"So-hab-ich-das-nicht-gemeint"-Schläge

Laut einer repräsentativen Umfrage hauen vierzig Prozent der deutschen Eltern zu, um ihre Kinder zu bestrafen. Erklärt wird dies mit Überforderung. Die ist teilweise hausgemacht

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Es sind mehr Eltern, die körperliche Strafen anwenden, als man dies angesichts der öffentlichen Ächtung solcher Erziehungsmaßnahmen annehmen würde. 40 Prozent der von Forsa in einer repräsentativen Studie befragten Eltern nannten den "Klaps auf den Po" als Maßnahme, mit der sie ihren Nachwuchs "in den letzten 12 Monaten mindestens 1-2 mal bestraft haben". 10 Prozent bekannten sich zu Ohrfeigen, 4 Prozent zu "Hintern versohlen", ein halbes Prozent zu "mit Stock versohlen o.ä.". Bermerkenswert ist, dass die Untersuchung dabei keine eklatanten Unterschiede zwischen Gering- und Normalverdienern herausfand.

Es handelt sich dabei eher um "Ausrutscher" und nicht um eine Regel, so die Bewertung der Studienergebnisse in der Zeitschrift Eltern, welche die Studie in Auftrag gegeben hat. Im Vergleich zur vorherigen, ähnlich angelegten Befragung von 2007 zeigt sich ein abnehmender Trend. Damals waren es noch 46 Prozent, die nach eigenen Angaben "Klapse auf den Po" verabreichten. Die Formulierung klingt etwas formelhaft, wie aus älteren Zeiten: Wer haut Kindern auf den Po in der Art, wie sie von Wilhelm Busch gezeichnet wurden? Vermutlich handelt es sich um eine euphemistische Umschreibung von Schlägen, die anders als Ohrfeigen nicht auf das Gesicht des Kindes zielen.

Rechtlich ist solches in § 1631, BGB eindeutig geregelt:

(2) Kinder haben ein Recht auf gewaltfreie Erziehung. Körperliche Bestrafungen, seelische Verletzungen und andere entwürdigende Maßnahmen sind unzulässig.

Nach dem Bild, das die Studie zeichnet, sind es häufiger Jungen, die unzulässig bestraft werden. Je älter sie sind, desto eher bekommen sie Ohrfeigen. Je mehr Kinder die Befragten haben, desto eher ergibt sich "die Bereitschaft oder Gelegenheit für Bestrafungsmaßnahmen" - vielleicht sollten Politiker, die größere Familien fördern wollen, auch darüber nachdenken?

Der großen Mehrheit der Eltern, besonders den Müttern, drei Viertel der Befragten ging es schlecht, nachdem sie ihr Kind körperlich bestraft haben. Sie hatten ein schlechtes Gewissen oder ärgerten sich über sich selbst. Um über die negativen Gefühle hinwegzukommen, greifen fast alle (89 Prozent) zu einem erklärenden Gespräch, warum es dazu gekommen ist oder nimmt das Kind in den Arm (86 Prozent). 80 Prozent beteuern dem Kind, wie sehr sie es lieb haben An eine längere pädagogische Wirkung der Schläge will nur eine Minderheit der befragten Eltern glauben.

So sieht es ganz danach aus, als ob es der Affekt ist, der die Hand führt, als eine erzieherische Regel, wobei hier auch der Einfluss der selbst erfahrenen Erziehung eine Rolle spielt: "Die Hälfte der befragten Eltern haben in ihrer Kindheit selbst Gewalt erfahren."

Erklärt werden die Ausfälle mit Überforderung. Die Anlässe, an erster Stelle "Unverschämtheit", dann "Ungehorsam", "Agressivität gegenüber den Eltern" und "Aggressivität gegen Geschwister", passen situativ zu diesem Bild, das mit Verweisen auf gesellschaftliche und Arbeitsbedingungen eingerahmt wird:

Warum fragt man sich, hört das nicht auf? Welche Gründe fürs Hauen führen die Eltern eigentlich an? Offenbar gibt es vor allem einen Auslöser: Überforderung! Der Wunsch, alles richtig zu machen, eine oft kinderunfreundliche Umgebung und zunehmender Druck der Arbeitswelt ersticken die Gelassenheit, die man im Alltag mit Kindern braucht. Da gelingt es eben nicht, über eine dreijährige Puddingschleuder am Mittagstisch einfach hinwegzusehen.

Das ist eine allgemein gehaltene Erklärung, die Besonderheiten einer Situation, in der Eltern handgreiflich werden, außer acht lässt, bzw. sich mit dem Hinweis auf einen bekannten Topos (die Puddingschleuder) begnügt. Dass Schläge in den meisten Fällen bereut werden, ist ein Indiz dafür, dass sich seit längerem ein anderes moralisches Bewusstsein gegenüber körperlichen Strafen gebildet hat. Kommentare, die sich dafür aussprechen, dass die kleinen Tyrannen nicht über Worte, sondern über "Fühlen" und "Schmerz" lernen, sind wohl eine Minderheitsmeinung.

Dass weiterhin geschlagen wird, verweist, um auf einer generellen Ebene zu bleiben, auf ein Autoritätsproblem, das diese Elterngeneration möglicherweise hat. Dieses hängt mit der Abgrenzung von Kindern zusammen. Um es zugespitzt und sehr allgemein zu formulieren, wie kommt es, dass ein Buch in den USA unter Eltern ein Riesenerfolg wird, in dem eine amerikanische Mutter entdeckt, dass französische Eltern ihre Kindern mit Autorität entgegentreten?

Das vollkommene Eingehen auf Bedürfnisse der Kinder unter Hintanstellung der eigenen

Als Entdeckung wird in dem Buch "Bringing Up Bebe: One American Mother Discovers the Wisdom of French Parenting" emporgehoben, dass die französischen Eltern nicht auf nörgelnde Fragen eingehen, den Kindern stattdessen klare Aussagen entgegenhalten, die keine weitere Diskussion zulassen ("Gegessen wird zu festgelegten Mahlzeiten"). Dass die Eltern von den Kindern selbstverständlich Geduld erwarten. Dieses Bild der französischen Eltern ist natürlich idealtypisch erhöht, auch im Nachbarland sind längst elterliche Verhaltensweisen zu beobachten, die hierzulande mit den "Müttern vom Prenzlauerberg" karikiert werden, bei denen sich angeblich die ganze Welt ums tolle Kind dreht. Der US-Bestseller ist eine Art Befreiungsschrift von der Kindzentriertheit.

In einem Satz: In Frankreich muss sich das Kind der Erwachsenenwelt unterordnen – während sich das Verhältnis im englischen Sprachraum (und ja, auch in der Deutschschweiz) umgekehrt hat. Bei uns setzte sich ein Selbstverständnis durch, in dem das Kind zum König wurde – was wiederum die ganze familieninterne Dynamik verändert hat: "La famille, c’est moi".

Jeanne d’Arc statt Tiger Mom

Dass das Buch sich auch hier an Erziehungs-Diskussionen anknüpfen kann, hat damit zu tun, dass das angesprochene Phänomen so verbreitet ist, auch in Deutschland. Im Leben vieler Mittelstandseltern bilden die Kinder den Mittelpunkt, nachdem sich viele Energien und Aufmerksamkeiten, die gesamte Planung der Freizeit ausrichten. Das Bemerkenswerte an dem Ergebnis der Eltern-Studie ist wie erwähnt, dass es viel mehr Eltern sind, denen die Hand ausrutscht, als man annehmen hätte können - und der Kontrast zu einer ganz anderen Wahrnehmung von elterlichen Verhaltensweisen in der Öffentlichkeit, die vor 20 Jahren noch sehr ungewöhnlich gewesen wären: das vollkommene Eingehen auf Bedürfnisse der Kinder unter Hintanstellung der eigenen: "In welches Café möchtest du denn gehen? Möchtest du dich lieber ans Fenster setzen oder in die Nähe zu den anderen Kindern? Was willst du denn lieber, eine Rhabarberschorle oder ein Spezi? Etc."

Die wohl gut gemeinte grenzenlose Eingehen auf das Kind hier und dort der "So-hab-ich-das-nicht-gemeint"-Schlag auf den Kopf später, wenn das Kind, das auf die Position eines Erwachsenen gerückt wurde, sich Unverschämtheiten herausnimmt. Eine Situation, der möglicherweise eine Überforderung beider Seiten, der Eltern wie der Kinder, zugrunde liegt. Dieser Stress aber ist hausgemacht.