Wenig Interesse an Begrenzung der Handy-Massenüberwachung

Wenig Andrang im Rechtsausschuss. Foto: S. Duwe

Linke und Grüne legten gestern im Rechtsausschuss ihre Entwürfe für eine Regelung der Funkzellenabfrage vor

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Die Praxis der Ermittlungsbehörden, im großen Stil über die nicht-individualisierte Funkzellenabfrage Standort- und Verbindungsdaten von hunderttausenden Handynutzern abzufragen, um beispielsweise eine Serie von Auto-Brandstiftungen in Berlin oder mehrere schwere Fälle von Landfriedensbruch in Zusammenhang mit einer antifaschistischen Demonstration in Dresden aufzuklären, ist vielfach in die Kritik von Datenschützern geraten. Nun beschäftigte sich auch der Rechtsausschuss des Bundestages mit dem Thema. Anlass sind zwei Gesetzentwürfe aus der Opposition, die helfen sollen, künftig derartige Skandale zu vermeiden. Doch das Interesse der Abgeordneten an dem Thema ist gering, und die Fronten zwischen Befürwortern und Kritikern der Funkzellenabfrage scheinen verhärtet.

Das Thema, welches der Rechtsausschuss des Bundestages gestern in einer Expertenanhörung behandelte, hat es in sich: Es geht um die rechtsstaatliche und bürgerrechtskonforme Ausgestaltung der Funkzellenabfrage, so steht es auf der Tagesordnung. Doch Anhörungen zu Grundrechtsfragen gehören offenbar nicht zu den Dingen, die für gut besuchte Ausschusssitzungen sorgen. Von den 37 Mitgliedern des Rechtsausschusses waren lediglich elf anwesend. Grundlage der Anhörung war je ein Gesetzentwurf der Grünen und der Linken.

Die Linke sieht in der nicht-individualisierten Funkzellenabfrage vor allem einen großen Eingriff in die Grundrechte, beispielsweise die Versammlungsfreiheit und betont in ihrem Entwurf, dass künftig Menschen auf ihr Recht zu demonstrieren verzichten könnten, wenn sie befürchten müssen, dabei über die Abfrage der Mobilfunkdaten automatisch ins Visier der Ermittlungsbehörden zu geraten. Auch sei eine Behinderung von Abgeordneten und Journalisten in ihrer Arbeit denkbar, so die Linke. Da die Funkzellenabfrage zugleich nur unter hohem Aufwand bei der Identifizierung unbekannter Verdächtiger helfen könne und letztendlich nur schwache Indizien, aber keine Beweise liefere, sieht die Linke dieses Fahndungsmittel als überflüssig ab und spricht sich für dessen Abschaffung aus.

Die Grünen wollen nicht ganz so weit gehen, aber nach ihrem Entwurf soll die nicht-individualisierte Funkzellenabfrage durch eine Änderung der Strafprozessordnung eingeschränkt werden. So soll künftig das Gericht, welches die Funkzellenabfrage angeordnet hat, nach Beendigung über die Ergebnisse informiert werden. Dies sehen die Grünen als pädagogische Maßnahme: Dem Gericht sollen so die Folgen seiner Entscheidung vor Augen geführt werden. Sollen die Daten für ein Verfahren genutzt werden, für welches sie nicht erhoben wurden, so soll dies nach dem Willen der Grünen ebenfalls von einem Gericht angeordnet werden. Zudem sollen sich die Gerichte bei der Begründung einer Funkzellenabfrage mehr Mühe geben, und sich dazu unter anderem explizit zur Verhältnismäßigkeit äußern. Zudem sollen Funkzellenabfragen künftig besser statistisch erfasst werden.

"Verdachtsloser Grundrechtseingriff mit großer Streubreite"

Die Anhörung zeigte, dass in der Einschätzung der Funkzellenabfrage zwischen Anwälten und Datenschützern auf der einen und Staatsanwälten auf der anderen Seite unüberbrückbare Differenzen bestehen. So sprachen sich Wilhelm Achelpöhler, Verwaltungsrechtler und Mitglied im Deutschen Anwaltsverein, und der Berliner Rechtsanwalt Johannes Eisenberg, der unter anderem für die taz und den Chaos Computer Club tätig ist, für den Vorschlag der Linken aus. Achelpöhler erklärte vor dem Ausschuss ausdrücklich, dass der Vorschlag der Grünen zwar in die richtige Richtung, jedoch nicht weit genug gehe. Achelpöhler gehört der Grünen Friedensinitiative an und war einst Kreisvorsitzender der Grünen in Münster

Der Deutsche Anwaltsverein erklärt in seiner Stellungnahme, dass es sich bei der Funkzellenabfrage um einen "verdachtslosen Grundrechtseingriff mit großer Streubreite" handele. Dieser Eingriff habe grundsätzlich eine hohe Intensität, da auch immer zahlreiche Personen einbezogen würden, die den Eingriff durch ihr Verhalten nicht veranlasst hätten. Es würde zur Angelegenheit der Betroffenen, sich zu rechtfertigen, warum sie sich an einem bestimmten Ort aufgehalten hätten. Dies könne zu einem Einschüchterungseffekt führen, wodurch die Ausübung von Grundrechten beeinträchtigt würde. Bei einer Versammlung entstehe durch das Einschalten des Mobiltelefons quasi eine "Anwesenheitsliste" für die Strafverfolgungsbehörden.

Der stellvertretende sächsische Datenschutzbeauftragte Bernhard Bannasch sieht die Gefahr eines möglichen Einschüchterungseffektes ebenso gegeben. Gleichwohl widerspricht er den Linken, die deswegen die Funkzellenabfrage ganz verbieten wollen. Es müsse aber gewährleistet werden, dass verfahrenssichernde Vorkehrungen getroffen würden, so Bannasch. Er schlug vor, die Verhältnismäßigkeit von nicht-individualisierten Funkzellenabfragen sicherzustellen, indem deren Umstände berücksichtigt werden. So müsse beispielsweise geprüft werden, ob in der betreffenden Funkzelle eine grundrechtlich geschützte Versammlung stattfinde.

Rechtsanwalt Eisenberg betonte, dass die Funkzellenabfrage nach seiner Erfahrung mit einer gewissen Heimlichkeit durchgeführt werde. Nach seinen Erfahrungen und denen einiger Kollegen, mit denen er sich über das Thema ausgetauscht habe, fänden sich in den Akten von betroffenen Beschuldigten keine Hinweise auf eine durchgeführte Funkzellenabfrage. Dabei könne diese auch zur Entlastung der Beschuldigten beitragen.

Eisenberg forderte, alle von einer Funkzellenabfrage betroffenen Personen zu informieren, sofern dies ohne Beeinträchtigung eines laufenden Verfahrens möglich sei. Sofern den Behörden nur die Telefonnummer, nicht aber Name und Anschluss des Inhabers bekannt seien, müsste die Information beispielsweise per SMS erfolgen, um einen weiteren Grundrechtseingriff durch die Abfrage der Bestandsdaten zu vermeiden. Weiterhin forderte Eisenberg, die Suche von Zeugen per Funkzellenabfrage zu verbieten.

Staatsanwalt: Kein Großstadtprivileg für Täter

Die Gesetzesentwürfe der Grünen und der Linken wurden von den geladenen Staatsanwälten hingegen durchweg als Ausdruck des Misstrauens und damit als Affront gewertet. So warf der Bamberger Generalstaatsanwalt Clemens Lückemann den Linken vor, sie zeichne mit ihrem Antrag ein Zerrbild polizeilicher und staatsanwaltschaftlicher Tätigkeit. Es gebe kein Grundrecht für Straftäter, unbehelligt von modernen Ermittlungsmethoden Straftaten begehen zu können. Wenn eine Straftat entsprechend erheblich ist, müsse es auch künftig in großen Menschenansammlungen möglich sein, eine Funkzellenabfrage durchzuführen. Ein Großstadtprivileg für Täter dürfe es nicht geben.

Oberstaatsanwalt Robert Schnabel aus München erklärte, die Funkzellenabfrage sei ein wichtiges Element zur Aufklärung von Serienstraftaten. Zugleich räumte er ein, dass sie meist nicht den schlagenden Beweis liefere, um den Täter zu überführen. Niemand werde sagen können, in wie vielen Fällen die Funkzellenabfrage zum Erfolg geführt habe. Die Frage sei vielmehr, ob die Indizien aus der Funkzellenabfrage gebraucht würden.

Der leitende Oberstaatsanwalt von der Staatsanwaltschaft Leipzig, Hans Strobl, forderte, es solle bei der aktuellen Rechtslage bleiben. Es ginge nicht nur um die Freiheitsrechte der Bürger, sondern auch um die Schutzpflichten des Staates, dazu gehöre auch, dass Straftaten effektiv aufgeklärt werden könnten. In den Gesetzentwürfen der Grünen und der Linken stünden die Schutzpflichten jedoch zurück. Er warf der Opposition zudem vor, ein schlechtes Bild von der Arbeit von Staatsanwälten, Polizisten und Ermittlungsrichtern zu zeichnen. Diese hielten sich an Recht und Gesetz. Er forderte die Politiker auf, mehr Vertrauen in die Justiz zu zeigen, um den Rechtsstaat nicht zu beschädigen.

Ulf Buermeyer, Richter am Landgericht Berlin, widersprach dem vehement. Als Staatsbürger halte er ein pauschales Vertrauen in die Justiz geradezu für gefährlich. Wer Wahrheitsermittlung um jeden Preis wolle, der gebe die Rechtstaatlichkeit auf.

Bannasch ergänzte, dass die Funkzellenabfrage mittlerweile als Routinemaßnahme durchgeführt würde. Möglicherweise liegt das daran, dass sie günstig zu haben ist: Die Abfrage einer Funkzelle kostet die Strafverfolger lediglich 30 Euro, jede weitere ist für vier Euro zu haben.