Blick ins lebende Gehirn

Wie bewegt sich eine Nervenzelle? Glasscheiben in der Schädeldecke, fluoreszierende Proteine und ein STED-Mikroskop liefern Antworten

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Dass das Gehirn kein statisches Gefüge besitzt, weiß die Wissenschaft längst: Im Gegenteil, es ist von enormer Plastizität. Neue Verbindungen formen sich weit flexibler, als man je geglaubt hat. Doch was ist die Grundlage dieser Formbarkeit? Was passiert, wenn das Gehirn reagiert oder sich Bilder einprägt?

Die Vorgänge lassen sich nicht auf Chemie reduzieren, tatsächlich passiert dauernd etwas im Nervengewebe, das sich auch von außen beobachten lässt, wenn man nur genau genug hinsieht. Das ist nun Göttinger Forschern gelungen, die im Wissenschaftsmagazin Science von ihren Beobachtungen berichten.

Unter das Mikroskop legten die Forscher Genmäuse, die ein bestimmtes fluoreszierendes Protein in ihrem Nervengewebe ausbilden. Den Blick ins Gehirn erlaubte eine Glasscheibe in der Schädeldecke. Dabei schenkten die Forscher den Dornfortsätzen neuronaler Dendriten besondere Aufmerksamkeit. Sie sind es, die synaptische Verbindungen knüpfen. Tatsächlich bewegte sich hier einiges: Im Zeitraum mehrerer Minuten veränderten sich de Fortsätze morphologisch deutlich, obwohl sie ihre Größe beibehielten (es handelte sich also nicht um simples Wachstum).

Als Werkzeug haben die Forscher dabei ein so genanntes STED-Mikroskop (Stimulated Emission Depletion) verwendet. Dessen Grundprinzip ist so simpel wie clever. Es baut auf einem Laser-Raster-Mikroskop auf, das sich gut für das Studium biologischer Materialien eignet. Dabei muss man im zu untersuchenden Gewebe fluoreszierende Moleküle unterbringen - heute erfolgt das oft mit den Möglichkeiten der Gentechnik. Nun tastet man das Gewebe mit einem Laserstrahl ab, der die eingebrachten Moleküle anregt, so dass sie kurze Zeit später Fluoreszenz-Licht abgeben. Aus dessen Verteilung, die ein Detektor registriert, schließt man auf die Verteilung der fluoreszierenden Moleküle und damit der Strukturen, die man so markiert hat.

Allerdings hat das Verfahren den Nachteil, dass seine Auflösung auf etwa halbe Wellenlänge des verwendeten Laserlichts begrenzt ist. Es ist physikalisch nicht möglich, den Laserstrahl noch genauer zu fokussieren, um so kleinere Bereiche zu untersuchen. Für die Betrachtung lebender Zellen ist das zu wenig.

Präzisionshelfer "Ausschalt-Laser"

Einen Ausweg aus dem Dilemma skizzierte der Göttinger Physiker Stefan Hell (der auch für das aktuelle Science-Paper mit verantwortlich zeichnet) schon 1994, fünf Jahre später gelang die praktische Umsetzung. Die Bezeichnung "Stimulated Emission Depletion" verrät, worum es geht: Man schaltet unerwünschte Fluoreszenz-Moleküle gezielt ab.

Dazu bestrahlt man sie mit einem "Ausschalt-Laser", der ihnen gezielt so viel Energie zuführt, dass sie ihren Energiezustand so verändern, damit sie anschließend nicht mehr fluoreszieren können. Die auf die gezielte Stimulation folgende Emission macht die Moleküle praktisch für die Anregung des Fluoreszenz-Lasers unempfindlich. Der Ausschalt-Laser wird nun ringförmig fokussiert, so dass ein kleiner Fleck in der Mitte unbehandelt bleibt. Dieser Fleck ist deutlich kleiner als der Ausleucht-Fleck des Fluoreszenz-Lasers, so dass sich die Auflösung bis in den Bereich einiger Nanometer steigern lässt.

Ein kleines Problem stellte in der Praxis die Absorption des Laserlichts durch das bestrahlte Gewebe dar. So haben die Forscher ab und zu leichte lokale Schwellungen bei dendritischen Prozessen beobachtet, an denen viele Mitochondrien beteiligt waren. Allerdings ließen sich die für den Zelltod typischen Zerfallserscheinungen nicht nachweisen, so dass mit einer Schädigung des Gewebes wohl nicht zu rechnen ist. Abhilfe ließe sich schaffen, meinen die Göttinger, indem man auf in Wellenlängen größer 700 Nanometer fluoreszierende Proteine ausweicht - in diesem Bereich wird eine Absorption durch die Mitochondrien unwahrscheinlich.