Dient Technik der Emanzipation?

In Saudi-Arabien wird Telearbeit gefördert, weil damit die Geschlechtertrennung in der Arbeit beibehalten werden kann

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Religion und modern Technik müssen sich keineswegs widersprechen, sondern können sich durchaus gut ergänzen. Manchmal hat man auch den Eindruck, Technik könnte auch als eine Möglichkeit entwickelt worden sein, um religiöse Vorschriften zu erhalten und gleichzeitig zu umgehen.

Ein Beispiel dafür ist die Telearbeit. Im streng religiösen Saudi-Arabien, wo eine Religionspolizei eifrig über die Einhaltung der Vorschriften wacht, werden zwar kleine Lockerungsübungen von der Regierung gemacht, was die Bewegungs- und Arbeitsfreiheit der Frauen betrifft. So sollen in Geschäften für Frauenbekleidung die bislang dort arbeitenden Männer durch Frauen ersetzt werden. Schon das scheint nicht ganz einfach zu sein.

Vor wenigen Tagen wurde in Riad ein Abkommen unter der Aufsicht der saudischen Handelskammer zwischen Glowork, ein saudisches Unternehmen, das Frauenarbeit unterstützen soll, und EXA Information Systems unterzeichnet. Damit sollen Tausende von Jobs für Frauen entstehen, die Zuhause an einem Telearbeitsplatz arbeiten. So sollen Unternehmen ermutigt werden, oft gut ausgebildete, aber arbeitslose Frauen einzustellen, die online als Kundenberater, Verkäufer, in der Forschung oder im digitalen Marketing tätig sein können. Sowohl der Arbeitgeber als auch die Arbeiternehmerin werden geschult. Natürlich wird die Leistung überwacht, wie Khalid Alkhudair, der Gründer von Glowork, berichtet.

Hintergrund der Initiative ist, dass in Saudi-Arabien nur wenige Frauen arbeiten, was allmählich zu einem Problem wird, weil die Unzufriedenheit der oft eben gut ausgebildeten Frauen wächst. Frauen werden aber in der saudischen, durch die fundamentalistische Religion zementierten Männergesellschaft nicht eingestellt, weil nicht verwandte Männer und Frauen nicht in einem Raum zusammen arbeiten dürfen, sondern die streng getrennt werden müssen. Sie dürfen nicht einmal dieselben Eingangstüren benutzen. Unternehmen, die Frauen anstellen, müssten also räumlich getrennte und nicht verbundene Frauenabteilungen einrichten, was nicht nur zusätzliche Kosten verursacht, sondern auch nur schwer praktikable Arbeitsabläufe erzwingt.

Telearbeit halt Frauen und Männer räumlich und körperlich sauber getrennt, auch wenn sie womöglich online flirten oder über WebCams kommunizieren könnten, was aber wohl die Überwachungsvorkehrungen des Systems unmöglich machen. Zudem wird dadurch der lokale Arbeitsmarkt aufgesprengt, was Unternehmen und arbeitswilligen Frauen mehr Möglichkeiten bietet, zueinander zu kommen, weil Unternehmenssitz und Arbeitsplatz nicht an ganz verschiedenen Orten sein können. Und die Telearbeit könne auch Unternehmer dazu bringen, verheiratete Frauen einzustellen, ohne große Angst haben zu müssen, dass diese in Mutterschaftsurlaub gehen, schließlich könnten sie dann auch weiterhin von Zuhause aus tätig sein, meint der Glowork-Gründer.

Internet ist für junge saudische Frauen eine Befreiung von den alltäglichen Zwängen

Auf der anderen Seite scheinen auch die Frauen vermehrt eine Möglichkeit zu sehen, im virtuellen öffentlichen Raum Tabus zu durchbrechen, die in der Realität der männerbeherrschten Öffentlichkeit mit Schleierpflicht, Geschlechtertrennung in vielen Bereichen und verpöntem Aufenthalt im Freien ohne Familie oder Mann noch eingehalten werden müssen. Nicht einmal ein Auto steuern dürfen Frauen, erst im Dezember wurde noch eine Frau wegen Hexerei hingerichtet.

Die saudische Arab News berichtete kürzlich, es sei ein Trend bei jungen Frauen zu beobachten, die auf ihren Web- oder Facebookseiten Bilder von ihrem Körper veröffentlichen, ohne natürlich ihre Identität preiszugeben oder ihre Gesichter zu zeigen. Vorbild könnte die ägyptische Bloggerin gewesen sein, die im November Aufsehen erregte, als sie Nacktbilder von sich auf ihrem Blog als Protest gegen die Repression der Frauen durch die muslimische Kultur veröffentlichte - allerdings mutig mit Namen und Gesicht (Die Nackte und die ägyptische Revolution. Vor kurzem fand sie eine Nachfolgerin in einer iranischen Schauspielerin, die in Frankreich im Exil lebt und prompt die Warnung erhielt, besser nicht mehr in den Iran zurückzukommen (Iranische Schauspielerin protestiert mit Nacktbildern gegen Unterdrückung).

Im wahabitischen Saudi-Arabien dürfen Frauen eigentlich nur Augen und Hände unverhüllt in der Öffentlichkeit zeigen. Daher ist es für sie - und die Wächter der Religion - schon eine Überschreitung der moralischen Normen, die mit brutalen Mitteln verteidigt werden, wenn sie Füße, Beine oder andere Teile ihres unbedeckten Körpers in der virtuellen Öffentlichkeit zur Schau stellen. Das zumindest will die Journalistin Mariyam Jaber beobachtet haben und sieht diesen Trend als Wunsch der Frauen, sich mit Facebook oder anderen Webseiten von den ihnen auferlegten Beschränkungen zu befreien. Das sei mit diesen Mitteln am einfachsten, zumindest so lange, wie die Identität im Anonymen bleibt. 48 Prozent der saudischen Internetnutzer sind Frauen unter 25 Jahren. Der hohe Anteil verrät, dass das Internet für junge Frauen ein Ventil für das Leben in der verordneten Unmündigkeit bietet.

Allerdings ist der Protest doch oft Nebensache, denn offenbar präsentieren sich viele Frauen in der Anonymität so, dass sie Sängerinnen gleichen, also in Nachahmung von Prominenten. Oft würden sie auch Fotos mit Einzelheiten aus ihrem Leben in Facebook veröffentlichen. Das stört die Männer, weil hier die Frauen aktiv werden und sie selbst die Kontrolle über "ihre" Frauen nicht mehr ausüben können. So hätten Ehemänner und andere Familienangehörige in Fernsehberichten ihren Unmut über dieses Verhalten der jungen Frauen geäußert. Oft wird dann vor möglichen Gefahren gewarnt, wie dies auch hierzulande gemacht wird, wenn die jungen Menschen naiverweise zu viele persönliche Informationen veröffentlichen. Zitiert wird der Informatikprofessor Abdullah Al-Waleedi, der der jungen Generation unterstellt, sie hätte keine Vorstellung davon, was man veröffentlichen kann und was privat bleiben soll.

Allerdings geht es ja genau um die Verletzung dieser Grenze, die in der fundamentalistischen muslimischen Kultur Saudi-Arabiens besonders archaisch aufrechterhalten werden soll. Nach al-Waleedi sollten Soziale Netzwerke nur dazu dienen, Ideen und Informationen auszutauschen, aber keine persönlichen Geheimnisse Fremden anzuvertrauen. Andere warnen scheinbar aufgeklärt, dass junge Frauen, die sich langweilen oder arbeitslos sind, sich flüchten in die virtuellen Welten. Vielleicht ist das ja auch der Grund dafür, warum auch von Staats wegen versucht wird, mehr Arbeitsplätze für Frauen, und sei es eben durch Telearbeit, zu schaffen. Dann eben würden sie nicht mehr exzessiv das Internet benutzen.