Es wird ernst für Spanien und damit für den Euro

Nun sind es die Iberer, die Italien im Strudel mit nach unten ziehen

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Es ist offensichtlich, dass nach einer weiteren scheinbaren Beruhigung die Euro-Krise wieder mit Macht auf die Tagesordnung drängt. Die Wirkung, dass die Europäische Zentralbank (EZB) die Geldmärkte mit einer Billion Euro längerfristig geflutet hat, verpufft angesichts von Realdaten und einer planlosen Regierung in Spanien. Die spart nun auch das viertgrößte Euroland tief in die Rezession. Aus dem großen Sorgenkind Europas wird nun ein Absturzkandidat, der kaum noch am Rettungsschirm vorbeikommt. Er droht auch das große Italien mit in den Abgrund zu ziehen.

Eine gewisse Zeit war Spanien weitgehend von den Radarschirmen der Krisenbeobachter verschwunden. Auf der einen Seite sorgten die riesigen Geldspritzen der EZB im vergangenen Dezember und Februar dafür, dass die Zinsen für spanische und italienische Staatsanleihen wieder gesunken waren. Die Geschäftsbanken haben für das günstige Geld, das sie für einen Zinssatz von 1% erhielten, nach Anlagemöglichkeiten gesucht und legten einen Teil auch wieder gewinnbringend in Anleihen der Krisenländer an.

Angesichts der Zweifel am Kurs der Regierung steigen die Risikoaufschläge für spanische Anleihen deutlich. Da die Kritik am strikten Sparkurs wächst, musste das Land bei der ersten Anleihe-Auktion nach der Vorstellung des Haushalts 2012 wieder deutlich höhere Renditen bieten. Für dreijährige Staatsanleihen waren es fast 2,9%, im Vormonat lagen sie noch bei gut 2,4%.

Inzwischen hat die Regierung unter dem rechten Mariano Rajoy aber gezeigt, dass sie in die Fußstapfen der sozialdemokratischen Vorgänger getreten ist. Auch die konservative Volkspartei (PP) hat ganz offensichtlich keinen Plan und improvisiert und jongliert freihändig. Anders kann man es nicht interpretieren, wenn sie trotz massiver Forderungen aus Brüssel den Haushalt für das laufende Jahr erst mit langer Verspätung nach den Wahlen in Andalusien und Asturien am 31. März vorgestellt hat und dann nur eine Woche später verkündet, weitere zehn Milliarden Euro einsparen zu wollen.

Dilettantischer geht es kaum. Und so wurde klar, dass sogar die Regierung Rajoy nicht an ihren Haushalt glaubt. Daraufhin explodierten am Sekundärmarkt die Risikoaufschläge für zehnjährige spanische Anleihen auf über 430 Basispunkte. Der Zinssatz stieg damit auf über 6% und nähert sich wieder gefährlich der Absturzgrenze von 7% an. Das ist der Punkt, an dem schon Griechenland, Irland und Portugal Nothilfe von der EU und vom Internationalen Währungsfonds (IWF) beantragen mussten. Spanien rückt also wieder in die gefährlichen Bereiche vor, in die es schon im vergangenen November geriet, als die Zweifel an Italien sehr groß wurden und Silvio Berlusconi abtreten musste (Berlusconis wachsweicher Rücktritt).

"Spanien ist schuld"

Die Lage hat sich nun aber umgekehrt. Nun ist das abstürzende Spanien dafür verantwortlich, dass für Italien die Lage wieder deutlich kritischer wird. Als Rom gestern Anleihen mit einer dreijährigen Laufzeit versteigerte, stieg der durchschnittliche Zinssatz auf fast 3,9% und damit auf den höchsten Wert seit Januar. Kürzlich musste Italien dafür nur knapp 2,8% bieten. Dass die Lage auch für Italien langfristig kritischer wird, zeigt sich daran, dass für elfjährige Papiere sogar fast 5,6% Rendite gezahlt werden mussten. Das ist deutlich über der Marke von 5%, die Ignazio Visco, Chef der italienischen Notenbank, als erträglichen Zinssatz für dauerhafte Zinsen genannt hatte. So versteht man, wenn Mario Monti in Rom zusehends nervös wird und erklärte: "Spanien ist schuld." Schon Ende März hatte er vor Unternehmern erklärt: "Spanien sorgt in Europa für Besorgnis und über die Ansteckung könnte es auch uns treffen."

Spanien verwehrt sich natürlich gegen die Vorwürfe und in Madrid spricht man von einem "Angriff der Anleger". Doch sollte nun ein spekulativer Angriff tatsächlich eine Rolle spielen, dann hat die spanische Regierung dafür erst die Munition geliefert. Den einstigen Vertrauensvorschuss hat sie in nur wenigen Monaten verspielt. Immer deutlicher setzt sich die Meinung durch, dass das Land mit immer neuen Sparprogrammen nur in die Klasse abrutscht, in der sich schon Griechenland und Portugal befinden. Dabei haben Griechenland und Portugal mit ihren drastischen Sparkursen bereits verdeutlicht, dass die Reise in die Depression führt und man sich so von einer wirtschaftlichen Gesundung weiter entfernt.

Rekordarbeitslosigkeit und tiefe Einschnitte in Bildung und Wissenschaft

Dass die Arbeitslosenquote in Spanien auf immer neue Rekordwerte steigt, ist ein dramatisches Warnsignal in einem Land, das vor allem am nationalen Konsum hängt. Fatal ist, dass in einem Land, das nur die Hälfte der Bevölkerung Deutschlands hat, vermutlich zum Jahresende wohl sechs Millionen Menschen keinen Job mehr haben. Sogar die Regierung geht davon aus, dass durch die Sparpläne im laufenden Jahr weitere 630.000 Stellen wegfallen, weil die Wirtschaft um 1,7 Prozent schrumpfen soll. Ob es dabei bleibt, kann angesichts der Vorbilder Griechenland und Portugal bezweifelt werden. In Griechenland schrumpfte die Wirtschaft im vierten Quartal 2011 gegenüber dem Vorjahr sogar um 7% und in Portugal um 2,7%.

Hatte die britische Financial Times (FT) schon den ersten Sparhaushalt als "verwirrend" bezeichnet, weil in so bedeutsamen Bereichen wie Aus- und Fortbildung sowie Forschung und Entwicklung die besonders großen Scheren angesetzt werden, ist die Verwirrung auch in London noch gewachsen. Denn das nachgeschobene Sparpaket sieht vor, weitere drei Milliarden Euro in der Bildung zu sparen (Spanien will weitere 10 Milliarden Euro bei Bildung und Gesundheit sparen). Das dürfte dramatische Folgen in einem Land haben, das schon vor der Krise wegen der hohen Zahl der Schulabbrecher hervorstach, und zu massive Proteste führen, auf die sich die Regierung schon durch wahnwitzige Strafrechtsverschärfungen vorbereitet. (Aufruf zu Protesten im Internet soll als Bildung einer kriminellen Vereinigung bestraft werden)

So legte die FT inzwischen in ihrer Kritik nach und machte deutlich, dass sich harte Sparprogramme eben nicht mit einer wirtschaftlichen Erholung vertragen. Es würden damit "unrealistische Erwartungen" geschaffen, die sich schließlich ins Gegenteil verkehren. Die Sorge darum wachse, dass immer "neue Sparprogramme und Reformprogramme" das Wachstum abwürgen und damit die reale Möglichkeit aushöhlen, die Schuldenlast wirklich einzudämmen.

Die spanische Regierung verbaut mit Sparen die Zukunft

Portugal ist dafür ein schönes Beispiel. All die harten Sparprogramme haben erwartungsgemäß nicht dazu geführt, dass das ausblutende Land seinen Schuldenstand begrenzen konnte. Bei der Staatsverschuldung ist es nun auf den dritten Platz hinter Griechenland und Italien vorgerückt. Ende 2010 lag das Land auf der Schuldnerliste noch direkt vor Deutschland mit 93,3%. Ende 2011 ist die Verschuldung im Verhältnis zur Wirtschaftsleistung schon auf 110% angeschwollen, weshalb auch Belgien und Irland überholt wurden. Gegen alle anderslautenden Verlautbarungen wird Portugal, das am Samstag wohl als erstes Land den Fiskalpakt von Bundeskanzlerin Angela Merkel ratifizieren wird, wie Griechenland neue Nothilfe-Milliarden und wohl bald auch einen Schuldenschnitt brauchen (Nach Griechenland auch bald Schuldenschnitt für Portugal).

Doch genau auf diesen fatalen Weg schicken die spanischen Postfaschisten nun ihr Land, weil sie sich planlos der Austerität verschrieben haben. Dabei verbauen sie durch die Einschnitte in strategisch bedeutsame Bereiche dem Land sogar dauerhaft die Zukunft. Denn nur über Bildung, Forschung und Entwicklung kann das dringend notwendige Umsteuern einer Wirtschaft geschehen, die sich neben dem Tourismus vor allem auf dem Bausektor gestützt hat, der mit der Immobilienblase geplatzt ist. Da nun schon mehr Geld für den Schuldendienst ausgegeben werden muss, als für die gesamten Löhne und Gehälter im öffentlichen Dienst macht deutlich, wie gefährlich sich die Lage schon zugespitzt hat.

Obwohl Spanien im vergangenen Jahr davon profitierte, dass Urlaubsländer wie Tunesien, Ägypten und andere gemieden wurde, rutschte das Land in die Rezession ab. Die Arbeitslosenquote in Andalusien und den Kanarischen Inseln, die praktisch das gesamte Jahr von Touristen besucht werden, ist mit über 30% sogar besonders hoch. Mit dem Tourismus lässt sich das Land nicht auffangen. Trotzdem versucht die Regierung über Lohndumping, das Land billiger zu machen und Investoren anzulocken. Doch das kann in einer globalisierten Welt nicht erfolgreich sein, weil man im Billiglohnbereich mit vielen Ländern konkurrieren muss.

Basken zeigen Alternative auf

Wenn die Spanier endlich ihren falschen Stolz über Bord werfen würden, könnten sie im eigenen Land sehen, dass es auch anders geht. Denn die Basken halten den Kurs, der allein auf das Haushaltsdefizit ausgerichtet ist, für absurd. Sie wollen deshalb weder die Steueramnestie umsetzen, noch die Einschnitte im Bildungs- und Gesundheitssystem, mit dem die neuen 10 Milliarden eingespart werden sollen. Da diese Bereiche zudem in ihre Kompetenz fallen, erklärte Gesundheitsminister Rafael Bengoa, das Baskenland werde sich "mit aller Kraft dagegen stemmen", wenn die Krise dafür missbraucht werden soll, dem Land Kompetenzen streitig zu machen.

Statt an der Bildung zu sparen, könnte Spanien in diesen Bereich sogar investieren. Statt Steuerhinterzieher mit einer Abgeltungssteuer von höchsten 10% zu belohnen, könnte man sich am deutschen Steuerabkommen mit der Schweiz ein Beispiel nehmen, wo ein Steuersatz von bis zu 41 Prozent vorgesehen ist. Statt den erwarteten 2,5 Milliarden könnte Spanien dann 2012 sogar mehr als zehn Milliarden einnehmen, die eben dann in Bildung und Forschung fließen könnten, statt hier extrem zu kürzen. Deshalb machen die Basken dabei nicht mit.

Das Baskenland zeigt auch, wie oberflächlich es ist, wenn von Konservativen stets inflexible Arbeitsgesetze dafür verantwortlich gemacht werden, dass die Arbeitslosigkeit in Spanien extrem hoch sei und Spanien demnächst einen weiteren Generalstreik bescheren wird, weil die Arbeitsmarktreform nun im Parlament verabschiedet wurde. Doch man fragt sich, warum die Arbeitslosigkeit im Baskenland unter den bisherigen Gesetzen nicht einmal halb so hoch ist wie im spanischen Durchschnitt, wenn sie angeblich Beschäftigung verhindern.

Weil die Basken eine Steuerhoheit haben, die Spanien stets ein Dorn im Auge ist, konnten hier eine funktionierende innovative Industriestruktur (Urbane nachhaltige Mobilität) aufgebaut werden, nachdem in der Krise in den 1980er Jahren Werften und Hochöfen geschlossen wurden und die Arbeitslosigkeit in die Höhe schoss. Statt mit Billiglohnländern über Lohndumping konkurrieren zu wollen, wurde ein modernes Bildungssystem aufgebaut und massiv auf Forschung und Entwicklung gesetzt, worin auch die vielen großen Genossenschaften eine zentrale Rolle spielen. Das Lohnniveau ist deutlich über dem spanischen Durchschnitt. Auch deshalb kommen die Basken deutlich besser durch die Krise. Sie tun gut daran, sich erneut dem Kurs zu verweigern, der ihnen aus Madrid aufgezwungen werden soll.

Der spanische Ministerpräsident kann lange davon sprechen, dass Spanien auch in Zukunft keine Nothilfe benötigen wird. Die Realität sieht anders aus. "Spanien wird nicht gerettet, weil es keine Rettung braucht", erklärte Rajoy. Derlei Beschwörungsformeln kennt man aus Griechenland, Irland und Portugal und sie klingen wie das bekannte Pfeifen im Walde. Da Finanzkrisen lange wirken, kann man durch das Fluten der Geldmärkte bestenfalls Zeit gewinnen, die man nutzen muss. Spanien tut das nicht. Vielleicht hat Rajoy aber recht, wenn er sagt: "Es ist nicht möglich, Spanien zu retten." Tatsächlich wird es sich zeigen, wenn die Euro-Krise demnächst wieder sehr virulent wird, ob das abstürzende Spanien dann Italien und damit den Euro in arge Bedrängnis bringt.