Ich weiß, dass ich nichts weiß, und das ist auch gut so!

Nach einer psychologischen Studie neigen die Menschen dazu, sich hinter ihrem Nichtwissen zu verbarrikadieren und gleichzeitig stärker den Experten oder Regierungen zu vertrauen

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Der wirkliche Beginn der Philosophie dürfte nicht wirklich darin gelegen haben, dass Menschen etwas gewusst haben, das sie beispielsweise der Religion entgegen gesetzt haben, sondern dass sie das Wissen der existierenden Experten angezweifelt und auch für sich nicht Wissen beansprucht haben. Der zentrale Satz von Sokrates, den uns Platon übermittelt, lautet bekanntlich, ich weiß, dass ich nichts weiß. Allerdings ist die Erkenntnis kein Ende, sondern der Beginn, selbst nach besserem Wissen oder anderen Informationsquellen zu suchen.

Psychologen haben in einer Studie gerade bestätigt, dass diese Einsicht keineswegs verbreitet ist. Menschen, die kaum etwas über ein wichtiges Thema wissen oder ein Thema aufgrund seiner Komplexität nicht verstehen, das sie auch selbst betrifft oder das dringlich ist, sind nicht neugierig und suchen nicht nach weiteren Informationen, sondern bilden erst recht nach der Devise Scheuklappen aus, dass sie schon gar nichts von dem wissen wollen, was sie nicht kennen.

Für die Studie, die vorab online in der Zeitschrift Journal of Personality and Social Psychology erschienen ist, haben die Wissenschaftler insgesamt 511 Personen in den USA und Kanada 5 Versuche ausführen lassen. Die Hypothese ist, dass es eine Art Kettenreaktion gibt, die die Hilflosigkeit bzw. das Vertrauen in Autoritäten verstärkt. Unwissenheit in soziopolitischen Themen führt, so die Psychologen, zu einer größeren Abhängigkeit und einem größere Vertrauen in die Regierung und zur Vermeidung weiterer Informationssuche oder Kenntnisnahme. Die Probleme werden gewissermaßen outgesourct. Typisch sei, so ein Ergebnis einer zitierten Umfrage, dass die Menschen zwar fordern, die Politiker müssten über wirtschaftliche Zusammenhänge Bescheid wissen, während sie dies aber für die Bürger bei weitem nicht in diesem Ausmaß als notwendig erachten. Das Verhalten gegenüber dem eigenen Unwissen geht über den bekannten Sachverhalt hinaus, dass die Menschen nur wahrnehmen, was sie auch wahrnehmen wollen, weil sie an Meinungen festhalten (Kognitive Immunität vor Informationsflut)

Ausgangspunkt für die Fragestellung war, dass viele Menschen in den USA trotz eindringlicher Hinweise auf bedrohliche Aspekte der Klimaerwärmung wie Al Gores Film "An Unconvenient Truth" die Augen aktiv verschließen, weil ihnen das Thema zu komplex ist, und davon ausgehen, dass die Regierung schon das Richtige machen wird, wenn man nicht gleich das Problem leugnet. In einem Versuch wurden Beschreibungen der Plasmafusion und der elektrodynamischen Fusion für eine Gruppe in einer einfachen und verständlichen Darstellung und für die andere Gruppe in einer komplexen, wissenschaftlichen und schwer verständlichen Sprache vorgelegt. Die Versuchsteilnehmer sollten dann auf einer Skala angeben, ob sie die beiden Methoden verstanden haben und ob die Themen schwer zu begreifen sind. Dann wurde ihnen ein Text vorgelegt, nach dem verschiedene Behörden und Experten diese Methoden der Energieerzeugung bewerten wollen. Sie sollten sagen, wie weit sie diesen vertrauen, das Richtige zu tun. Ergebnis war, dass diejenigen, denen die schwierigen Texte vorgelegt wurden und die die Techniken schwer begreifbar fanden, auch mehr Vertrauen in die Behörden und Experten hatten.

In einem anderen Versuch zeigten sich die Teilnehmer, die am meisten von der Wirtschaftskrise betroffen waren, am stärksten abgeneigt, Informationen zur Kenntnis zu nehmen, die die ökonomische Kompetenz der Regierung in Frage stellten. In einem weiteren Experiment gaben sich die Teilnehmer, die komplexe Beschreibungen über ökonomische Zusammenhänge erhielten, hilfloser, durch die Wirtschaftskrise zu kommen, trauten der Regierung eher zu, das zu managen, und hatten weniger Antrieb, mehr über die Zusammenhänge zu wissen. Und bei einem Versuch, in dem es um die Ölressourcen ging, waren diejenigen, die nicht Bescheid wussten, am stärksten dagegen, negative Informationen zur Kenntnis zu nehmen, zudem verstärkte sich diese Haltung, wenn unterstellt wurde, dass auf die USA aufgrund der Knappheit in 40 Jahren eine Ölkrise zukommen wird.

Falls Menschen tatsächlich nicht nur bockig werden, wenn sie etwas nicht verstehen, sondern sich in kognitive Erstarrung flüchten und aktiv die weitere Aufnahme von Informationen vermeiden, zumal wenn die Probleme drängend werden oder sie negativ sind, während sie Regierungen, Politikern und Experten desto mehr vertrauen und die Verantwortung an sie abgeben, dann sind das schlechte Nachrichten für Demokratien. Für die Psychologen ist besonders schwerwiegend, dass die Abwehrhaltung vor allem bei Themen auftritt, die komplex, drängend und ernsthaft sind. Allerdings, darauf weisen sie ebenfalls hin, gibt es natürlich kritische Bewegungen wie die Tea Party oder die Occupy-Bewegung in den USA, die der Regierung oder Experten nicht vertrauen und auch aktiv nach mehr und anderen Informationen suchen (wobei auch in solchen Bewegungen ja die Abwehrhaltung, nicht mehr von einem komplexen Thema wissen zu wollen, zu finden ist, weil man überzeugt ist, die richtige Antwort schon in der Tasche zu haben).

Die Psychologen regen als Konsequenz ihrer Studie vor allem an, dass diejenigen, die breite Bevölkerungsschichten auch im Hinblick auf komplexe Themen und Entscheidungen erreichen und nicht abschrecken wollen, diese einfach verständlich darstellen sollten. Das ist allerdings keine neue Erkenntnis, zumal dann die Gefahr besteht, die Komplexität zu sehr zu reduzieren, so dass der Effekt nicht viel anders ist.