Schwarz-gelbes Auslaufmodell

Nur Bayern und Niedersachsen halten noch an den umstrittenen Studiengebühren fest. Doch inzwischen weiß nicht einmal mehr die Bundesregierung, ob die Campusmaut die Qualitätsentwicklung an Hochschulen positiv beeinflusst

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Die Liste der schwerwiegenden Fehler, handwerklichen Missgeschicke und allgemeinen Desorientierungen, in die sich die schwarz-gelbe Bundesregierung während ihrer noch nicht einmal zweieinhalbjährigen Amtszeit verstrickt hat, ist so lang, dass selbst enthusiastische Kritiker keinen Spaß mehr daran haben, sie um immer neue Beispiele zu verlängern.

Irgendwie kommt es auf Antwort 21, die der Opposition auf eine Kleine Anfrage der Abgeordneten Kai Gehring, Krista Sager und Ekin Deligöz gegeben wurde, nun auch nicht mehr an. Wer schon einmal Studiengebühren gezahlt hat – oder noch zahlen wird – dürfte die Angelegenheit allerdings weniger gelassen betrachten.

Keine Daten, keine Informationen

Dabei stellten die Bündnisgrünen eine ganz simple Frage, deren Beantwortung für Mandatsträger, die sich seit einem Jahrzehnt bei jeder öffentlichen Debatte zum Sinn und Nutzen von Studiengebühren bekennen, ein Leichtes hätte sein müssen. Sie wollten lediglich wissen, welche messbaren Qualitätsverbesserungen an den Hochschulen durch die Einführung von Studiengebühren eingetreten sind.

Dazu sollte sich das eine oder andere sagen lassen, denn schließlich gab es vor nicht allzu langer Zeit noch sieben Bundesländer, die sich ihre Hochschulausbildung etwas kosten ließen und pro Semester und Student durchschnittlich 500 Euro kassierten. Doch die Bundesregierung, deren Parteifreunde in den unionsgeführten Ländern einst auszogen, um die Erhebung von Studiengebühren vor dem Bundesverfassungsgericht einzuklagen, scheint sich nur noch dunkel an die bahnbrechende Erfindung zu erinnern. Was daraus geworden ist, spielt ohnehin keine Rolle.

In der Regel sind die Mittel aus Studiengebühren gesetzlich zur Verbesserung der Lehre und der Studienbedingungen einzusetzen (…). Der Bundesregierung liegen keine Daten zur Qualitätsentwicklung an Hochschulen vor, die sich monokausal auf die Einführung von Studiengebühren zurückführen ließen.

Antwort der Bundesregierung

Es gibt allerdings noch mehr Dinge, die die Bundesregierung nicht weiß. Zur Frage, wie viele Stellen an deutschen Hochschulen durch Studiengebühren geschaffen wurden, liegen ihr ebenfalls keine Daten vor. Nachsichtige Beobachter mögen darin einen Verweis auf die Hoheitsrechte der Länder sehen, doch auch grundsätzliche Informationen über den Stand der Bologna-Reform können beim – diesmal doch wohl zuständigen - Ministerium offenbar nicht abgefragt werden.

Der Bundesregierung liegen keine Informationen über die Gesamtzahl der Masterstudienplätze an deutschen Hochschulen vor. (…) Über die Zahl der Studienplätze, die in der Mehrzahl der Masterstudiengänge zur Verfügung steht, die keiner örtlichen Zulassungsbeschränkung unterliegen, liegen der Bundesregierung keine Informationen vor. (…) Zur Aufschlüsselung auf Länder, Fächer und Semester sowie über die Zahl der Bewerbungen liegen der Bundesregierung keine Informationen vor.

Antwort der Bundesregierung

Expertenrunde

Die Sachverständigen, die am Mittwoch vergangener Woche vom Bundestagsausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung zum Thema Auswirkung der Einführung von Studiengebühren auf die Studienbereitschaft in Deutschland gehört wurden, waren durchgehend besser informiert.

Auf ein gemeinsames Fazit konnten sich die Teilnehmer aber nicht einigen. Während Gewerkschaftsvertreter und Autoren der Hochschul-Informations-System GmbH den negativen Einfluss der Gebühren auf die Studienentscheidung junger Menschen betonten, versuchte Marcel Helbig vom Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung das genaue Gegenteil zu beweisen. Michael Hartmann, Eliteforscher an der Technischen Universität Darmstadt, fand die Campusmaut "nicht unbedingt" abschreckend, und Wolfgang Heubisch (FDP), Bayerns Staatsminister für Wissenschaft, Forschung und Kunst, entdeckte sogar sozialverträgliche Aspekte.

Derweil plädierte Andreas Schleicher (OECD) für nachgelagerte Studiengebühren und eine stärkere Einbeziehung sozialer Aspekte, und die Vertreterin des Instituts der deutschen Wirtschaft warb für eine "gezieltere Förderung", aber nicht unbedingt für ein kostenfreies Studium.

Nichts Neues also – aber wie sollte es auch anders sein? Die Bundesregierung war ja ohnehin nicht wirklich zuständig und hegte auch keinerlei Absicht, die Parteifreunde mit einer programmatischen Kurskorrektur zu überraschen. Doch immerhin: Man hat sich einmal wieder informiert, was die Experten so meinen …

Brain Drain in Gebührenländern?

Die HIS-Studien zeigen: Es gibt Studierende, die ihren Studienort auch mit Blick auf die Qualität wählen. Deshalb gibt es hohe Zuwachsraten in Nordrhein-Westfalen, in Bayern, in Baden-Württemberg – da, wo Studiengebühren erhoben werden und die Lehre sich verbessert hat. Wer in Deutschland studieren und keine Studiengebühr zahlen möchte, kann das.

Bildungsministerin Annette Schavan am 3.12.2009

Während vor, in und mit Ausschüssen gestritten wird, spitzt sich die Situation für die letzten Gebührenländer zu. In Baden-Württemberg wird der Zahlungsbefehl für den akademischen Nachwuchs zum Sommersemester 2012 aufgehoben, Hamburg folgt zum Wintersemester 2012/13. Dann verlangen nur noch Bayern und Niedersachsen 500 zusätzliche Euro pro Semester – sofern die Regierungen von CDU und FDP bzw. CSU und FDP die nächsten Landtagswahlen überstehen.

Für das nordwestliche Bundesland ist diese Situation besonders problematisch, weil hier nicht mit einer Vielzahl international renommierter, lehr- und forschungsstarker Hochschulen geworben werden kann. Wenn ab dem nächsten Wintersemester kein einziges der acht benachbarten Bundesländer noch Studiengebühren erheben wird, dürfte der Standort trotz guter Betreuungsrelationen weiter an Attraktivität verlieren.

Eine Studie des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung kommt schon jetzt zu dem Schluss, dass immer mehr Abiturienten aus Niedersachsen ihr Bundesland verlassen und gleichzeitig weniger Studienanfänger nach Niedersachsen gelockt werden können. Autor Uwe Harten beziffert den "Wanderungsverlust", der 2004 bei 30.200 Studierenden lag, für das Wintersemester 2009/10 auf 33.200. Tendenz steigend.

An den Hochschulen wird konsequent bestritten, dass 500 Euro pro Semester über die Wahl des Studienorts entscheiden. Doch wer beobachtet, wie sich die Studierendenzahlen diesseits und jenseits der Gebührengrenze verschieben, sobald - zum Beispiel in Nordrhein-Westfalen – Zusagen oder Absagen verschickt werden, weiß es besser. Auch Harten glaubt an einen Zusammenhang, vor allem aber an Konsequenzen, die über den bildungspolitischen Kontext hinausgehen.

Insbesondere für Niedersachsen stellt sich aber die Frage, inwieweit sich die hohen Abwanderungsströme von Studienanfängern respektive Studierenden auf die Rekrutierungsmöglichkeiten der niedersächsischen Unternehmen von Jungakademikern auswirkt, beziehungsweise ob mit dem hohen negativen Wanderungssaldo auch ein Verlust "frisch ausgebildeten" hochqualifizierten Humankapitals einhergeht, wenn beispielsweise abgewanderte Hochschulabsolventen im Land ihres Hochschulabschlusses sesshaft werden.

Uwe Harten: Der demografische Wandel und seine Auswirkungen auf die Arbeitsmärkte in Niedersachsen und Bremen

Doppelte Bildungsungerechtigkeit

In Bayern gilt das Festhalten an den Studiengebühren eher als politisches Problem. Gegen die Regierungskoalition hat sich eine breite Opposition formiert, die von der Linkspartei über SPD, Grüne, Freie Wähler, ÖDP und Piraten bis in die separatistischen Untiefen des Freistaats reicht.

Die landesweite Kampagne der Sozialdemokraten hat bereits mehr als 17.000 Unterstützer gefunden, und auch Piraten, Freie Wähler und ÖDP werben mit eigenen Initiativen für die Abschaffung. CSU und FDP wollen sich dem parteipolitisch zersplitterten Druck nicht beugen, doch eine gute Erklärung, warum ausgerechnet – und bald vielleicht nur noch – Bayern die Campusmaut braucht, haben sie nicht.

Jedes Land, das zu einem gebührenfreien Erststudium zurückkehrt, macht die Argumentation schwieriger. Geübte Machtmenschen, die wie Ministerpräsident Horst Seehofer ein Gespür für kritische Themen besitzen, haben über dieses Dilemma wenigstens schon einmal nachgedacht.

Es gibt allerdings auch Fälle, in denen die Abschaffung neue Probleme mit sich bringt, weil die versprochenen Kompensationszahlungen der roten oder rot-grünen Landesregierungen nicht mehr mit den wachsenden Studierendenzahlen übereinstimmen. In Nordrhein-Westfalen wird derzeit über eine Deckungslücke von 32 Millionen Euro gestritten. Probleme dieser Art, die sich auch in Hamburg ankündigen, müssen gelöst werden, doch das sture Festhalten an einem offenkundigen Auslaufmodell kann dazu sicher keinen Beitrag leisten.

Schließlich haben die Studiengebühren eine praktische Umsetzung der oft beschworenen Bildungsgerechtigkeit gleich doppelt verhindert: als finanzielle Barriere für Kinder aus bildungsfermen Familien – und als eigenwilliger Solidaritätszuschlag für ein bis zwei Studentengenerationen. Wer vor 2005 studierte, hatte mit ihnen nichts zu tun – und wer nach 2013 studiert, wird sie womöglich auch nur noch vom Hörensagen kennen.

Der Föderalismus

Diskutiert werden müsste freilich nicht nur mit der bayerischen oder niedersächsischen Landesregierung, sondern auch mit vielen anderen Bildungspolitikern in Deutschland. Beweist doch die bizarre Komödie von der Einführung und Wieder-Abschaffung der Studiengebühren, wie schnell der Föderalismus an Grenzen stößt, die kein konstruktives, allgemein verbindliches Konzept mehr passieren lassen.

Im Bildungsausschuss fiel dieser Fehler in der Grundstruktur vor allem dem Deutschen Gewerkschaftsbund auf.

Es zählt zur Ironie der Geschichte, dass wir mit dem Bologna-Prozess einen europäischen Hochschulraum aufbauen, gerade aber die Föderalismus-Reform die Atomisierung unseres Hochschulwesens vorantreibt. Es ist deshalb höchste Zeit den Bund als Geldgeber der Hochschulen dauerhaft mit ins Boot zu holen.

DGB

Möglich, dass der Bund dann auch genauere Erkenntnisse darüber hat, ob millionenschwere Abgaben (notfalls auch monokausal) zu positiven Veränderungen führen – oder eher nicht …