Der neue Triumph der Taliban

Laut einem Nato-Geheimbericht hilft Pakistan den Taliban dabei, in Afghanistan wieder an die Macht zu kommen

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Die Spatzen pfeifen längst von den Dächern, wovon der Geheimbericht der Nato laut BBC erzählt: Dass der pakistanische Geheimdienst eng mit den afghanischen Taliban zusammenarbeitet, dass Islamabad bestens über die Aufenthaltsorte wichtiger Talibananführer und Warlords informiert ist und Strategien mit den Taliban bespricht. Dass sich die Taliban nach Abzug der internationalen Truppen auf eine Machtübernahme vorbereiten, ist ebenfalls bekannt. Hatten Talibangruppen unter dem Namen Islamisches Emirat Afghanistan doch erst Anfang des Jahres ihren Sieg erklärt.

Neuigkeitswert im Detail liefert der Bericht anscheinend aber auch, etwa wenn er angeblich Nachweise dafür hat, dass die Taliban ihre Angriffe in einigen Provinzen einstellen, um sich um die Herzen und Köpfe der Bevölkerung zu kümmern:

The report has evidence that the Taliban are purposely hastening Nato's withdrawal by deliberately reducing their attacks in some areas and then initiating a comprehensive hearts-and-minds campaign.

Ob es sich dabei um jene Teile Afghanistans handelt, wo die Taliban laut Friedensvorschlägen künftig zusammen mit afghanischen Soldaten für die Sicherheit sorgen sollen?

Die pakistanische Außenministerin Hina Rabbani Khar - anläßlich deren Besuch in den USA die Veröffentlichung von Inhalten des Geheimberichts termingerecht geschieht - hat den Bericht als "alten Wein in einer noch älteren Flasche" bezeichnet. Das mag, siehe oben, nicht ganz falsch sein, richtig ist es trotzdem nicht. Der Berichts hat sehr wohl Brisanz, angesichts einer Krise zwischen den USA und Pakistan, die sich nicht zuletzt Ende vergangenen Jahres dadurch neu verschärft hat, dass ein amerikanischer Luftangriff pakistanische Grenzsoldaten getötet hatte. Zuanfangs wurde noch darüber spekuliert, dass die pakistanischen Soldaten einer Talibaneinheit geholfen hätten. Später wurden diese Vorwürfe nicht mehr laut, ob das aus politischen oder faktischen Gründen geschah, ist nicht ganz klar.

Den Nato-Bericht einfach nicht zu beachten, wie Außenministerin Hina Rabbani Khar vorschlägt - "...can be disregarded" - wird wohl nicht gelingen. Ihre beschwichtigende Rhetorik mag die Öffentlichkeit in Pakistan beruhigen und die Fassade für die komplizierten Gespräche zwischen den USA und Pakistan aufrechterhalten. Aber der Abstand zwischen den USA und dem ehemaligen Partner beim Kampf gegen die Gegner der Kabuler Regierung wird durch den Bericht noch deutlicher gemacht - auch wenn die Nato sich ihrerseits bemüht, den Bericht herunterzuspielen. Das Misstrauen, das durch den Bericht gegenüber allen offiziellen und geschönten Berichten noch einmal zu seinem Recht kommt, wird damit nicht besänftigt - eher im Gegenteil.

Bislang konnte Pakistan mit den Anschuldigungen, die der Nato-Bericht erhärtet, noch so verfahren, dass man sie offiziell als Gerüchte hinstellte. Einzelne mutige Journalisten, wie der Pakistan-Büro-Chef der Asia Times Syed Saleem Shahzad, die seit Jahren auf die Verbindungen zwischen Teilen des Geheimdienstes ISI und der Armee zu militanten Taliban und anderen Extremisten, u.a. zu Al-Qaida, hinwiesen, wurden unter ungeklärten Umständen beiseite geschafft. Der begründete Verdacht fiel auf den Geheimdienst, der sich solcher Unbequemer entledigen wollte. Und zwangsläufig resultieren daraus auch Fragen danach, welche Rolle die Regierung bei diesen Manövern spielt. Gibt es eine Art tiefen Staat in Pakistan? Wie viel Macht hat die Regierung, wieviel Macht das Militär, wieviel der Geheimdienst und wie sehen die Beziehung zueinander aus?

Da der Einfluss Pakistans auf das Kriegsgeschehen in Afghanistan wesentlich ist, berühren solche Fragen letztlich auch Deutschland. Hat man zehn Jahre "die Sicherheit Deutschlands am Hindukusch" verteidigt, um eigentlich nur hinauszuzögern, was als Ergebnis schon lange feststeht? Nämlich, dass die Taliban wiederkommen mit dem Triumph, dass auch die militärisch mächtigste Koalition der Welt nur den afghanischen Mythos bekräftigen konnte, wonach Besatzer in diesem Land keine Chance haben. Und dass dieses Ergebnis zustandekam, weil der wichtigste regionale Verbündete, Pakistan, ganz andere Pläne hatte.

Ein derzeit laufendes Gerichtsverfahren, in dem es um Machenschaften des pakistanischen Geheimdienstes, der Inter-Services Intelligence (ISI), geht, zeigt, dass es in Pakistan wohlweislich andere, zivile Kräfte gibt, die sich gegen die oft brutalen Operationen des Geheimdienstes wehren, dafür steht etwa der Richter Muhammad Chaudhry. Das Land ist zerissen, die zivilen Kräfte müssten gegen den militärisch-geheimdienstlichen Komplex gestärkt werden. Mit Drohnenangriffen, die, wie sich bislang zeigt, militärisch keine Entscheidung herbeiführen, aber immer wieder Zivilisten das Leben kosten, stehen die Aussichten für ein solches Engagement nicht gut.

Der Bericht beruht auf 27.000 Verhören von 4000 gefangenen mutmaßlichen Taliban oder al-Qaida-Mitgliedern und anderen verdächtigen Militanten heißt es bei der BBC. Für die Nato-Vertreter, die nun zu beschwichtigen versuchen, um einen weiteren großen Bruch mit Pakistan zu vermeiden, ist mit der Quelle auch die Aussage entwertet. Taliban würden nur aus ihrem Blickwinkel aussagen, das gebe nicht die Wirklichkeit wieder, wird verlautbart. Eine weitere öffentliche Erklärung zum Krieg in Afghanistan, der man nicht glauben will.