Internetenquete versinkt im Parteienkrieg

Statt inhaltlicher Arbeit vollführen die Enquetemitglieder parteitaktische Manöver

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Netzpolitische Themen werden immer wichtiger, sie können sogar wahlentscheidend sein. Das zeigt nicht zuletzt der derzeitige Ansturm auf die Piratenpartei, die sich nach der Wahl in Berlin vor neuen Mitgliederanträgen nicht mehr retten kann. Doch schon vor der Wahl zum Berliner Senat zeichnete sich ab, dass die etablierten Parteien ihr netzpolitisches Profil schärfen müssen, um nicht massiv an Wählern zu verlieren. Die Internet-Enquete des Bundestags sollte genau dies leisten – und bewirkt wohl exakt das Gegenteil.

Denn in den ersten zwei Sitzungsstunden der Enquete findet keinerlei inhaltliche Arbeit statt. Vielmehr lässt sich die Runde, nach der Aufforderung des Ausschussvorsitzenden Axel E. Fischer, statt griesgrämiger Blicke in den nächsten Minuten freundliche Gesichter zu machen, für eine Broschüre ablichten. Kurz darauf verfinstern sich die Minen der Enquetemitglieder wieder: Bei der Debatte darüber, ob Gutachten zu den Themen Netzneutralität und Urheberrecht in Auftrag gegeben werden sollen, führen die Enquetemitglieder offen parteipolitische Gefechte zu Lasten der Kommissionsarbeit.

Bereits im Juli hatten sich die Parteien grundsätzlich darauf verständigt, Gutachten zu diesen Themen in Auftrag zu geben. Doch die Angebote, die diverse Experten zu diesen Themen gemacht haben, passen dem Regierungslager offensichtlich nicht ins Konzept. So kommen die einzigen Anträge zur Vergabe der Gutachten aus den Reihen der Opposition.

Die Linke schlägt vor, ein Gutachten zum Thema "Vergütungsmodelle und ihre Auswirkungen auf die wirtschaftliche Situation von Urheberinnen und Urhebern" an Michel Clement und iRights.info zu vergeben. Die Grünen sprechen sich in einem Antrag ebenfalls für diese Vergabe des Urheberrechts-Gutachtens aus, zudem wollen sie ein Gutachten zur Netzneutralität an Arnold Picot und das Wissenschaftliche Institut für Infrastruktur und Kommunikationsdienste GmbH vergeben.

Beides ist aber nicht im Sinne der Koalition. In einem Antrag lehnt die Union ab, überhaupt ein Gutachten erstellen zu lassen. Jens Koeppen (CDU) begründet dies damit, dass sowohl die Arbeitsgruppen zum Urheberrecht als auch zur Netzneutralität ihre Arbeit bereits abgeschlossen hätten, ein Gutachten sei somit nicht mehr sinnvoll.

Schon im Vorfeld hatte sich abgezeichnet, dass die Gutachten wohl nicht erstellt werden – allerdings vermutet Markus Beckedahl, der als Sachverständiger in der Enquete arbeitet, politische Gründe. "Die Ausschreibung lief, aber da sich nur Wissenschaftler beworben haben, die eher eine progressive Linie in Sachen Urheberrechtsreform vertreten, möchte die Regierungskoalition einfach die Studien und ihre Ausschreibung beerdigen", schreibt er auf netzpolitik.org. Tatsächlich bestätigt Koeppen diese Sicht Beckedahls später selbst. Wenn ihm die Ausrichtung der Studie oder das Exposé nicht gefalle, dann sage er eben nein zu den Gutachten, so der Obmann der Union.

"Wofür tu ich das eigentlich?"

Die Opposition geht bei diesem Vorgehen der Koalition auf die Barrikaden. Die Vorschläge für die Gutachten lägen schon lange auf dem Tisch, und dass sie in Auftrag gegeben werden, sei grundsätzlich bereits beschlossen, so Lars Klingbeil (SPD). Petra Sitte (Linke) erinnerte daran, dass die Bundestagsabgeordneten derzeit permanent über das Urheberrecht diskutieren würden, wobei die Schlüsselfrage vernünftige Vergütungen für die Urheber seien. Da die Enquete dem Gesetzgeber Richtungen aufzeigen sollte, sei das Gutachten wichtig. Sie kritisiert, dass die Koalition keine konkrete Kritik an den Exposés vorzubringen weiß. Würde die Enquete so weiterarbeiten, so könnten vieles nicht sachgerecht bearbeitet werden. Von Thomas Jarzombek (CDU) kam stattdessen nur der Vorschlag, doch lieber ein Gutachten über Existenzgründungen in Auftrag zu geben.

Auch die Sachverständigen reagieren auf das Vorgehen der Koalition verständnislos. Jeanette Hofmann fragt, warum die Vergabe der Gutachten im Juni überhaupt befürwortet wurde – immerhin stand bereits da fest, dass die Gutachten erst nach dem Ende der Projektgruppenarbeit entstehen würden. Hofmann zeigte sich bestürzt darüber, dass Dinge, die eigentlich besprochen waren, nun umgedreht würden und gab sich resigniert: "Wofür tu ich das eigentlich?" Selbst Dieter Gorny, der von der Koalition in die Enquete geholt wurde, hatte kein Verständnis dafür, dass das Gutachten nun doch nicht zustande kommen soll, immerhin könnte es wertvolle Daten liefern.

Die Kritik der Koalition, die Opposition würde Steuern verschwenden und Geld für wenig sinnvolle Gutachten ausgeben, wollte Konstantin von Notz (Grüne) denn auch nicht stehen lassen. Vielmehr müsste der Steuerzahler von Notz zufolge dafür zahlen, dass man sich auf die Vereinbarungen mit Union und FDP nicht verlassen könne.

Uneinigkeit über Nezuneutralität

Auch im Bereich Netzneutralität gibt es grundsätzliche Differenzen zwischen dem Regierungslager und der Opposition. Einig sind sich beide Seiten grundsätzlich darin, dass Netzneutralität eine große Bedeutung für einen freien Zugang zu Inhalten und die Meinungsfreiheit ist. Parteiübergreifend lehnen die Enquetemitglieder Netzsperren und die Kontrolle von Inhalten durch die Netzbetreiber ab. Doch während die Opposition schon Anzeichen dafür erkennt, dass die Netzneutralität in Gefahr ist, möchte dies die Koalition nicht feststellen.

Jimmy Schulz (FDP) stellt klar, dass seiner Meinung nach keine gesetzliche Verankerung der Netzneutralität nötig sei. Die Vergangenheit habe gezeigt, dass sich der Markt selbst regulieren und die Nutzer auch mit den Füßen abstimmen könnten. Im Kabelbereich erkennt Schulz derzeit keine Verletzung der Netzneutralität, lediglich bei Mobilfunkanbietern könne man derartiges immer wieder beobachten. Doch auch hier kann nach Schulz Meinung der Markt noch alles regeln. Schulz zufolge würden Dienste, die von den Mobilfunkanbietern nicht geliefert würden, recht schnell einen Konkurrenten auf den Plan rufen, der die Lücke schließt.

Der Sachverständige Hubertus Gersdorf sieht in der Dienstedifferenzierung sogar eine Notwendigkeit im Sinne der Informationsfreiheit und stellt die Frage in den Raum, warum seine Mutter, die sich nicht für Gaming interessiere, für die Kosten von Diensten herangezogen werde, die sie überhaupt nicht nutze. Lediglich ein Gamer solle Gamerkosten zahlen, fordert der Jurist. Zudem sei es ein soziales Prinzip, wenn nicht jeder alles zahlen müsse.

Markus Beckedahl betont hingegen, dass nur ein anwendungsblindes Netz überhaupt in der Lage sei, Vielfalt und Chancengleichheit zu sichern. Nicht überall in Deutschland gebe es einen Markt, der einen Anbieterwechsel überhaupt erlaube. Zudem würde im Mobilfunkbereich oft nur ein kastrierter Internetzugang geliefert, weshalb Beckedahl die Gleichbehandlung von Mobilfunk und Festnetz fordert.

Constanze Kurz (CCC) erinnert daran, dass im Mobilfunkbereich insbesondere VoIP bereits gesperrt sei und das Argument, der Markt könne es richten, daher ad absurdum geführt sei. Zudem verweist sie auf eine Anhörung des offenbar scheidenden Präsidenten der Bundesnetzagentur, Matthias Kurth. Diese wurde unter Ausschluss der Öffentlichkeit in der Enquete durchgeführt. Kurth habe darin erklärt, der Bundesnetzagentur hätte insbesondere im Mobilfunkbereich kaum Möglichkeiten, bei Verstößen gegen die Netzneutralität einzugreifen. Die Abgeordneten der Koalition wollen derartige Kritik von Kurth nicht gehört haben und halten die Kompetenzen der Bundesnetzagentur für ausreichend.

Hier zeigt sich, neben der vor allem parteipolitischen Rangelei, die die Enquete immer wieder an den Rand der Arbeitsfähigkeit zu bringen scheint, ein weiterer Schwachpunkt: Viele Sitzungen der Enquete, insbesondere in den Projektgruppen, sind nicht öffentlich. So haben Abgeordnete und Sachverständige im öffentlichen Teil die Möglichkeit, sich ohne Kontrolle der interessierten Bürger gegenseitig den Schwarzen Peter zuzuschieben. Ein Makel, der um so schwerer wiegt, als die Enquete doch neue Formen der Bürgerbeteiligung ausprobieren soll und mit dem Versprechen maximaler Transparenz angetreten ist. Ein Antrag, die bisher verschlossenen Türen der Enquete für die Öffentlichkeit ein Stück weit aufzustoßen, war eigentlich für die aktuelle Sitzung angekündigt, wurde aber doch nicht zur Abstimmung gestellt.

Die nächste Chance zu zeigen, dass sie sinnvoll arbeiten kann, hat die Enquete erst wieder im Dezember. Das ist zugleich auch der letzte Termin, Gutachten zu vergeben. Wird er nicht genutzt, verfällt das dafür vorgesehene Geld. Steht das Regierungslager dann abermals ohne eine Idee da, was sie überhaupt untersuchen lassen möchte, dann wird sie sich den Vorwurf gefallen lassen müssen, die Arbeit der Enquete zu behindern, um für sie unangenehme Ergebnisse schon im Ansatz zu unterdrücken.