Internetnutzer wollen gar nicht kriminell sein

Die aktuelle Diskussion um die Verschärfungen des Copyright-Schutzes zum Anlass nehmend hat ein amerikanischer Think-Tank das Downloadverhalten von Internetnutzern untersucht und ist dabei zu einigen überraschenden Resultaten gekommen

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Dass die Unterstützung für SOPA und den Protect-IP-Act zumindest in ihrer aktuellen Form selbst in der US-amerikanischen Legislative nachlässt (inzwischen sind nicht nur die Abstimmungen auf unbestimmte Zeit verschoben, es rudern auch mehrere der ursprünglichen Antragsteller zurück) hat nicht zuletzt mit dem öffentlichkeitswirksamen massiven Lobbying von Internetfirmen zu tun. Zu Recht sehen sich diese in ihren Geschäftsmodellen bedroht, die nun einmal ganz wesentlich auf einem möglichst freien Verkehr aller möglichen, auch urheberrechtsgeschützten, Daten beruhen. Die ganz prinzipielle Notwendigkeit einer Ausweitung, respektive Neuanpassung von Copyright-Regelungen wird dabei eher selten in Frage gestellt. Die Idee, dass "geistiges Eigentum" eines besonderen Schutzes zu seiner kommerziellen Verwertung bedarf, begründet sich dabei in einer auf den ersten Blick plausiblen Annahme: Wenn eine Ware (zum Beispiel Musik) kostenlos zur Verfügung stünde, würde niemand willens sein, für den Genuss selbiger zu bezahlen.

Selbst wenn man den vorausgesetzten Warencharakter von Kunst und Kultur und die pauschale Unterstellung der kriminellen Energie breiter Bevölkerungsschichten nicht in Frage stellen möchte, ist bereits mehrfach angemerkt worden, dass diese Rechnung nur zur Hälfte aufgeht. Genauso plausibel lässt sich nämlich vermuten, dass ein illegal kopiertes Lied nicht zuallererst ein finanzieller Verlust für den Erzeuger ist, sondern eine höhere Reichweite des Kunstwerkes bedeutet. Menschen, die sich heute ein Album auf der Pirate Bay besorgen, hätten selbiges unter anderen Umständen nicht unbedingt gekauft, sondern in den meisten Fällen schlicht nicht gehört. Die durch illegale Downloads verursachten finanziellen Einbußen der Künstler und der Musikindustrie dürften sich demzufolge auf einem weitaus niedrigeren Niveau, als dem immer wieder kolportierten, bewegen.

Ein weiteres, den Nutzen des verschärften Urheberrechts in Frage stellendes Argument ist die Annahme, dass Konsumenten von Kulturprodukten auch in Zeiten des Internet durchaus willens seien, für Musik, Filme und dergleichen zu bezahlen, solange es nur funktionale, niedrigschwellig zugängliche, zuverlässige und möglichst umfassende Angebote gibt, die nicht völlig überteuert wirken. Eine indirekte Bestätigung findet diese Annahme im Erfolg des iTunes-Store, der Amazon-Downloadabteilung und diverser Film- und Musikstreamingdienste. Obwohl die dortigen Angebote in weiten Teilen auch kostenlos zu haben wären, bezahlen Millionen für den legalen Zugang. Dass das kein Zufall ist, ist das erste Ergebnis einer Studie des US-amerikanischen Think-Tanks American Assembly.

Durchgeführt vom unabhängigen Institut "Princeton Survey Research Associates International" kommt die Studie in einer vorab veröffentlichten Zusammenfassung für den amerikanischen Teil der Untersuchung unter anderem zu dem Ergebnis, dass mit dem besseren Zugang zu legalen Streamingdiensten gut 40% der früheren Filesharer und Downloader inzwischen eher auf diese zurückgreifen. Interessant ist dabei auch, dass sich nur rund 30% der Befragten überhaupt in nennenswertem Umfang Musik und Filme auf nicht legalen Wegen besorgen und dies wiederum nur 1-2% in "hohem Maße" (mehr als 1000 Musiktitel und/oder 100 Filme) tun. Von einer zerstörerischen Epidemie der Piraterie kann überhaupt nicht die Rede sein.

Zu möglichen strafrechtlichen Folgen illegalen Filesharings und dergleichen gibt die Mehrheit der Befragten Antworten, die Anti-SOPA-Lobbyisten ein Fest sein dürften. Bereits die nicht weiter spezifizierte allgemeine Forderung nach Bestrafung findet nur eine sehr knappe Mehrheit. Über Verwarnungen und Geldstrafen hinausgehende Optionen für das Strafmaß schneiden erwartungsgemäß schlecht ab: Gefängnisstrafen (20% Unterstützung), Sperrung des Netzzugangs (26%), eingeschränkter Netzzugang (46%). Außerdem glauben rund 70% der Befragten, dass die angemessene Strafzahlung für den illegalen Download eines Musiktitels maximal 100 Dollar betragen sollte, die knappe Hälfte davon setzt das Limit sogar bei 10 Dollar an. Beides sind Summen, die sich in gänzlich anderen Sphären bewegen, als die üblicherweise angesetzten astronomischen Schadensersatzforderungen der Musikindustrie.

Die verschiedenen Vorschläge zum technischen Schutz der Urheberrechte stoßen ebenfalls auf wenig Gegenliebe. Allein schon der direkte Zugriff der Rechteinhaber wie Musik- oder Filmfirmen auf Internetinhalte (vgl. Universals Sperrmöglichkeit auf Youtube) findet nur 18% Unterstützer, die Filterung von Ergebnissen in Suchmaschinen oder durch Internetprovider noch weniger. Netzsperren allgemein finden ohnehin nur eine ganz knappe Mehrheit, werden sie in der konkreten Frage mit dem Wort "Zensur" verbunden, schwindet selbst diese. Wie überhaupt die Verbindung der Fragen mit Hinweisen auf Persönlichkeitsrechte und das Recht auf freie Rede die Antworten bezüglich staatlicher oder sonstiger Sanktionen insgesamt ablehnender werden lässt. So wird die Frage, ob Anbieter wie Facebook und Dropbox den Datenverkehr auf illegale Inhalte überprüfen sollten mit deutlicher Mehrheit (61%) bejaht, wird jedoch gefragt "Sollte Ihr Internetgebrauch zum Schutz vor Urheberrechtsverletzungen überwacht werden?", dreht sich das Verhältnis ins genaue Gegenteil (69% Nein).

Die voraussichtlich Anfang März erscheinende komplette Studie ist auch in Deutschland durchgeführt worden. Diese Daten sind noch nicht vollständig aufbereitet. Joe Karaganis, Vize-Präsident der American Assembly, erklärte auf Nachfrage jedoch, dass die deutschen Ergebnisse sich im Großen und Ganzen mit den amerikanischen decken. Unterschiede seien dahingehend zu bemerken, dass in Deutschland anscheinend weniger kopiert werde und die Unterstützung für Netzsperren höher sei.

Für die Kampagnen gegen SOPA und das auch auf europäischer Ebene wirksame Geheimabkommen ACTA kann eine Lehre aus der Studie sein, dass die Bürgerrechtler eine Mehrheit des Souveräns auf ihrer Seite haben, solange es gelingt, die Folgen der geplanten gesetzlichen Eingriffe in den Internetverkehr und die Kriminalisierung eines bestimmten Nutzungsverhaltens als massive Einschränkung von Grundrechten und dem Anlass nicht angemessene Überreaktionen zu beschreiben. Ob das aber ausreicht, die Parlamente zu überzeugen, ist keineswegs sicher, werden ebensolche Grundrechtsbrüche und Überreaktionen doch immer wieder gegen den Willen der Wählermehrheit durchgesetzt, wenn es ein hinreichendes wirtschaftliches oder ordnungspolitisches Interesse an diesen Maßnahmen gibt.

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