Werbung nur für Frauen

Ein Videowand-Prototyp an einer Londoner Haltestelle arbeitet mit Gesichtserkennung

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Ein großer Teil der Werbung in traditionellen Medien erreicht Personen, die nicht zur Zielgruppe gehören. Das ist zum Beispiel dann der Fall, wenn die Produkte nur auf eine bestimmte Einkommens- oder Altersgruppe abzielen – oder nur auf ein Geschlecht. Außerhalb dieser Zielgruppe haben Werbespots oft interessante unintendierte Nebenwirkungen: So galt es unter Kindern in den 1970er Jahren als ausgemachte Sache, dass das ominöse Produkt "o.b.", mit dem man sich "sicher fühlt" und "reiten, schwimmen und radfahren" kann, eine Art Aufputschmittel sein muss - und im Religionsunterricht fragte man, inwieweit das Gewissen bei Frauen mit dem Lenor-Ego identisch ist.

Solche interessanten Missverständnisse werden weniger, wenn Werbung nur jene zu Gesicht bekommen, für die sie gedacht ist. Ein Weg dazu ist die Identifikation von Betrachtern über gesammelte und gespeicherte Daten. Dieser Weg wird im Internet bereits häufig beschritten, allerdings baut der Datenschutz hier teilweise rechtliche Hürden auf. Theoretisch ist diese Methode auch auf der Straße einsetzbar, wenn die Identifikation beispielsweise durch ein mitgeführtes elektronisches Gerät oder einen RFID-Chip erfolgt.

Nur sehr bedingt ein Problem mit dem Datenschutz hat eine neue Apparatur, die seit Mittwoch mit einem Prototypen an einer Londoner Bushaltestelle getestet wird: Sie nutzt nämlich nur ein Datum – das Geschlecht. Das reicht für zahlreiche Produkte, um die Effizienz zu verdoppeln: Frauen kann man dann beispielsweise Werbung für Naschzeug, Prosecco und Desperate Housewifes vorsetzen – und Männern solche für Rasierwasser, Bier und Mario-Barth-DVDs.

Bislang wird die Anlage allerdings nicht dafür genutzt, sondern für ein Video der Non-Profit-Organisation Plan, das offenbar erwarteten Angriffen von Feministinnen den Wind aus den Segeln nehmen soll. In ihm sind Dreizehnjährige aus Entwicklungsländern zu sehen, die lieber in die Schule gehen würden, anstatt zu arbeiten. Außerdem erfährt die Zuschauerin, dass alle drei Sekunden irgendwo auf der Welt eine Zwangsheirat stattfindet und dass es in Afrika 92 Millionen genitalverstümmelte Frauen und Mädchen gibt.

Screenshot: Telepolis

Technisch umgesetzt wird die Geschlechtertrennung durch eine Kamera und eine Gesichtserkennungssoftware, die mit angeblich 90-prozentiger Treffsicherheit errät, ob ein Mann oder eine Frau vor der interaktiven Video-Werbefläche steht. Wird die Person als Mann eingestuft, dann sieht sie statt des Videos lediglich die URL der Kampagnenwebsite Choices for Girls, auf der Spenden und Petitionsunterschriften gesammelt werden, durch die vier Millionen Drittweltmädchen die Möglichkeit zu einem Schulabschluss erhalten sollen. Eine falsche Zuordnung des Geschlechts von Betrachtern dürfte deshalb meist unbemerkt bleiben und nur begrenzt zu Protesten führen.

Für die Zukunft ist geplant, Anzeigen auf solchen interaktiven Werbeflächen an all jene Unternehmen zu vermieten, die sich das leisten wollen oder können - mit einem Preis von 35.000 Euro für zwei Wochen ist das Angebot nämlich nicht gerade billig. Über die voraussichtliche technische Weiterentwicklung verspricht das Instrument Zielgruppenansprachemöglichkeiten weit über das Geschlecht hinaus: Über Kleidung und Haarschnitt lassen sich beispielsweise nicht nur Aussagen zum Alter und zur kulturellen Prägung treffen, sondern auch zum Einkommen und zu sozialen Ambitionen.

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