Putin heizt ein

Auf einer martialischen Wahlkampfveranstaltung beschwor Putin den Sieg bei den Präsidentschaftswahlen am 4. März

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Von der Wortwahl hätte man denken können, in Russland tobten Bürgerkrieg und ausländische Intervention. Doch es war nur ein Wahlkampfauftritt von Wladimir Putin. Auf einer Großveranstaltung im Moskauer Sport-Stadion Luschniki zitierte Putin gestern vor etwa 100.000 Menschen den russischen Schriftsteller Michail Lermontow, der in einem Gedicht beschreibt, wie die russischen Soldaten 1812 vor der Schlacht von Borodino den Eid auf das Vaterland leisteten und "davon träumten, für die Heimat zu sterben". Damals ging es gegen die Armee Napoleons. Heute geht es gegen diejenigen, so Putin, die sich "in unsere Angelegenheiten einmischen".

Screenshot von YouTube-Video

Putin nannte keine Namen, hatte aber schon im Dezember behauptet, die russische Protestbewegung für "ehrliche Wahlen" sei auf "ein Signal" der amerikanischen Außenministerin Hilary Clinton entstanden. Seitdem gab es im russischen Fernsehen alle möglichen "Enthüllungsberichte" über angeblich geheime Treffen von russischen Oppositionspolitikern mit Vertretern der US-Botschaft in diversen Restaurants.

Mit beschwörenden Worten beendete der Ministerpräsident seinen Auftritt im Luschniki-Stadion: "Der Kampf um Russland geht weiter. Der Sieg wird unser sein."

"Liebt ihr Russland?"

In Russland war gestern ein arbeitsfreier Feiertag. Man beging den "Tag der Vaterlandsverteidiger", an dem an die Schlachten im Zweiten Weltkrieg erinnert wird. Außerdem gilt der 23. Februar in Russland als "Männertag". Für Putin kam der Feiertag gerade richtig, zehn Tage vor den Präsidentschaftswahlen.

Im Luschniki-Stadion gab sich Putin diesmal volkstümlich. Der Premier sprach auf einer völlig leeren blauen Bühne, auf der normalerweise Boxkämpfe stattfinden. Putin trug einen einfachen Anorak und lief auf der Bühne wie ein Rock-Star hin und her, wendete sich mal an diesen, mal an jenen Teil des Publikums. Die Menge reagierte mit Beifall und Zwischenrufen. Putin heizte mit rhetorischen Fragen ein. Auf "Liebt ihr Russland?" schallte zweimal ein lautes "Ja".

"Es war wie im amerikanischen Präsidentschaftswahlkampf", berichtete Pawel Lobkow, der Reporter des kritischen Internetfernsehens Doschd.

Viele Teilnehmer an der Pro-Putin-Kundgebung waren offenbar von den Leitern staatlicher Unternehmen und Behörden geschickt worden. "Wer nicht erscheint, fliegt bei der nächsten Entlassungswelle", berichtete eine Moskauer Staatsangestellte in einem Gespräch. Auch aus anderen Städten Russlands waren Betriebsbelegschaften mit Bussen angereist. Aus dem Ural kamen 700 Arbeiter in einem Sonderzug. In Zelten wurden die Angereisten mit heißem Tee und Pfannkuchen versorgt. Manch einer hatte auch sein eigenes Fläschchen Hochprozentiges mit dabei.

Nach Medienberichten kam es auf dem Marsch der Putin-Anhänger zum Luschniki-Stadion zu zwei Zwischenfällen. Die Polizei nahm zehn Mitglieder der "Linken Front" fest, weil sie Flugblätter mit "provokatorischem Inhalt" verteilten. Außerdem wurden 70 usbekische Gastarbeiter festgenommen. Nach einer Mitteilung der Polizei waren die Arbeitsmigranten von Provokateuren mit Geld auf den Marsch gelockt wurden, um zu zeigen, dass die Veranstalter des Pro-Putin-Marsches sogar Gastarbeitern zur Unterstützung des Premiers anheuern. Einer der Usbeken trug ein Plakat mit der ironischen Aufschrift: "Man treibt uns zur Einteilung".

Putin-Unterstützer kopieren Protestbewegung

Mit der Kundgebung im Luschniki-Stadion wollte der Ministerpräsident zeigen, dass er die Massen hinter sich hat, nicht die Protestbewegung, die sich nach offensichtlichen Wahlfälschungen bei den Duma-Wahlen im Dezember gebildet hatte und am Sonntag eine Menschenkette um das Moskauer Stadtzentrum plant.

Nach der ersten Demonstration der Protestbewegung im Dezember verharrte der Kreml zunächst wie in einer Schockstarre. Doch in den letzten Wochen hat man emsig versucht, die öffentliche Aufmerksamkeit für Putin zurückzugewinnen. Im ganzen Land gab es Pro-Putin-Kundgebungen. Auffällig war, dass dabei die Aktionsformen der Protestbewegung kopiert wurden. Großdemonstrationen, Auto-Korsos und schrille Videos, all das gehört jetzt auch zum Repertoire der Putin-Unterstützer.

Worum geht es nun bei den Präsidentschaftswahlen am 4. März? Um die nächsten sechs Jahre ohne Schwierigkeiten regieren zu können, braucht Putin ein eindrucksvolles Wahlergebnis. Aber die Protestbewegung hat Tausende von Wahlbeobachtern geschult und wird genau nachzählen, wie viele Stimmen Putin wirklich bekommt. Dass der Premier so viele Stimmen bekommt wie 2004, als noch 71 Prozent der Wähler für den damaligen Präsidenten stimmten , ist unwahrscheinlich. Nach einer Umfrage des WZIOM-Meinungsforschungsinstituts gewinnt Putin am 4. März in der ersten Runde mit 56 Prozent der Stimmen. Das wäre für russische Verhältnisse ein schwaches Ergebnis.

Auch die anderen Präsidentschaftskandidaten nutzten den "Tag der Vaterlandsverteidiger" zu öffentlichen Auftritten. Der Präsidentschaftskandidat der Kommunistischen Partei, Gennadi Sjuganow, verglich auf einer Kundgebung in Moskau mit 4.000 Teilnehmern den Kampf für "ehrliche Wahlen" mit dem Kampf gegen die deutschen Faschisten im Zweiten Weltkrieg. Sjuganow kündigte an, in jedem Wahllokal werde es nicht weniger als fünf Wahlbeobachter der KP geben.

2.500 Menschen kamen zu einer Kundgebung des Ultranationalisten Wladimir Schirinowski, der in einem grauen Armeemantel und Fellmütze auftrat. Der Multimilliardär Michail Prochorow feierte den Tag in einem Restaurant mit ehemaligen Mitgliedern der sowjetischen Anti-Terror-Gruppe "Alpha".