Hellenische Zank-erd-äpfel

Der surreale Kartoffelkrieg von Hellas

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Griechenlands Finanzprobleme hängen nicht unbedingt nur von den oft zitierten hohen Pensionen einiger öffentlicher Angestellter ab. Vielmehr sind sämtliche Verbraucherpreise im Land zu hoch.

Athener Erdnüsse kosten in Athen 11,35 Euro. Bild: W. Aswestopoulos

Während der Euroeinführung wurden von vielen Händlern Preise von 100 Drachmen schlicht mit einem Euro ersetzt. Der damals festgeschriebene Wechselkurs liegt jedoch bei 340,75 Drachmen pro Euro. So kostete am 31.12.2001 ein halber Liter Wasser 50 Drachmen, am nächsten Tag waren es 0,50 Euro.

Solche Preiserhöhungen wurden von allen Einzelhändlern gleichzeitig durchgeführt, was jahrelang Diskussionen über Kartellbildungen auslöste, jedoch an der Tatsache nie etwas änderte. Im Gegenteil. Griechenlands Warenkorb wurde immer teurer. Einige Supermarktketten führten sogar computergesteuerte Preisauszeichnungen ein. Zahlreichen Kunden passierte es dann, dass die von ihnen erworbene Ware auf dem Weg vom Regal zur Kasse teurer geworden war.

Stetig steigende Preise bei sinkendem Steueraufkommen

Als Reaktion auf steigende Preise, die selbst durch Verbraucherdruck nie fielen, haben die Gewerkschaften bekanntlich teilweise massive Lohnsteigerungen durchgesetzt. Auf der Strecke blieb dadurch die Wettbewerbsfähigkeit der hellenischen Wirtschaft. Der Mehrgewinn der Supermärkte landete nicht unbedingt anteilmäßig in den Kassen des griechischen Fiskus. Vielmehr schafften es immer mehr Hersteller und Händler, die Markenrechte für ihre Produkte in Steueroasen auszulagern. Der saftige Aufpreis wurde somit für das griechische Finanzamt zur ins Ausland abzuführenden Lizenzgebühr.

Mit solchen Zuständen lebte Griechenland bereits vor der Euroeinführung. Nur konnte man damals mit einer geschickten Währungsabwertung die negativen Folgen dieser Preistreiberei immer wieder einschränken.

Der Europäische Rettungsplan für die Wirtschaft Griechenlands, im Volksmund kurz Memorandum genannt, sieht vor, dass Löhne und Gehälter gekappt werden, damit der überhitzte Markt abgekühlt wird. In der Tat hoffte die Politik, dass leidende Verbraucher ihrerseits die Waren- und Dienstleistungspreise drücken würden. Ein funktionierendes Kartellamt, das diese Aufgabe wahrnehmen könnte, hat der Staat - wie vieles andere - auch nicht zu bieten.

Zahnpasta bei Lidl in Athen. Bild: W. Aswestopoulos

Da aber der Staat seinerseits mit massig erhöhten Mehrwertsteuersätzen, neuen Verbrauchssteuern und einer teilweisen Verzehnfachung der Gebühren für amtliche Vorgänge selbst einer der Hauptpreistreiber ist, verpuffte der beabsichtigte Effekt.

Telepolis fragte den Europaparlamentspräsidenten Martin Schulz vor einer Woche zum Thema:

Wieso sind trotz Krise die griechischen Verbraucherpreise in den gleichen Supermarktketten erheblich höher als zum Beispiel in Deutschland? Seitens der Bürger, aber auch der Industriellen wird gerade das als ein Hauptgrund für das Anhalten der Rezession gesehen. Ist dies ein europäisches Problem?

Martin Schulz: Die hohen Verbraucherpreise sind eine Folge fehlenden Wettbewerbsdrucks. Dies ist eine hoch umstrittene ideologische Frage, die in Griechenland an politische Widerstände bestimmter Kreise gebunden ist, die sich nach Kräften gegen eine weitere Marktöffnung stemmen. Dabei hilft mehr Wettbewerb gerade den Verbrauchern in prekären Einkommenssituationen.

Wer aber sind die Kreise, die sich aus ideologischen Gründen gegen den Wettbewerbsdruck stemmen? Auf diese Frage lieferte die griechische Realität eine Antwort.

Preisrevolution von unten, die Selbstorganisation der Verbraucher

Zuerst wurde vor zwei Wochen nur ein Lastwagen voll mit Kartoffeln aus Nevrokopi bei Drama über eine Facebook-Gruppe geordert. Die Aktivisten konnten so im nordgriechischen Katerini statt mindestens 80 bis 90 Eurocent pro Kilo Erdäpfel durch das Ausschalten von Zwischenhändlern einen Preis von 0,25 Euro erzielen. Der Bauer bekam dabei statt 0,15 Euro pro Kilo, welche ihm ein Zwischenhändler anbot, netto mehr als 0,20 Euro Erlös in die Tasche, denn lediglich die Transportkosten schmälerten seinen Gewinn.

Kartoffelpreise am 9. März in Athen. Bild: W. Aswestopoulos

Gleichzeitig fuhren zwei Dampfer voll mit ägyptischen Kartoffeln in den Hafen von Thessaloniki. Zwischenhändler setzten auf Import, weil nicht nur die Bauern von Nevrokopi kein Einsehen haben, wenn ihr Verkaufspreis bis auf ein Zehntel des Ladenpreises sinken soll. Produktive Landwirtschaft im Agrarland Hellas wurde so über die Jahre unrentabel. Nur EU-Agrarsubventionsabzocker konnten überleben.

Der Einzelfall machte Schule. Es fanden in immer mehr griechischen Städten solche Aktionen statt. Dies hatte aufs ganze Land einen Nebeneffekt. Denn obwohl es in Athen noch keine Aktion gab, sank in den AB-Vasilopoulos-Märkten, die zur DelHaize-Gruppe gehören, der Preis für Kartoffeln aus Nevrokopi wie durch magische Hand von 1,20 bis 1,30 Euro das Kilo auf maximal 35 Eurocent. Direkt daneben lagen weiterhin die Hausmarkeprodukte zum Preis von 1,20 Euro pro Kilo. Preiswerter wurden die Erdäpfel auch auf Wochenmärkten der Hauptstadt. Logisch, denn nach dem Bekanntwerden der Gewinnspanne für Zwischenhändler möchten alle Griechen viel lieber preiswerte Kartoffeln essen.

Die Kommunisten "machen eine Kartoffel"

Der Erfolg macht bei den Preisaktivisten Lust auf mehr. Olivenöl, Weizenmehl, Linsen, Reis und Gemüse stehen als nächstes auf dem Programm. Nur eine der griechischen politischen Parteien schrie laut auf. Die auch 2012 immer noch stalinistisch orientierte kommunistische Partei konnte keinen Gefallen an der Aktion finden.

Die einzige griechische Partei, die anlässlich des Diktatortodes Beileidsbekundungen nach Nordkorea schickte und sich so freiwillig dem dort verordneten Wehklagen um Kim Jong-Il anschloss, meint, dass "diese Aktionen die armen Bauern von der Kollektive des gemeinsamen Agrarkampfes entfernen". Eine Betrachtungsweise, mit der die Kommunisten auch innerhalb des linken Parteispektrums ziemlich allein stehen. Sie haben damit schlicht, wie es im griechischen Volksmund heißt, "eine Kartoffel gemacht" - sprich, sie haben Mist gebaut. Spötter im Land meinen, dass der KKE jede nicht von ihr kontrollierte Bürgerbewegung als konterrevolutionär erscheint.