"Gute Gründe für ARD und ZDF"?

Die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten und Fernsehsender betonen oft ihre Qualität, um ihre Gebühren/Haushaltsabgaben zu rechtfertigen. Wie das Beispiel ACTA zeigt, ist dies nicht wirklich schlüssig

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Der öffentlich-rechtliche Rundfunk in Deutschland ist von Beginn an ein unabhängiges und zuverlässiges Medium für alle Menschen. Er entstand als ein Gegenentwurf zu den Propagandamedien im Nationalsozialismus. Der neue Rundfunk sollte unabhängig sein, die Demokratie und moderne Gesellschaft stützen. ARD und ZDF garantieren deshalb allen Bürgerinnen und Bürgern einen freien, unparteiischen Zugang zu allen wichtigen Informationen. Sie bieten in vielen Sendungen Raum für die politischen und gesellschaftlichen Debatten der Zeit.

60 Cent am Tag - dafür gibt es nicht einmal zwei Brötchen. Mehr kostet der öffentlich-rechtliche Rundfunk nicht. Dafür gibt es ein vielfältiges öffentlich-rechtliches Radio-, Fernseh- und Online-Angebot. Verlässlich aufbereitet und vertieft, Information, Bildung, Kultur und Unterhaltung - alles mit hohem Anspruch an Qualität und dank der Gebühren weitgehend werbefrei sowie unabhängig von Staat und Wirtschaft.

Mit diesen Behauptungen werben die Öffentlich-Rechtlichen auf der Seite Gute Gründe für ARD und ZDF für sich selbst. Und tatsächlich klingen diese Argumentationen schlüssig und lassen den Eindruck entstehen, dass hier eine Konkurrenz zu den Privatsendern besteht, die nicht nur qualitativ überlegen, sondern eben auch unabhängig und vor allen Dingen kritisch ist. Anders als Privatsender, die durch die Werbung in Abhängigkeit leben, wollen die Öffentlich-Rechtlichen zeigen, dass sie nicht nur auf der Höhe der Zeit, sondern auch kritisch und informativ sind.

Experten, Experten

Die Wirklichkeit sieht leider anders aus. Nicht nur, weil aktuelle Debatten erst spät aufgegriffen, sondern vielmehr auch, weil sich in den vielen Sendungen, die Raum für die politischen und gesellschaftlichen Debatten unserer Zeit bieten sollen, mittlerweile sogenannte "Experten" tummeln, die zu Experten in einer Art Catch22-Logik geworden sind. Ein prominentes Beispiel hierfür war und ist Bernd Weingarten von PanAmp, der sich stets zu den Themen äußern durfte, zu denen er rein zufällig auch passende "Problemlösungssoftware" vertrieb, die er dann den Behörden anpries. Am Beispiel Weingartens zeigt sich, wie jemand zum Experten wird: Je öfter er in den Medien erscheint (z. B. durch Pressemeldungen usw.), desto öfter wird er bei entsprechenden Themen auch gefragt, was sein "Expertenrating" erhöht. Wird er dann z. B. in Sendungen wie Panorama als "Experte" gelobt, dann steigt dieses Rating weiter, was erneut zur Befragung bei politischen Sendungen führt. Ob und inwiefern von Expertentum gesprochen werden kann, ist insofern also weniger einer tatsächlichen Sachkenntnis denn der medialen Aufmerksamkeit und der daraus resultieren Öffentlichkeit geschuldet.

Diese sogenannten Experten können, sofern nicht durch kritische Berichterstattung gegengesteuert wird, die Öffentlichkeit durchaus in eine Richtung beeinflussen, sodass die "verlässliche aufbereitete und vertiefte Information ... mit hohem Anspruch an Qualität" nichts weiter als einseitige Meinungsmache wird.

Doch nicht nur diese Form der Berichterstattung, auch das Auslassen von aktuellen Themen ist insofern bezeichnend für die ÖR. Die Aktualität von Themen führt letztendlich (ähnlich wie bei Wikipedia) dazu, dass Themen erst dann aufgegriffen werden, wenn sie bereits in anderen Medien als wahlweise "interessant", "hot" oder "relevant" gelten. Die Berichterstattung zu den Themen Vorratsdatenspeicherung, Onlinedurchsuchung oder Bundestrojaner fand in den ÖR (genauso wie bei den Privaten) größtenteils erst dann statt, als (nicht nur) im Internet schon ein geballter Widerstand bzw. eine erhöhte Aufmerksamkeit entstanden war. Lapidar ausgedrückt hinken die ÖR dem Trend hinterher, ohne sich jedoch vorab schon mit politisch wichtigen Themen zu befassen und durch die neutrale, informative und ausführliche Berichterstattung dazu beizutragen, ein Thema auch einmal zu einem "aktuellen wichtigen Thema" werden zu lassen.

Verlässlich einseitig

Kaum ein Thema lässt die Einseitigkeit der ÖR und die klaffende Lücke zwischen Anspruch und Wirklichkeit derzeit deutlicher hervortreten als das Thema ACTA (Anti-Counterfeiting Treaty Agreement). War ACTA bis vor Kurzem in den Medien (gleichgültig ob privat oder öffentlich-rechtlich) höchstens ein Randthema, wird es nunmehr zum "aktuellen Thema", das nicht zuletzt wegen der anhaltenden Proteste Grund zur Berichterstattung bietet. Auch die ÖR berichten über ACTA, doch die "verlässlich aufbereitete und vertiefte Information" hat einen Kardinalsfehler: ARD und ZDF haben sich beim Thema ACTA bereits eindeutig positioniert und können insofern logischerweise keine neutrale Information mehr bieten. Als Mitglied der "Deutschen Content Allianz" haben ARD und ZDF die Bundesregierung aufgefordert, ACTA so schnell wie möglich zu unterzeichnen:

Nachdem sich jeder davon überzeugen konnte, dass alle bei ACTA zur Eindämmung von Rechtsverletzungen vorgesehenen Maßnahmen bereits dem deutschen Schutzniveau entsprechen, sollte das Abkommen nun auch unterzeichnet werden. Wir bedauern, dass die Bundesjustizministerin die internationale Durchsetzung des europäischen Schutzniveaus infrage stellt.

Der "Deutschen Content Allianz" gehören neben ARD und ZDF noch weitere illustre Vereinigungen an. Sie "ist ein Zusammenschluss der Arbeitsgemeinschaft der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten der Bundesrepublik Deutschland (ARD), des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels, des Bundesverbandes Musikindustrie (BVMI), der Gesellschaft für musikalische Aufführungs- und mechanische Vervielfältigungsrechte (GEMA), der Allianz Deutscher Produzenten - Film & Fernsehen (Produzentenallianz), der Spitzenorganisation der Filmwirtschaft (SPIO), des Verbands Privater Rundfunk und Telemedien (VPRT) sowie des Zweiten Deutschen Fernsehens (ZDF)." Eine schlagkräftige Allianz, die sich da pro ACTA aufgestellt hat und dementsprechend auch kaum mehr für Neutralität zum Thema stehen kann.

Liebe Kinder ...

Dass Befürchtungen, ZDF oder ARD könnten insofern ihren "Bildungsauftrag" dazu missbrauchen, einseitig für ACTA zu werben, nicht von der Hand zu weisen sind, zeigt ein Beitrag der ZDF-Kindernachrichten "Logo". Die Kindernachrichten sollen gerade auch kleineren Kindern Informationen über aktuelle Themen bieten und warten in einem Beitrag mit Informationen über ACTA und Downloads auf. "Die nächste Nachricht dreht sich um Downloads" verkündet die Moderatorin und ergänzt dann, dass um diese Downloads gerade heftig diskutiert wird. Denn die eine Seite findet, dass man so viel wie möglich im Internet herunterladen sollte - und zwar umsonst. Die andere Seite will das Downloaden viel strenger regeln. So jedenfalls wird der Beitrag anmoderiert und die darauf folgende "Erklärung" von Logo, die nur auf Musik eingeht, wirkt wie eine Präsentation einer Plattenfirma, die die Musiker vorfinanziert, viel Geld für Werbung usw. ausgibt - und dann Probleme bekommt, weil sie durch die vielen illegalen Downloads die Musiker eben nicht mehr fair bezahlen kann, da sie ja selbst nicht mehr über ausreichend Geld verfügt.

Der Beitrag geht weder auf neue Formen der Werbung noch auf die oftmals nur geringfügige Bezahlung der Musiker durch die Verwerter, auf Knebelverträge oder Ähnliches ein, sondern ist letztendlich lediglich ein Werbeclip für die althergebrachten Formen der Rechteverwertung in Bezug auf Musik, der gerade in Zeiten von ACTA schon die Allerjüngsten auf Linie bringen dürfte (bzw. dazu gedacht ist).

Dass ARD und ZDF gerade beim Thema "neue Formen der Rechteverwertung" ihrem Informationsauftrag nicht gerecht werden, verwundert nicht. Monika Piel, die Intendantin des WDR und ARD-Vorsitzende, hat bereits vor gut einem Jahr in einem Interview mit dem Tagesspiegel klargemacht, wie sie zum Internet steht: Sie sieht kostenlose Inhalte als "Geburtsfehler" an, den es in langwieriger Arbeit zu beseitigen gilt.

Dieses Beispiel zeigt wieder einmal, dass es seitens der ÖR vermessen ist, von einer ausgewogenen, neutralen, wirtschaftsfernen Informationspolitik zu sprechen, die vertieft und aufbereitet Informationen zur Verfügung stellt, die hohe Zwangsgebühren rechtfertigen, da sie im Gegensatz zu den Informationen der Privaten nicht einseitig sind. Je öfter sich solche offensichtlichen Verfehlungen zeigen, desto öfter muss die Frage gestellt werden, ob die ÖR tatsächlich noch nachvollziehbare Gründe für ihre Gebühren finden können. Derzeit kann es nur heißen: Entweder die ÖR werden sich wieder ihrer Aufgaben bewusst und kommen diesen nach, oder sie stellen sich in eine Reihe mit den anderen, die Information mit einseitiger Propaganda verwechseln - und sich entsprechend finanzieren.

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