Der Wahnsinn der europäischen IT-Förderung

Wie 10 europäische Universitäten Förderung für einen längst erfundenen Roboter bekamen

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Sie wissen, was "ICT" bedeutet? Sind bereit, das Geheimnis von CELTIC und CORDIS zu erkunden? Verfügen über ein möglichst universitätsnahes Network in Bosnien, Estland, Italien und Frankreich? Ihr Institut hat Personalausgaben, von denen sie noch nicht wussten, dass sie zu förderungswürdiger Innovationsforschung zählen? Dann gehören sie zum Kreis jener IT-Fachleute, denen im Rahmen des 7. Forschungsrahmenprogramms der Europäischen Union seit 2007 insgesamt 9 Milliarden Euro zur Verfügung gestellt wurden.

9 Milliarden Euro für europäische IT-Forschung

Mit diesem Betrag wären natürlich Google, Facebook, Adobe und Apple europäische Unternehmen geworden, zumindest aber wären sie beim Markteintritt auf europäische Konkurrenz gestoßen. Dass bisher trotzdem möglicherweise nicht ein Euro dieses Betrages in sichtbare oder wenigstens nützliche IT-Innovation wanderte, ist ein noch zu erklärendes Phänomen.

Die erste Spur findet sich im 40-seitigen Leitfaden für die erfolgreiche Beteiligung an diesem EU-Förderprogramm, der vom Bundesforschungsministerium veröffentlicht wird. Es reicht, die Seite vier zu lesen, um zu wissen: Hier soll möglichst niemand Anträge stellen. Die Mittel sind unter den Insidern alle längst verteilt. Aber 9 Milliarden Euro sind doch ein ziemlicher Betrag. Wohin gingen die Gelder? Die EU hat darauf eine interessante, informationstechnologische Antwort, nämlich das Portal ICT-Results.

Oh Wunder: Alle Projekte werden mit Förderende abgeschlossen

Es fällt zunächst auf, dass seit 13 Monaten, nämlich seit Oktober 2010, überhaupt keine Ergebnisse mehr vorliegen. Vorher gab es noch alle 10 Tage ein Update. Auch im Press-Room enden die Ergebnisse der 9 Milliarden Euro am 29. Oktober 2010. Oh Wunder, mehrere tausend, meist mehrjährige Forschungsprojekte werden pünktlich zum Förderende abgeschlossen. Welche informationstechnologische Sensation erblickte an diesem Tag das Licht der Weltöffentlichkeit?

Es ist zum Beispiel das Projekt Paco-Plus, das man mit viel Geduld und Einfühlungsvermögen als Testreihe zur Erprobung von Roboterprototypen bezeichnen könnte. Höhepunkt der Testreihe laut EU-Mitteilung:

At each stage the coach tells the robot ‘open the dishwasher’, ‘take this object/cup’, ‘put it in the dishwasher’. Over time, the robot learns these sorts of actions.

This is a phenomenally sophisticated demonstration of robotic learning, and it was achieved, using a new approach, in the space of just four years. As such it stands as a remarkable testament to the work ethic of the PACO-PLUS team and the power of its approach.

Zentrale Zukunftsaufgabe: Spülmaschine ausräumen

Nie wieder haben wir von diesen Robotern gehört, die für uns das Geschirr in den Geschirrspüler einräumen sollen. Das Team von PACO-PLUS, dessen Arbeitsethik von der EU so enthusiastisch gelobt wird, hat synchron mit dem Ende der Förderung auch gleich das Projekt eingestellt. Die letzte angebliche Pressemeldung datiert vom 15. November 2010. Es ist aber gar keine Pressemeldung, sondern eine Meldung der weltgrößten Lobbyorganisation für derartige Technologien, der IEEE, die es gar nicht erst für nötig hält, im IT-Mekka Europa überhaupt ein Büro zu unterhalten.

Wer hat dort so fleißig geforscht? Bis vor kurzem war www.ira.uka.de die Webseite der Fakultät für Informatik der Universität Karlsruhe, inzwischen in Karlsruher Institut für Technologie umbenannt. Dort kann man unter "Forschung" herausfinden, dass dort bereits seit 2001 lernende Roboter erforscht werden, diese Forschung aber am 30.06.2012 beendet werde. Wenn aber die Forschung, wie auch die EU stolz am 29. Oktober 2010 mitteilte, wegen ihres enormen Erfolges fortgesetzt wurde - warum endete dann PACO-PLUS?

ARMAR III. Screenshot von einem Präsentationsvideo des KIT

Mit der Förderung verschwindet auch das Projekt

Die Antwort lautet: PACO-PLUS war eines von vielen Scheinprojekten, die auf die EU-Förderung zugeschnitten wurden. Ziel der Universität Karlsruhe war es dabei, eine bereits seit 2001 laufende, teure und voraussichtlich ergebnis- und nutzlose Spielerei von der EU finanzieren zu lassen und so die für die Finanzierung wichtige Ausweisung von Drittmitteln zu befördern. Sobald die EU nicht mehr zahlt, stampft man das Projekt ein und leitet von der Projektseite noch nicht einmal zum eigenen Institut weiter. Möchte man auf der Institutsseite mehr über das intern Projekt 588 genannte Roboterlernprojekt erfahren, gelangt man zu der Seite www.sfb588.uni-karlsruhe.de/404.html ICT Spitzenforschung 2011. Natürlich hat auch die Deutsche Forschungsgemeinschaft das High-Tech-Projekt mit gefördert. Der Sinn? "Um vom Menschen akzeptiert zu werden und gemeinsam mit dem Menschen agieren zu können, ist eine zumindest menschenähnliche Gestalt des Roboters von Vorteil."

SONY und HONDA haben ihre Roboter bereits 2005 vorgestellt und konnten 2006 gar mit einem Robotorballett aufwarten. 2007 konnte der Roboter der Universität Tokio sogar eine Flasche ergreifen und ein Glas eingießen.

Und so kommt es zum bisher einzigen Pressetermin am 17. November 2010, bei der Roboter ARMAR Bundeskanzlerin Merkel begrüßt und ihr eine Rose überreicht. Eine Millionen-Euro-Rose. Von einer nicht verwendbaren Technologie, die Japan spätestens seit 2005 besitzt. Auf die Frage nach den Kosten, die in einem Video gestellt wurde, antwortete der leitende Forscher Dr. Tamim Asfour: "200.000 Euro". Er meinte die Materialkosten. Sein Chef, Professor Rüdiger Dillmann, Professor am Institut für Anthropomatik am Karlsruher Institut für Technologie, weiß es auf Nachfrage von Telepolis besser. Er beziffert die Gesamtkosten von ARMAR seit 2001 gegenüber Telepolis auf etwa 20 Millionen Euro.

Das IT-Fördergeld geht immer vom Staat an den Staat

Damit jede praktische Anwendung von ARMAR und PACO-PLUS ausgeschlossen ist, haben die Karlsruher sinnvollerweise und in der Gewissheit, auf diese Art den Antrag am besten bewilligt zu bekommen, in ihrem Konsortium ausschließlich Universitätsinstitute und diese wiederum aus den Ländern der Hauptgutachter ausgewählt. Und so gingen die EU-Millionen für ICT-Innovation an kein einziges Unternehmen, sondern an die Universitäten von Karlsruhe, Stockholm, Göttingen, Kopenhagen, Leiden, Ljubljana, Barcelona, Edinburg, Odense und Liège.

Laut Rüdiger Dillmann erhielt das Projekt 7 Millionen Euro bei einer Förderquote von 100 Prozent.

Die EU-Mittel werden dann als angeblich inmitten harter, internationaler Konkurrenz "eingeworbene" Drittmittel bilanziert, mit denen die Unis sich als nationale Exzellenzuniversitäten weitere Pfründen sichern: Viele Staaten und Bundesländer legen nämlich auf jeden Scheineuro aus dem EU-Budget noch eine direkte oder indirekte Prämie drauf. Dillmann zu Telepolis: "Die Politik sagt: Bringt uns das, was wir an die EU zahlen, ins Ländle zurück." Inzwischen vergibt das Land Extramittel für die Antragstellung von EU-Projekten.

Dieses Geschäftsmodell, das auch als "the taxpayer pays three times" (TPTT) bezeichnet werden kann, funktioniert auch in Deutschland hervorragend. Es wird gerne als Forschungswettbewerb bezeichnet, da die Bewilligungsquote "nur" 50 Prozent beträgt.

Das Anreizsystem: Je mehr Bundes- und Landesmittel ein Institut erhält, desto mehr aufwändig zu beantragende (Minimum: ein Mannjahr) EU-Mittel kann es einwerben, was wiederum aufgrund der hohen "Drittmittelquote" zu einer Bevorzugung bei der Erteilung von Bundes- und Landesmitteln führt. Dass diese Projekte auch einen Nutzen zumindest in der Ausbildung von Experten in humanoider Robotik haben, dass Komponenten des Roboters anderswo Einsatz finden, dass Deutschland auch in der globalen Robotik mitmischen soll, darf aber nicht verschwiegen werden. Dillmann hat jedenfalls auch eine humane Mission: In der Stadt der Zukunft sollen dereinst Roboter Hilfsarbeiten für den Menschen verrichten. Derweil hat SONY seine Roboterforschung bereits eingestellt.

Wem ARMAR und PACO-PLUS als Erfolgsbeweis der EU-IT-Forschungsförderung nicht reicht, der kann sich einmal mit dem Projekt der 3-D-Darstellung von 50 griechischen Inseln beschäftigen, ein nunmehr gelöstes Rätsel der Menschheitsgeschichte und wesentlicher Beitrag zur Zukunft des digitalen Zeitalters. Partner: Malta, Italien, Zypern und Frankreich. Letzte News über das Projekt: 2. September 2010.

Mit neun Milliarden könnten 9000 Startups IT-Innovation finanzieren

Oder wie wäre es mit dem multinationalen Großprojekt www.miauce.org, dessen Webseite am 04.12.2011 wegen Nichtbezahlung der Domaingebühr deaktiviert wurde? Ein Projekt der staatlichen französischen Forschungsorganisation CNRS. "Can a computer read your body language?" Diese epochale Frage war übrigens in MIAUCE mit rund 3 Millionen Euro zu klären.

Für die EU sind alle drei Projekte der öffentliche Beweis für den Erfolg des 9-Milliarden-Euro-Programms.

Neun Milliarden Euro erscheinen viel - aber im Bereich vermeintlicher Hochtechnologie, in Weltraumfahrt, Glasfasernetzen, Speichertechnologien und Teilchenbeschleunigern mit Beschäftigung von "Eliteforschern" von DFG und CNRS sind sie nichts.

Für 9000 KMU aber wären die neun Milliarden der sonst nicht finanzierbare Markteintritt in die weltweite Informations- und Kommunikationstechnologie, die Europa lieber Japan, China und den USA überlässt.