedenen Marschsäulen auf Madrid gezogen waren ("Es ist keine Krise - Es ist das System") In der spanischen Hauptstadt wurde dann Ende Juli entschieden, den Schritt zur "Globalisierung der Proteste" zu gehen. 50 Marschierer machten sich damals auf den Weg nach Brüssel, wo sie am vergangenen Samstag eingetroffen sind.

Auf dem Weg wurde die Gruppe immer größer (Anschlag in Madrid auf Papst-Gegner geplant) und am 16. September waren es schon Hunderte, die in Paris eintrafen. Auf ihrem Weg nach Brüssel wuchs die bunte Truppe noch weiter an. Während die Camps auf dem 1.500 Kilometer langen Marsch meist toleriert wurden, hat die Polizei in Brüssel in der Nacht zum Sonntag den Elisabeth-Park gewaltsam geräumt und 48 Protestler festgenommen. Der Park sollte in dieser Woche zum "Internationalen Sitz der Empörung" werden. Hier sollte die zentrale Demonstration vorbereitet und das alternative Parlament eingerichtet werden. Damit wollen die Empörten vor dem EU-Gipfel am 17. und 18. Oktober in Brüssel zeigen, dass sie sich vom Europaparlament und den EU-Institutionen in der belgischen Hauptstadt nicht vertreten fühlen.

Während sich die Scheinwerfer auf Brüssel richten, bereiten sich die Indignados auch in der Heimat auf viele Proteste für das Wochenende vor. Schon in den letzten Wochen haben die Empörten mit der Plattform der Hypothekenbetroffenen (PAH) etliche Zwangsräumungen von Familien verhindert (Spanien demonstriert gegen Räumungen), die ihre Raten angesichts einer Arbeitslosigkeit von mehr als 21 Prozent nicht mehr an die Banken bezahlen können. Am Wochenende wird es deshalb auch zu vielen Aktionen vor Banken und vor Parlamenten kommen.

Unterstützt werden soll die Volksinitiative (ILP), die nach Monaten der Verschleppung nun auf dem parlamentarischen Weg ist. Dafür hatten die Betreiber 500.000 Unterschriften gesammelt. Die Gesetzesinitiative sieht vor, dass die Hypothekenschuld mit der Rückgabe der Immobilie an die Bank beglichen ist, wie zum Beispiel in den USA. In Spanien verlieren die Familien ihre Wohnung, sitzen danach aber oft auf einem Schuldenberg. Denn nach derzeitiger Rechtslage übernehmen die mit Milliarden gestützten Banken die Immobilien nur für die Hälfte des Werts, wenn sie sie nicht zwangsversteigert werden können.

In den letzten Wochen rückt auch die Mobilisierung gegen die Einschnitte ins Bildungssystem immer stärker ins Zentrum. In verschiedenen Regionen streiken immer wieder Lehrer und Schüler gegen die Einschnitte im Rahmen des Sparprogramms und werden von Empörten unterstützt (Schuldenbremse in Spanien sorgt für Empörung). Anknüpfend an diese Proteste haben die Gewerkschaften für den 20. Oktober zu neuen Streiks im Bildungssektor aufgerufen. Neue Empörte gibt es auch unter Sozialarbeitern, Selbstständigen und sogar unter Apothekern, denen die Regionalregierungen ausstehende Rechnungen seit Monaten nicht bezahlen.

Eigentlich hatten die Empörten auch einen Generalstreik geplant. Doch bisher ist die Bereitschaft dazu in den Führungen der beiden großen Gewerkschaften gering, während sie an der Basis reift. Die Empörten erwarten, dass es nach den vorgezogenen Neuwahlen am 20. November zum Generalstreik kommt, wenn die neue Regierung mit neuen Grausamkeiten aufwartet. Schließlich haben beide großen Parteien nun sogar eine Schuldenbremse in der Verfassung verankert.