Anerkennung eines dritten oder unbestimmten Geschlechts

Der Ethikrat fordert die Achtung des Selbstbestimmungsrechts von intersexuellen Menschen bei operativen Eingriffen und die Möglichkeit, sich im Personenstandsrecht nicht mehr zwischen weiblich und männlich entscheiden zu müssen

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Auch in Deutschland könnte man beginnen, sich von der überkommenen Geschlechterdualität zu lösen und eine tolerantere Einstellung zu übernehmen, d.h. auch von kosmetischen, oft mit irreparablen Folgen einhergehenden Geschlechtsoperationen an zwischengeschlechtlichen Kindern so lange abzusehen, bis diese ab einem bestimmten Alter selbst darüber entscheiden können. Bei einem von 2.000 Neugeborenen lässt sich das Geschlecht nicht eindeutig bestimmen.

Der Deutsche Ethikrat hat nun in einer Stellungnahme, die im Auftrag der Bundesregierung erfolgt ist, vorgeschlagen, ein drittes unbestimmtes Geschlecht für Zwitter oder andere zwischengeschlechtliche bzw. intersexuelle Menschen einzuführen. Zudem sollen chirurgische Eingriffe an den Geschlechtsorganen von Menschen mit Besonderheiten der geschlechtlichen Entwicklung (DSD – differences of sexs development) im Regelfall nur mit Einwilligung der entscheidungsfähigen Betroffenen erfolgen, also nur noch sehr eingeschränkt an Kleinkindern zulässig sein. Zwar sei das Phänomen der Mehrgeschlechtlichkeit natürlich immer schon bekannt gewesen, aber mit den operativen Möglichkeiten, das Geschlecht anzupassen oder zu vereindeutigen, ergeben sich neue ethische Konflikte für die Wahl des Geschlechts, für die einzusetzenden Mittel und für die Regeln, wer entscheiden darf, welche Maßnahmen ergriffen oder unterlassen werden sollen.

Von sich aus wäre die Bundesregierung wohl kaum aktiv geworden. Nachdem aber der UN-Ausschuss zur Überwachung des internationalen Übereinkommens zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau (CEDAW) aufgrund eines 2008 veröffentlichten Berichts des Vereins Intersexuelle Menschen und der zu ihm gehörenden Selbsthilfegruppe XY-Frauen auf Verstöße aufmerksam gemacht hatte, musste die Bundesregierung reagieren.

Der Ethikrat konzentrierte sich aber nur auf die kleine Gruppe von intersexuellen Menschen, bei denen die inneren und äußeren Geschlechtsorgane sowohl typisch weibliche als auch typisch männliche Ausprägungen haben, und ließ die Problematik der Transsexuellen lieber weitgehend außen vor. Diese hätten normalerweise eine eindeutige körperliche Geschlechtsidentität, von der sich die psychische Identität unterscheide, der man dann auch den Körper anpassen wolle. Zwischengeschlechtliches spiele hier keine Rolle, auch wenn es dann doch heißt:

Es gibt allerdings auch (als transsexuell eingeordnete) Personen, die sich ohne eine entsprechende DSD-Diagnose als intersexuell bezeichnen und den Grund dafür in der hormonellen Prägung ihres Körpers, speziell ihres Gehirns angeben. Dabei ist zu beachten, dass bei kaum einem anderen Begriff in der Sexualforschung so viele Schwierigkeiten hinsichtlich der Begriffsbestimmung bestehen wie bei der Transsexualität.

Der Ethikrat spricht anstatt von intersexuellen Menschen, die früher als Zwitter oder Hermaphroditen bezeichnet wurden, lieber von solchen mit Besonderheiten der geschlechtlichen Entwicklung, um die unterschiedlichen Besonderheiten besser umfassen und auch Menschen einbeziehen zu können, die sich nicht als intersexuell verstehen. Das ist oft bei Frauen und Mädchen mit dem Adrenogenitalen Syndrom (AGS) der Fall, so der Ethikrat. Sie seien genetisch eindeutig weiblich, aufgrund hormoneller "Störungen" werden aber auch die männlichen Genitalien ausgebildet.

Intersexuelle Menschen können aufgrund ihrer "körperlichen Besonderheit" nicht eindeutig als weiblich oder männlich eingeordnet werden. Solche uneindeutigen Kleinkinder werden, beispielsweise im Fall des Adrenogenitalen Syndroms (AGS), gerne chirurgisch und biochemisch vereindeutigt, bei einer Unbestimmbarkeit entscheiden Ärzte und Eltern über das herzustellende Geschlecht. Im Bericht werden Beispiele für verheerende Eingriffe an Kindern, die teils von Ärzten ohne Befragung der Eltern zur Korrektur des Geschlechts etwa mittels Kastration, Genitaloperationen und Hormonbehandlungen vorgenommen wurden, vorgestellt.

Nach einer Studie werden die meisten DSD-Betroffenen operiert, in der Regel schon im Neugeborenen- oder Kleinkindalter, insgesamt oft auch mehrmals. Die im Auftrag des Etikrats durchgeführte, nicht repräsentative Befragung von intersexuellen Personen ergab, dass 68 % chirurgisch und 74 % hormonell behandelt wurden, die Hälfte wurde sowohl hormonell als auch chirurgisch behandelt, nur 13 haben keine Behandlung erhalten. Die chirurgische Behandlung erfolgte in 70 Prozent der Fälle vor dem Eintritt in die Schule.

Der Ethikrat kommt nun weitgehend den Forderungen der Betroffenenorganisationen nach, dass Eingriffe im Regelfall nur dann vorgenommen werden sollen, wenn die Betroffenen dies wünschen und entscheidungsfähig sind. Das Prinzip der Selbstbestimmung bedeute auch, dass eine Person, die weder weiblich noch männlich sein will, dies auch frei entscheiden kann, "zumal die Ethik schlecht verbieten kann, was die Natur von sich aus einrichtet". Zudem sollte dies nur in einem "speziell dafür qualifizierten interdisziplinär zusammengesetzten Kompetenzzentrum von Ärzten und Experten aus allen beteiligten Disziplinen" vorgenommen werden :

Irreversible medizinische Maßnahmen zur Geschlechtszuordnung bei Menschen mit uneindeutigem Geschlecht stellen einen Eingriff in das Recht auf körperliche Unversehrtheit, Wahrung der geschlechtlichen und sexuellen Identität und das Recht auf eine offene Zukunft und oft auch in das Recht auf Fortpflanzungsfreiheit dar. Die Entscheidung darüber ist höchstpersönlich. Daher empfiehlt der Ethikrat, dass sie grundsätzlich von den Betroffenen selbst getroffen werden sollte. Bei noch nicht selbst entscheidungsfähigen Betroffenen sollten solche Maßnahmen nur erfolgen, wenn dies nach umfassender Abwägung aller Vor- und Nachteile des Eingriffs und seiner langfristigen Folgen aufgrund unabweisbarer Gründe des Kindeswohls erforderlich ist. Dies ist jedenfalls der Fall, wenn die Maßnahme der Abwendung einer konkreten schwerwiegenden Gefahr für die physische Gesundheit oder das Leben der Betroffenen dient.

Intersexuelle Menschen, die sich aufgrund ihres Körpers nicht als Frauen oder Männer verstehen wollen und können, sollten nicht dazu gezwungen werden, sich im Personenstandsregister und damit auch in Ausweisen entweder dem weiblichen oder männlichen Geschlecht zuordnen zu müssen. Bis zu einem Urteil des Verfassungsgerichts im Jahr 2008 musste noch eine Vorname, um einen Menschen identifizieren zu können, das Geschlecht des Kindes zweifelsfrei erkennen lassen und durfte nicht geschlechtsneutral sein. Bislang kann man sich nur eine Geburtsurkunde ohne Geschlechtseintrag ausstellen lassen.

Empfohlen wird, dass diese Menschen sich auch als "anderes" eintragen können oder dass hier kein Eintrag erfolgen muss. Experten schlagen auch vor, das Geschlecht überhaupt wegzulassen. Die Zwangszuordnung, die oft auch mit entsprechenden Eingriffen in den Körper einhergeht, sei ein "nicht zu rechtfertigender Eingriff in das Persönlichkeitsrecht und das Recht auf Gleichbehandlung". Das Problem stellt sich zumindest bei den transsexuellen Menschen mit einem eindeutigen biologischen Geschlecht nicht, die medizinisch ihren Körper an das psychische Geschlecht anpassen lassen können und damit nach dem Transsexuellengesetz auch offiziell ihr Geschlecht im Personenstandsregister entsprechend verändern dürfen.

Überdies wird vorgeschlagen, dass Menschen mit dem offiziell anerkannten Geschlecht "anderes" ähnlich wie Homosexuelle eine "eingetragene Lebenspartnerschaft" eingehen können. Nur eine Minderheit im Ethikrat plädierte dafür, dass sie auch heiraten dürfen, was wohl den Traditionalisten zu sehr die kulturell und religiös überkommene saubere Trennung der Geschlechter und der geforderten heterosexuellen Beziehungen auflösen würde. Dabei geht allerdings eben nur um intersexuelle Menschen, nicht um Transsexuelle, die ihr biologisches Geschlecht ihrer sexuellen Identität anpassen wollen.