Lizenz zum ungehinderten Lauschen und Sammeln

Britische Regierung will umfassendes Lauschgesetz durchboxen und setzt auch bei den Olympischen Spielen auf Sicherheit

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Die britische Regierung will ein umfangreiches Vorratsdatenspeicherungsprogramm einführen (Die Einschränkungen für das Überwachen der Kommunikation sollen fallen). Dadurch soll es für Geheimdienste und Polizei ermöglicht werden, die Kommunikationswege von Individuen ausspähen zu können. Betroffen sind alle Formen der Telekommunikation inklusive Telefonieren, Email, Chatsysteme wie Skype und soziale Medien wie Facebook und Twitter. Offiziell bekannt gegeben soll das Vorhaben während der "Queens Speech" am 9. Mai. In dieser von der Königin vor beiden Häusern des britischen Parlamentes gehaltenen Rede werden die Gesetzesvorhaben der Regierung für das kommende Jahr mitgeteilt.

Über das Gesetzesvorhaben wird schon länger diskutiert. Bereits im Februar berichtete das Onlinemagazin ZDNet darüber. In dem Artikel ging es vor allem um die Rolle, die den Internet Service Providers in dem Vorhaben zugedacht werden. Diese sollen eigenständig die notwendige Überwachungssoftware installieren. Wer die Kosten trägt, ist noch unklar. Diese Unklarheit ist ein Grund, warum die ISPs dem Vorhaben bislang skeptisch gegenüber stehen. Sie fürchten Kosten im Rahmen von 14 Millionen Pfund.

Seit 2010 wird das Vorhaben in Regierungszirkeln erörtert. Damals erschien das so genannte Strategic Defence and Security Review. Darin ist der Vorsatz nachzulesen, "ein Programm zur Erhaltung der Möglichkeiten für Sicherheits-, Geheim- und Polizeidienste zur Gewinnung von Kommunikationsdaten und zum Abfangen von Kommunikationsdaten innerhalb eines angemessenen rechtlichen Rahmens einzuführen". Das Abfangen von Kommunikationsdaten habe "eine Rolle in 95% aller Antiterrormaßnahmen und bei der Bekämpfung von Schwerverbrechen gespielt", wurde als Begründung gegeben.

Bereits 2009 wollte die damalige Labour-Regierung ein ähnliches Programm einführen, scheiterte aber am breiten gesellschaftlichen Widerstand. Damals sprachen sich sowohl die Konservative Partei als auch die Liberaldemokratische Partei gegen das Programm aus. Jetzt sitzen beide in der Regierung und die Innenministerin Theresa May, Mitglied der Konservativen, verteidigt das Vorhaben. Sie behauptet, dass nur Terroristen, Pädophile und Schwerkriminelle von der Ausspähung betroffen seien.

Dem widerspricht ihr Parteikollege David Davis. Er war einst der Gegenkandidat David Camerons im Kampf um den Parteivorsitz der Konservativen. Als Labour die Datenspeicherung einführen wollte, trat Davis von seinem Parlamentssitz zurück, um eine Nachwahl zu provozieren. Davis machte die Datenspeicherung zum zentralen Thema des Wahlkampfes und gewann. Das war eines der Ereignisse, die Labour seinerzeit dazu brachten, das Projekt zu beerdigen.

Auch heute spricht sich Davis wieder gegen die Datenspeicherung aus. Er warnt vor den Konsequenzen für bürgerliche Freiheiten, die ein uneingeschränkter staatlicher Zugriff auf sämtliche Kommunikation seiner Bürger habe. Es existierten bereits jetzt genug staatliche Mittel, um einen solchen Zugriff zu ermöglichen, allerdings ist dafür dafür ein richterlicher Beschluss erforderlich. Diese Hürde wird durch die geplante gesetzliche Regelung ausgehebelt, so seine Argumentation.

Nach bisheriger Rechtsprechung kann nur der Innenminister die Durchsuchung von Kommunikationsdaten genehmigen. Das geht aus den Richtlinien zum Regulation of Investigatory Powers Act 2000 (RIPA) hervor.

Die genauen Details des neuen Gesetzes sind allerdings noch unbekannt, das Innenministerium schweigt sich aus. Klar ist aber, dass es weit über bereits bestehende Regelungen hinaus gehen soll. Das Ausforschen von Facebook und Co. gehört bereits zum Standardprogramm britischer Ermittlungsbehörden. Das zeigte sich auch bei der Strafverfolgung von Jugendlichen nach den Unruhen im vergangenen Sommer.

Sicherheitstechnologie als Konjunkturprogramm

Das neue Gesetz soll angeblich erst 2015 in Kraft treten. Dennoch wird es von der Regierung mit den in diesem Sommer in London stattfindenden Olympischen Spielen und dem ebenfalls in dieses Jahr fallenden Kronjubiläum gerechtfertigt. Vor allem ersteres Ereignis sorgt für eine so noch nicht gekannte Mobilisierung des Sicherheitsstaates. 13.500 Soldaten sollen in London stationiert werden. Hinzu kommen zwischen 24.000 bis 49.000 private Sicherheitskräfte. Diese werden für die Dauer der Spiele Polizeibefugnisse erhalten. In Londoner Außenbezirken werden Boden-Luft-Raketen stationiert. Das olympische Dorf wird von einem elektrischen Zaun umringt.

Große Gewinnerin des ganzen wird die private Sicherheitsindustrie sein, die sich satte Gewinne ausrechnet. Manche Kommentatoren beschwören den Erfolg der Sicherheitsindustrie gar als Notwendigkeit für einen zukünftigen Wirtschaftsaufschwung herauf. Diese Industrie dürfte auch durch das neue Gesetzesvorhaben der Regierung einen Aufschwung bekommen, denn die nötige Software muss erst noch erstellt und dann teuer verkauft werden.

Es gibt noch einen ironischen Aspekt der Geschichte. Während an der Ausforschung des Kommunikationsverkehrs gearbeitet wird, plant die Regierung ein weiteres Gesetz. Dieses soll es der Regierung ermöglichen, Beweise für die Notwendigkeit von zweifelhaften Maßnahmen wie zum Beispiel einer "extraordinary rendition" (illegalen Gefangennahme und Verschleppung) hinter geschlossener Tür vor ausgewählten Geheimgerichten vorzulegen. Während also die Einwohner Großbritanniens bald völlig nackt vor dem Staat stehen werden, bastelt der Staat am Ausbau des Schutzes seiner eigenen schmutzigen Geheimnisse.