Bis zum letzten Tropfen Öl

Die Energie- und Klimawochenschau: Die Treibhausgas-Emissionen wachsen weiter, und einige Industriestaaten werden in ihrem Energieeinsatz sogar ineffizienter. Derweil will RWE DEA auch noch den letzten Tropfen Öl aus dem hochsensiblen deutschen Wattenmeer pumpen

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Schlechte Nachrichten für das Klima. Das US-Energieministerium hat, wie berichtet, neue Zahlen der globalen Treibhausgasemissionen veröffentlicht. Demnach sind die Emissionen so rasch gestiegen, wie selten zuvor in der jüngeren Vergangenheit.

33,5 Milliarden Tonnen Kohlendioxid wurden 2010 weltweit in die Luft geblasen. Rund die Hälfte davon, wird dort für die nächsten tausend oder noch mehr Jahre verbleiben und als Treibhausgas wirken, während die andere Hälfte von den Ozeanen und der Biosphäre aufgenommen wurde.

Grafik: Carbon Dioxide Information Analysis Center

Gegenüber dem Vorjahr war das ein Anstieg um 5,9 Prozent. Allerdings waren 2009 aufgrund der Weltwirtschaftskrise zum ersten Mal seit den 1950er Jahren die Emissionen zurück gegangen. Insofern hört sich der starke Zuwachs zwar alarmierend an, fällt aber nicht ganz so stark aus dem Rahmen, wie es zunächst erscheint. Im Vergleich zu 2008 lag 2010 ein Zuwachs von 4,5 Prozent vor, über zwei Jahre gemittelt ergibt sich also ein jährliches Wachstum der Emissionen von 2,4 Prozent. Das hört sich schon etwas weniger dramatisch an, allerdings bewegt sich die Menschheit immer noch am oberen Ende der Szenarien, das heißt der derzeitige Kurs steuert eher auf eine globale Erwärmung von 4,5 Grad oder mehr zum Ende des Jahrhunderts zu.

Da die Zahlen von der US-Regierung veröffentlicht wurden, darf natürlich nicht der Hinweis auf den dort allseits beliebten Sündenbock fehlen. "Ein großer Teil des 5,9prozentigen globalen Anstiegs von 2009 auf 2010", heißt es auf der oben verlinkten Ministeriumsseite, "ist das Ergebnis gestiegener Emissionen des weltgrößten Emittenten (das steht da wirklich so, gemeint ist natürlich Verbraucher) fossiler Brennstoffe, der Volksrepublik China, deren Emissionen um zehn Prozent auf 2,247 Teragramm Kohlenstoff stiegen." (8,24 Milliarden Tonnen CO2)

Bei genauerem Hinsehen ergibt sich, dass "ein großer Teil" oder "much" etwas weniger als die Hälfte des weltweiten Anstiegs ausmacht. Chinas Emissionen haben um 824 Millionen Tonnen CO2 zugelegt, womit die Pro-Kopf-Emission dort nun bei rund 6,2 Tonnen CO2 pro Jahr liegen. Die USA haben 2010 220 Millionen Tonnen CO2 mehr in die Luft geblasen, insgesamt 5,49 Milliarden Tonnen, was pro Kopf und Jahr 17,72 Tonnen macht. Der chinesische Klima-Chefunterhändler hat übrigens kürzlich versprochen, dass man nie dieses US-amerikanische Niveau erreichen werde.

Eine besondere Note zur differenzierteren Einschätzung der Entwicklung trägt ein anderer Bericht bei, der von der internationalen Beraterfirma PwC erstellt wurde. Demnach nahmen 2010 die Emissionen erstmals seit langem stärker als die globale Wirtschaftsleistung zu. Zuvor waren im zurückliegenden Jahrzehnt die Emissionen im Verhältnis zur Wirtschaftsleistung um 0,7 Prozent pro Jahr gesunken. Notwendig wäre, um die Erwärmung auf zwei Grad zu begrenzen, eine jährliche Abnahme um 4,8 Prozent bis 2050.

Ein Blick auf die einzelnen Daten zeigt, wer die wahren Schmutzfinken sind,und wie wackelig die Schuldzuweisung an Länder wie Indien und China ist. Im weltweiten Mittel nahmen die Emissionen pro Wirtschaftsleistung 2010 um 0,6 Prozent zu. In Indien nahmen sie hingegen um 0,5 Prozent und in Südafrika um 1,2 Prozent ab. In der Türkei war es sogar ein Minus von 2,6, in Argentinien von 4,8 und in Mexiko von 5,1 Prozent.

China liegt dagegen wie übrigens auch Deutschland und die EU mit einem geringen Wachstum von 0,1 Prozent im Mittelfeld. Das zeigt zwar, dass die Volksrepublik 2010 auf der Stelle getreten ist, obwohl man doch laut politischer Planung bis 2020 die CO2-Intensität der Wirtschaft auf rund 55 Prozent des Niveaus von 2005 drosseln will. Aber es gibt auch Länder, die nicht nur ein ohnehin schon viel höheres Emissionsniveau erreicht haben, sondern dieses auch noch weiter steigerten: zum Beispiel die USA, Russland und Großbritannien, wo der Treibhausgasausstoß pro Wirtschaftsleistung um 1,2, 2 und 2,2 Prozent zunahm.

Reißende Geduldsfäden

Aber wie auch immer die Verantwortung verteilt ist, die Zeit drängt. Bis zum Ende des Jahrzehnts muss der weitere Anstieg der Emissionen allerspätestens aufgehalten werden und danach rasch absinken, wollen wir zumindest eine 50prozentige Chance haben, die globale Erwärmung bis zum Ende des Jahrhunderts auf zwei Grad Celsius zu beschränken. Darauf haben Klimawissenschaftler in den letzten Jahren immer wieder hingewiesen.

Entsprechend reagieren die voraussichtlich ersten Opfer des Klimawandels, die kleinen Inselstaaten, immer ungeduldiger auf die zahlreichen Verzögerungen im Verhandlungsprozess. Ende des Monats beginnt im südafrikanischen Durban die diesjährige UN-Klimakonferenz. Viele Entwicklungs- und Schwellenländer streben an, dort eine Verlängerung des Kyoto-Protokolls durchzusetzen.

Doch derzeit sieht es nicht danach aus, dass sie damit Erfolg haben könnten. Die USA werden auf keinen Fall zustimmen und auch Japan und Russland wollen sich hinter dieser Weigerung verstecken. Australien und Norwegen haben vorgeschlagen, 2015 als Deadline für ein neues internationales Abkommen festzulegen. Japan und Russland haben jedoch abgewunken und wollen mehr Zeit für weitere Verhandlungen.

Sie würden gerne mit einem Vertrag bis 2018 warten, berichtet die Zeitung The Australian. Das findet die Vereinigung der kleinen Inselstaaten AOSIS wiederum skandalös. Solche Vorschläge sind "sowohl rücksichtslos gegenüber der Umwelt als auch politisch unverantwortlich", meint der Umweltminister Grenadas, Joseph Gilbert, im Auftrag der AOSIS. "Wenn wir das zulassen", so Gilbert weiter, "werden sich die Probleme der globalen Erwärmung verschlimmern und die Auswirkungen für Länder wie Grenada werden verheerend sein."

AOSIS fordert, die Zunahme der globalen Erwärmung unter 1,5 Grad Celsius zu halten, um zu überleben. Bild: AOSIS

Schmutzige Kohle

Doch auch in Deutschland wird munter weiter Kohle in Kraftwerken verbrannt, in etwa die Quelle für die Hälfte der hier reichlich emittierten Treibhausgase (pro Kopf und Jahr 11 Tonnen). Sofern es nicht die minderwertige Braunkohle aus heimischen Lagerstätten ist, wird der größte Teil davon importiert. Hauptlieferant ist seit neuestem Kolumbien.

Dort, so berichteten letzten Monat südamerikanische Aktivisten auf einer Konferenz in Berlin, werde Kohle zumeist unter Bedingungen gewonnen, die nur als Raubbau an Mensch und Umwelt bezeichnet werden können. Im Nordosten des Landes wurden in den letzten zehn Jahren im großen Stil Tagebaue erschlossen. Profiteure sind ausländische Konzerne wie Glencore aus der Schweiz, Drummond und Goldman Sachs aus den USA und Vale aus Brasilien.

Den Menschen vor Ort bleiben nur die Gesundheitsprobleme, die der Staub der Abraumhalden und der nicht abgedeckten Güterzüge mit sich bringt. Ihre Lebensgrundlagen, Äcker, Wälder und Flüsse, sind mit den Gruben verschwunden, Jobs gibt es für sie selten, denn dafür fehlt es ihnen an der nötigen Ausbildung.

Hierzulande ist lange mit dem Versprechen vermeintlich sauberer Kohle für neue Kraftwerke geworben worden. Doch das Gesetz, das den rechtlichen Rahmen für die CO2-Abscheidung schaffen sollte, ist im Bundesrat durchgefallen. Zur Zeit wird es im Vermittlungsausschuss von Bundestag und -rat debattiert, aber viel Aussicht auf Erfolg gibt es wohl nicht.

Denn die Abscheidung ist nicht nur vom zweifelhaftem Nutzen für Klima und Umwelt, insbesondere wenn man sich die Folgen des Tagebaus in Kolumbien oder auch hierzulande ansieht. Es will auch keiner das verpresste CO2 vor seiner Haustür haben. Wegen des Widerstandes in den verschiedensten ländlichen Regionen zwischen dem schleswig-holsteinischen Nordfriesland und dem südöstlichen Brandenburg, hatte es ja zuletzt Vorschläge gegeben, auf See auszuweichen.

Aber auch dort, bei den Inselfriesen, regt sich Widerstand. Letzte Woche lehnte die Insel- und Halligenkonferenz auf einem Treffen im nordfriesischen Husum die Einlagerung des Treibhausgases im Wattenmeer oder weiter draußen außerhalb der 12-Meilen-Zone ab, wie die Husumer Nachrichten schreiben. Zu der Konferenz treffen sich regelmäßig die Bürgermeister der in der Nordsee gelegenen Nord- und Ostfriesischen Inseln sowie Helgolands und auch der Halligen. Letzteres sind sehr kleine Inseln, die keine oder nur Sommerdeiche haben. Dort schützen sich die Bewohner gegen die wiederkehrenden Sturmfluten, in dem sie ihre Häuser auf künstlichen Hügeln, sogenannten Warften, errichten.

Die Insel-Bürgermeister forderten auch, dass endlich die Küstenwache unter dem Dach des Bundes zusammengefasst und vereinheitlicht wird. In der Vergangenheit war es zu schwerwiegenden Verzögerungen aufgrund unklarer Kommunikationswege und Zuständigkeiten gekommen. Angesichts des geplanten Aufbaus von Offshore-Windparks wachsen auch die Risiken für die Schifffahrt und damit der Bedarf für effektive Notfalleinsätze.

Auf Helgoland werden derweil Vorbereitungen für den Hafenausbau getroffen. Die Hochseeinsel soll für RWE Innogy wegen ihrer Nähe zu einer ganzen Reihe der geplanten Parks zu einem der Servicestationen sowohl während des Aufbaus als auch für den Betrieb werden.

Ölförderung im Wattenmeer

Das Unternehm RWE DEA will in der Nordsee nach Öl suchen. An vier Stellen sollen im Wattenmeer Probebohrungen abgeteuft werden. Vermutet werden Vorkommen von 23 Millionen Kubikmetern Erdöl.

Das Wattenmeer ist eines der artenreichsten Ökosysteme der gemäßigten Breiten und spielt für den Bestand vieler Fischarten eine wichtige Rolle. Daher sind große Teile des niedersächsischen und schleswig-holsteinischen Wattenmeeres als Weltnaturerbe angemeldet. Die betroffenen Gebiete zwar nicht, allerdings gehören auch sie zu den geschützten Küsten-Nationalparks.

Dennoch wird vor der Küste des südlichen Schleswig-Holsteins, unweit der Elbmündung, bereits seit vielen Jahren Öl gefördert (Offshore-Plattformen vor den deutschen Küsten). Sollten die Erkundungen fündig werden, soll das Öl entweder von der bestehenden Plattform Mittelplate A oder aber von Land aus gefördert werden. Dafür müsste vermutlich horizontal gebohrt werden, was durchaus möglich ist.

Das Unternehmen lobt seine eigenen Sicherheitsstandards in höchsten Tönen, aber die Kritiker beruhigt das nicht. Zu ihnen gehört auch die Partei der friesischen und dänischen Minderheiten, der Südschleswigsche Wählerverband SSW. Dessen wirtschaftspolitischer Sprecher im Kieler Landtag, Lars Harms, lehnt die Probebohrungen rund weg ab:

Die Unversehrtheit des einmaligen Ökosystems im Nationalpark Wattenmeer muss ohne Wenn und Aber Vorrang vor den ökonomischen Interessen der Ölkonzerne haben. Gegen ungewollte Ölunfälle gibt es nur eine absolut zuverlässige Verhütungsmethode und das ist die Enthaltsamkeit. Deshalb fordern wir die RWE-DEA auf, auf Erkundungsbohrungen zu verzichten und sich aus der Ölförderung im Wattenmeer zurückzuziehen.

Mit dem Rückzug wird es aber vorerst nichts werden. Eigentlich wären die Lizenzen Ende des Jahres abgelaufen, aber im Mai letzten Jahres hatte das Kieler Wirtschaftsministerium in aller Stille und klammheimlich für eine Verlängerung bis 2041 gesorgt. Weder das Umweltministerium noch der Landtag wurden zum Thema angehört. Den Landtagsabgeordneten wurde sogar unter dem Eindruck der Umweltkatastrophe im Golf von Mexiko der Eindruck vermittelt, es sei noch gar nichts entschieden. Ölpolitik nach Gutsherrenart.