Die dreißigjährige Suche nach dem G-Punkt

Ein amerikanischer Gynäkologe meint ein anatomisches Konstrukt identifiziert zu haben, nach dem Forscher seit drei Jahrzehnten fahnden: den weiblichen G-Punkt

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Das Glück liegt 16,5 Millimeter vom oberen Teil des Harnröhrenausgangs entfernt. Es liegt in einer sackähnlichen Struktur, deren Wände erektilem Gewebe ähneln und deren Oberfläche bläuliche Unregelmäßigkeiten zeigt, die aus dem Inneren durchscheinen. Es hat die Form einer Traube und ist rund acht Millimeter lang, bis zu knapp vier Millimeter breit und nur 0,4 Millimeter hoch. Drei Teile lassen sich deutlich unterscheiden: eine Art Kopf von 3,4 mal 3,6 Millimetern, ein 3,1 mal 3,3 Millimeter großer Mittelteil und ein Schwanz, der 3,3 mal 3,0 Millimeter groß ist. Von seinem Ende erstreckt sich ein seilartiges Blutgefäß, das im umgebenden Gewebe verschwindet.

Was der polnischstämmige Gynäkologe Adam Ostrzenski da in der forensischen Abteilung der Medizinischen Universität Warschau identifiziert und in einem Paper im "Journal of Sexual Medicine" beschrieben hat, soll ein mindestens 30 Jahre altes Rätsel auflösen: Gibt es eine besonders erogene Zone in der Vagina, wo liegt sie genau, und wie sieht sie aus?

Schon 1950 hatte der deutsche Frauenarzt Ernst Gräfenberg bei der Untersuchung der Rolle der Harnröhre beim weiblichen Orgasmus ein Gebiet an der vorderen Vaginalwand entlang der Harnröhre gefunden, das bei sexueller Stimulation anschwillt.

Ihre Namen haben der G-Punkt oder die Gräfenberg-Zone aber erst Anfang der 1980er bekommen, vor allem im Zuge des sehr erfolgreichen Buchs "The G Spot and Other Recent Discoveries About Human Sexuality". Ob eine solche Zone aber überhaupt existiert, darüber herrschte lange Unklarheit. Vor allem die Medien hatten das Thema zunächst dankbar aufgegriffen: Frauen- und Männerzeitschriften überboten sich in detaillierten Tipps, wie der richtige Gebrauch der menschlichen Fortpflanzungs-Werkzeuge den G-Punkt berücksichtigt.

Die Theorie des vaginalen Orgasmus erblühte neu, nachdem im Zuge der Frauenrechtsbewegung der klitoridale Orgasmus (der keine Penetration benötigt) zum politischen Symbol geworden war. Der G-Punkt passte damit wunderbar in eine Zeit, in der eine Rückkehr in alte Geschlechterrollen modern werden sollte.

An den falschen Stellen gesucht?

Unterschiedliche, einander widersprechende Studien erschienen: In Umfragen bejahte mehr als die Hälfte aller Probandinnen die Existenz einer erogenen Zone in der Vagina. Andere hielten sie für eine Kopf-Projektion: Der menschliche Geist findet, auch wenn er erregt ist, gern, wonach er sucht und was von ihm erwartet wird. Noch Anfang 2012 kam das Journal of Sexual Medicine, in dem nun auch Ostrzenskis Arbeit erscheint, in einer Meta-Studie zu dem Ergebnis, dass der G-Punkt wohl keine anatomisch identifizierbare Struktur darstellt. Übersetzt aus der Sprache der Wissenschaft: alles Einbildung. Tatsächlich war es bis dato keinem Anatomen gelungen, die bewusste Stelle ausfindig zu machen.

Offenbar hat man, meint nun der in den USA als Spezialist für Vagina-Rekonstruktionen und vaginale Schönheitschirurgie bekannte Ostrzenski, einfach an den falschen Stellen gesucht. Statt auf der hinteren Vaginalwand müsse der G-Punkt wohl tiefer liegen. Tatsächlich scheint der zuletzt mit einer Technik zur künstlichen Verengung der Vagina in die Medien gerückte Gynäkologe erfolgreich gewesen zu sein.

Von der hinteren Vaginalwand einer 83-jährigen, an multiplem Organversagen gestorbenen Frau trug der Arzt Schicht um Schicht ab, bis er auf die oben beschriebenen Strukturen stieß. Obwohl eine funktionale Analyse aus gutem Grund nicht möglich ist, ist Ostrzenski sich sicher, tatsächlich den G-Punkt gefunden zu haben. Dafür spricht etwa das erektile Gewebe, das bei Erregung die nachweisbare Schwellung der hinteren Vaginalwand verursachen könnte und dazu auch von einem Blutgefäß versorgt wird.