Sachbücher des Monats: Februar 2012

Die Top Ten unter den Sachbüchern nebst einer persönlichen Empfehlung

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Jeden Monat neu präsentiert von der Süddeutschen Zeitung, dem Norddeutschen Rundfunk, Buchjournal, Börsenblatt und Telepolis. (Die Jury )

Die große Illusion oder das Geschäft mit der Armut

Wer denkt bei dem Stichwort Mikrokredite nicht an Bangladesh, Armutsbekämpfung, Gemeinwohl? Das positive Image der Mikrokredite als Strategie gegen Armut hält sich bis heute. Nicht zuletzt wegen Muhammad Yunus der dafür 2006 den Friedensnobelpreis bekam. Weniger bekannt ist die Kehrseite der Mikrofinanz-Industrie. Es handelt sich um ein Geschäftsmodell, das Gemeinschaften in vielen Ländern in die Überschuldung treibt. Die Folgen sind psychosozialer Druck, Pfändung und Enteignung bis hin zu Suizid. Dabei sollte schon eine einzige Zahl genügen, um den Glauben an die wohltätige Wirkung der Mikrofinanz zu verlieren: 38 Prozent. So hoch sind die effektiven Zinssätze für Mikrokredite im weltweiten Durchschnitt. Das Buch ist die erste umfassende Studie in deutscher Sprache, die sich kritisch mit der Mikrofinanz-Industrie auseinandersetzt. Klas räumt mit den sich um sie rankenden Mythen auf und unterzieht die durch den Friedensnobelpreisträger Yunus populär gewordenen und zum neuen Paradigma der Entwicklungspolitik erhobenen Mikrokredite einer grundlegenden Kritik. Für ihn steht fest: Die Mikrofinanz ist - gemessen an ihren proklamierten Zielen - eine Geschichte des Scheiterns. Das Kreditgeschäft funktioniert auf Kosten und nicht zum Nutzen der Armen.

Assoziation A, 320 Seiten, € 19,80

Von der Antike zur Gegenwart

Seit Homer und der Bibel gibt es Vorstellungen über den Lauf der Zeiten und die Stellung der Gegenwart zwischen Vergangenheit und Zukunft. Die Grundfiguren bei den Klassikern der Geschichtsphilosophie sind immer ähnlich, das zeigt Alexander Demandt in diesem Buch. Er liefert einen Überblick über das europäische Geschichtsdenken seit der Antike: Der antike Dekadenzgedanke (Hesiod, Platon), Fortschrittsbewusstsein (Xenophanes, Aristoteles) und Fortschrittskritik (Diogenes, Seneca), frühe Kreislauftheorien (Salomon, Empedokles), jüdisch-christliche Heilsgeschichte (Daniel, Augustinus), das Epochenbewusstsein der Renaissance (Machiavelli, Vico), die Geschichte als Aufklärung (Kant, Condorcet), Historischer Idealismus (Hegel, Humboldt), Goethes universaler Individualismus, der Historismus (Ranke, Meinecke), der Historische Materialismus (Marx, Engels), paradigmatische Geschichtskonzepte (Nietzsche, Burckhardt), Morphologien der Weltgeschichte (Spengler, Toynbee), Geschichtsbiologismus (Darwin, Lorenz) und posthistorische Apokalyptik (Fukuyama, Baudrillard). Einleitend wird der Begriff der Geschichte, ausführend die Philosophie der Geschichte insgesamt behandelt.

Böhlau Verlag, 438 Seiten, € 34,90

Untertan, Hochstapler, Übermensch

Karl May (1842-1912) hat die populären Mythen der Deutschen geprägt wie kein zweiter Schriftsteller. Rüdiger Schaper wagt einen völlig neuen Blick auf das Leben und (Nach-)Wirken dieses so überaus produktiven und höchst erfolgreichen Autors, der von Abenteuerromanen bis zu erbaulicher Literatur alle erdenklichen Genres bediente und Figuren schuf, die bis heute eine große Faszination ausstrahlen. Karl May weckt starke Emotionen, denn er bedeutet Kindheit, erste Leseerfahrung, Abenteuer. Mit ihm ist man nach "AmerikaV und "Arabien" gereist, in sagenhafte Länder, die es so nie gab. In seinen visionären Werken hat er die Bild- und Erzähltechnik des Kinos vorweggenommen, er war der literarische Popstar des Wilhelminischen Zeitalters. Bis heute liegt die geschätzte Weltauflage seiner Bücher bei 200 Millionen. Schaper beschreibt die dornenreiche Karriere eines Underdog aus einer bettelarmen Familie, der im Gefängnis zu schreiben begann und in späten Jahren zum pazifistischen Visionär mutierte. In seiner Biographie stellt er Karl Mays Person und Werk gleichermaßen in ein neues Licht und gibt ihm damit einen Platz in der Weltliteratur.

Siedler Verlag, 240 Seiten, € 19,99

Magie, Material und Gefühl in Goethes Gedicht "Ein gleiches"

Sebastian Kiefers Buch ist einem einzigen kurzen Gedicht von Goethe gewidmet. In seiner Auseinandersetzung führt Kiefer sowohl in Goethes Denken und Dichten als auch in die Prozesse ein, die die Kritik beherrschen muss, um beidem auf die Spur zu kommen.

VAT André Thiele, 300 Seiten, € 16,90

Thea Sternheim hatte in der Tat viel erlebt, die zweite Frau und Muse des Dramatikers Carl Sternheim. 1883 in Neuss in großbürgerlichem Milieu als Thea Bauer geboren, intelligent, schön, hochgebildet, musisch begabt und reich. Sie baute mit Sternheim ein Schloß bei München, verkehrte in den Schriftsteller- und Künstlerkreisen der Belle Epoque und gehörte zu den ersten Van-Gogh-Sammlern Deutschlands. Dann kamen Krieg und Inflation; die Ehe mit dem Erotomanen und zunehmend größenwahnsinnigen Sternheim zerbrach, zwei Kinder wurden drogensüchtig. Auf sich allein gestellt, emigrierte sie bereits 1932 nach Paris, wo sie dank ihrer Freundschaft mit André Gide als eine der ganz wenigen deutschen Emigrantinnen Zugang zu den französischen Intellektuellenkreisen hatte. Sie blieb, langsam verarmend, 30 Jahre in Paris - nur unterbrochen von der Internierung im französischen Lager Gurs. Mit 80 zog sie nach Basel in die Nähe der einzigen noch lebenden Tochter, wo sie 1971 starb. Herausgegeben von Thomas Ehrsam und Regula Wyss

Wallstein Verlag, 3699 Seiten, € 128,00

Der Traum von der neuen Frau

Berlin, 1918: Zwei Frauen träumen den gleichen Traum vom Erfolg. Marlene Dietrich und Leni Riefenstahl spüren, dass ihre Stunde gekommen ist - sie wollen zum Film und Theater, und der Erfolg lässt nicht lange auf sich warten. Sie haben ein sicheres Gespür dafür, wie man sich als moderne Frau inszeniert. Befeuert vom Triumphzug der Massenmedien, steigt Dietrich in Hollywood zum internationalen Star auf, während Riefenstahl Adolf Hitler jene Bilder liefert, die er für seine Propaganda braucht. Karin Wieland gelingt mit diesem Buch ein überraschender, neuer Blick auf die Kultur und Gesellschaft des 20. Jahrhunderts. Was jungen Frauen heute als Ideal vorschwebt, wurde im Berlin der Zwischenkriegszeit von zwei Filmschauspielerinnen erfunden.

Carl Hanser Verlag, 632 Seiten, € 27,90

Avantgarde im Norden des Südens

Tiki-taka-Fußball gäbe es ohne Barcelona nicht. In Sachen Architektur-, Kunst- und Modeinnovationen ist Barcelona heute noch genauso einflussreich wie vor hundert Jahren. Skandalöse Operninszenierungen, die die Kulturwelt derzeit in Aufregung versetzen, kommen ebenfalls aus der Hauptstadt Kataloniens. Und Barcelona ist eine der wenigen europäischen Städte, die man wegen ihres Nachtlebens besucht. Barcelona zeichnet sich aus durch eine enorme Kreativität und ist zugleich zutiefst katalanisch, geprägt von identitätssuchender Abgrenzung dem "Mutterland" gegenüber. Mit Originalbeiträgen u. a. von Rafael Chirbes, Javier Tomeo, Henrietta Thompson, Alicia Giménez-Bartlett, Michael Ebmeyer, Rafael Argullol, Oscar Tusquets, Calixto Bieito, Markus Jakob, Louis Jent, Vanessa González, Marina Martínez Oriol, Gontran Patrick Dutoya, Ona Harster Prats, Ramón Besa und dem Bilderbogen von Joan Colom.

Corso Verlag, 160 Seiten, € 26,95

Über Bilder der Gewalt

Bildliche Darstellungen von Gewalt können erschrecken und verzaubern, verstören und erfreuen, ihre zwiespältige Wirkung verdanken sie auch der Distanz zum Dargestellten. Gewaltbilder stellen grausame Szenen vor Augen und bieten dem Betrachter die Möglichkeit zur sinnlichen Anschauung, zur meditativenVersenkung und zur intellektuellen Erkenntnis. Stets konfrontieren sie uns mit der Frage, wer wir sind und wie wir uns selbst verstehen müssen. In "Todesarten" nimmt Wolfgang Sofsky ausgewählte Bildwerke der Gewalt akribisch in den Blick. In glänzenden Einzelanalysen geht er ihrer ästhetischen Wirkung und imaginativen Kraft nach. So entsteht ein Bildpanorama von Mord und Totschlag, Kampf und Krieg, Strafe und Opfer, das neue Sichtweisen eröffnet. Von den Anfängen in den Höhlenzeichnungen von Lascaux über christliche Martyrienbilder bis zur modernen Kriegsfotografie erweist sich die abendländische Kunstgeschichte als eine Bildkultur der Gewalt.

Matthes & Seitz Verlag, 271 Seiten, € 29,90

Seit über hundert Jahren wird über die Intellektuellen gestritten: "Wer ist einer?" "Was soll er tun?" Jedoch: Nirgends kann man bisher die Debattenbeiträge gebündelt lesen, die geschichtsgestaltende Kraft bekommen haben. Dietz Bering hat sie gesammelt: die Gründungsurkunden von 1898: Zola’s "J’accuse", das sogenannte "Manifest der Intellektuellen", hier erstmals als Faksimile enthalten. Für die erste Phase der deutschen Intellektuellendebatten findet man u.a. die negativen Voten von Lenin, von Goebbels und die widersprüchlichen Wortmeldungen der Kulturbürger. Alfred Andersch, Max Frisch und Carlo Schmid repräsentieren die Aufbauphase eines endlich positiven Intellektuellenbegriffs nach 1945. Arnold Gehlen und Helmuth Schelsky sind ihre Widersacher. Foucault und Lyotard läuten den Niedergang der Intellektuellen ein. Frank Schirrmacher hält ihn für besiegelt. Rettungsversuche unternehmen Jürgen Habermas, Axel Honneth, Michael Walzer und Barbara Vinken.

Berlin University Press, 369 Seiten, € 39,90

Wo immer sie auftritt, ist sie von Verehrern umschwärmt. Die junge Baronesse Jenny von Westphalen gilt als "das schönste Mädchen von Trier", als Ballkönigin, charmant, witzig, intelligent. In ihrem Elternhaus wurde ihr eine umfassende Bildung zuteil. Ihre Wahl fiel schließlich auf einen Bürgersohn jüdischer Herkunft: Karl Marx. Dass er ihr fürs Erste kein standesgemäßes Leben würde bieten können, ist Jenny klar. Was sie dann erlebt, übertrifft wohl selbst ihre schlimmsten Befürchtungen: lebenslanges Exil, materielle Not, Krankheiten, politische Enttäuschungen. Mehrere ihrer Kinder und Enkelkinder sterben früh, was weder Jenny noch Karl je verwinden können. Doch unterkriegen lässt sich Jenny Marx nicht. Immer wieder gelingt es ihr, sich von den Schlägen zu erholen. In der sozialistischen Bewegung ihrer Zeit spielt sie eine aktive Rolle. Und ohne Jenny hätte Karl Marx niemals der sein können, der er war, lautet das Urteil ihrer jüngsten Tochter Eleanor. Über ihr Leben hat sich Jenny Marx (1814 1881) immer wieder in Briefen an vertraute Menschen ausgesprochen.

Rotpunktverlag, 230 Seiten, € 19,50

Besondere Empfehlung des Monats Februar von Johannes Saltzwedel:

Eine Klarstellung

Bei kaum einer Frage dürften die vorherrschenden Meinungen in Öffentlichkeit und Fachwelt so weit auseinanderliegen wie bei der Erblichkeit von Intelligenz. Dieter E. Zimmer beschäftigt sich als Wissenschaftspublizist seit über dreißig Jahren mit dem Thema. In diesem Buch schildert er, wie die Forschung zu dem Nachweis gekommen ist, dass Intelligenzunterschiede weitgehend durch die Gene bedingt sind. Und er klärt weitere wichtige Fragen: Was ist Intelligenz überhaupt, und wie misst man sie? Wie viel Raum lässt die Erblichkeit den Einwirkungen der Umwelt? Lässt die Intelligenz mit dem Alter nach? Lässt sie sich steigern?

Rowohlt Verlag, 320 Seiten, € 19,95

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