Migranten unerwünscht

Der deutsch-französische Vorstoß zu verstärkten Grenzkontrollen wurde bereits im Dezember auf einem informellen Treffen eingefädelt. Migrationsabwehr wird auf EU-Ebene zur Chefsache

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Die Forderung zur Wiedereinführung temporärer Kontrollen an den EU-Binnengrenzen wurde schon letztes Jahr im Rahmen eines Treffens der sogenannten G6-Staaten entwickelt. Das Schengen-Abkommen, das die Freizügigkeit unabhängig von der Nationalität der Reisenden bestimmt, wird dadurch untergraben. Darauf machte jetzt die britische Bürgerrechtsorganisation Statewatch aufmerksam.

In der Gruppe der G6 organisieren sich die Innenminister der sechs einwohnerstärksten EU-Mitgliedstaaten. Zusammen machen sie etwa drei Viertel der Bewohner der Europäischen Union aus. Neben Deutschland und Frankreich gehören dem informellen Kreis die Regierungen Großbritanniens, Italien, Polens und Spaniens an. Regelmäßig reist aber auch das US-Department of Homeland Security zu den Treffen an. Auf der Tagesordnung steht in der Regel die Bekämpfung unerwünschter Migration. Im Juni wird Deutschland die neuerliche Zusammenkunft des informellen Zirkels ausrichten.

Die G6 werden von Statewatch ebenso wie die G8 als Geheimtreffen kritisiert, um hinter verschlossenen Türen die EU-Innenpolitik zu manipulieren. 2006, also ein Jahr vor dem deutschen G8-Gipfel, hatten sich die G6 ebenfalls in Heiligendamm getroffen. Zuletzt nahm auch die EU-Innenkommissarin Cecilia Malmström teil. Auf ihrem Blog schreibt sie, dass auch die "Situation in Griechenland" auf der Tagesordnung stand. Mehr Informationen zu dem G6-Treffen werden allerdings nicht veröffentlicht.

Laut einem Memo des britischen Home Office wurde auf dem letzten G6-Treffen in Paris über eine verstärkte "Schengen Governance" diskutiert. Alle Delegierten hätten sich demnach für mehr Ausgleichsmaßnahmen zur Aufhebung der Grenzkontrollen ausgesprochen. Vor allem sollten die Regierungen der Mitgliedstaaten das Recht behalten, zeitlich befristete Kontrollen wieder einzuführen. Als mögliche Auslöser würden etwa Versagen von Kontrollen an den EU-Außengrenzen oder ein "unerwarteter Migrationsdruck" gelten.

Deutschland und Frankreich brüskieren EU-Kommission

Letzte Woche hatten die Innenminister Deutschlands und Frankreichs gleichlautende Forderungen erstmals in der Öffentlichkeit vorgetragen und damit eine heftige Debatte ausgelöst. Ein gemeinsamer Brief von Hans-Peter Friedrich und Claude Guéant an den Europäischen Rat soll eine Initiative der EU-Kommission kontern, die sich für die Beibehaltung der Freizügigkeit zwischen den Mitgliedstaaten ausspricht.

Die Kommission hatte vor allem Frankreich für seine häufige Einführung von Grenzkontrollen zu Spanien gerügt. Auch Deutschland setzt immer wieder das Schengen-Abkommen außer Kraft, um im Rahmen von Gipfeltreffen Demonstranten an der Anreise zu hindern. Spanien führt angeblich nächste Woche Grenzkontrollen ein, um erwartete Proteste anlässlich eines Treffens der Europäischen Zentralbank einzudämmen.

Der Vorstoß aus Paris und Berlin stößt auf heftigen Widerstand. Der Ausschuss für Bürgerliche Freiheiten, Justiz und Inneres des Europäischen Parlaments fordert wie die Kommission, dass Grenzkontrollen nur vom Kollektiv der Mitgliedstaaten beschlossen"werden dürfen. Der deutsche Außenminister warnt vor einer "Renationalisierung". Ein Sprecher der Welttourismusorganisation spricht sogar von einem "Schuss ins Knie".

Unbekümmert der Kritik soll das deutsch-französische Papier nun auf dem heute beginnenden Treffen der EU-Justiz- und Innenminister diskutiert werden. In den zuständigen Arbeitsgruppen des Europäischen Rates wird heftig über die Aushöhlung des Schengen-Abkommens gerungen. Deutschland und Frankreich sind bereit, eine beabsichtigte Wiedereinführung von Grenzkontrollen jeweils vor einem "Lenkungsrat" zu rechtfertigen. Diese Funktion soll nach Willen der beiden Länder vom Rat der Innen- und Justizminister übernommen werden.

Dort steht die Bekämpfung unerwünschter Migration jetzt schon an erster Stelle: Die derzeitige dänische Ratspräsidentschaft soll eine Art Masterplan entwerfen, um Griechenland zu mehr Kontrollen der Außengrenzen zu drängen. Insbesondere soll die Unterzeichnung eines Abschiebeabkommens mit der Türkei unterzeichnet werden: Von dort undokumentiert Eingereiste könnten dann umgehend zurückgeführt werden. Die Türkei fordert im Gegenzug Visumerleichterungen.

Gleichzeitig werden bilaterale Maßnahmen zur Flüchtlingsabwehr eingefädelt: Am Montag unterzeichneten die Regierungen Polens und Deutschlands ein neues Kooperationsabkommen zur Überwachung der gemeinsamen Grenze.

Freizügigkeit im Schengen-Raum weiter ausgehöhlt

Ohnehin ist die innereuropäische Bewegungsfreiheit längst Geschichte. In sogenannten "Gemeinsamen Polizeioperationen" werden immer öfter mehrtägige Kontrollen an Bahnhöfen, Flughäfen, Wasserstraßen und Autobahnen vorgenommen. An den Maßnahmen nehmen bis zu 20.000 Polizisten in der EU teil (Ende der Freizügigkeit im Schengen-Raum).

Die letzte Operation unter dem Namen "DEMETER" trug zur Festnahme von 1.936 Migranten bei. Laut der damals verantwortlichen polnischen Grenzpolizei zeige dies, dass im Vergleich zu früheren Operationen keine Zunahme von irregulärer Migration zu verzeichnen ist. Fast 62% aller Einreisen in die EU wurden demnach über Spanien, Griechenland, Zypern und Polen verzeichnet. Rund 47% der Zielpersonen wurden innerhalb von "DEMETER" in Deutschland, Spanien und Ungarn eingefangen. Weitere eifrige Festnahmen wurden in Zypern, Polen, der Schweiz, Österreich und Rumänien verzeichnet.

Griechenland pocht vergeblich darauf, dass alle EU-Mitgliedstaaten den Schengen-Vertrag genauestens einhalten. Die Regierung in Athen wird indes weiter in die Zange genommen, um die EU-Außengrenzen besser zu überwachen. Gegenwärtig werden in der Grenzregion 30 neue Abschiebelager errichtet, die auch von der EU unterstützt werden. Die EU-Grenzschutzagentur Frontex hat letzte Woche ein weiteres Kooperationsabkommen mit Griechenland geschlossen. Laut der EU-Kommissarin für Innenpolitik soll das Land bald weitere 310 Millionen Euro für die "Bekämpfung der illegalen Immigration" bekommen.

Kürzlich hatte die griechische Regierung angekündigt, Flüchtlinge und Migranten wegen ihrer Herkunft aus Ländern mit häufig auftretenden ansteckenden Krankheiten vorsorglich einzusperren. Betroffen sind Menschen, die der Prostitution oder Drogenabhängigkeit verdächtigt werden.

Proteste gegen Umgang mit Migranten

Die Maßnahmen dürften geeignet sein, die ohnehin pogromartige Stimmung gegenüber Migranten in Griechenland weiter zu eskalieren. Rechte Schlägertrupps machen Abends in den Großstädten Jagd auf ausländisch aussehende Menschen. Auch die Polizei ist an Übergriffen beteiligt: Ein Video dokumentiert, wie ein Migrant einer minutenlangen Prügelorgie ausgesetzt ist und dann in ein Polizeiauto verfrachtet wird. Es ist anzunehmen, dass die Schläge im Gewahrsam weitergehen.

Auch in Italien wird über den brutalen Umgang mit Migranten diskutiert. Der Filmemacher Francesco Sperandeo wurde in einer Alitalia-Maschine zufällig Zeuge einer Abschiebung nach Tunesien. Der Tunesier wurde hierfür gefesselt und sein Mund mit Klebeband verschlossen. Sperandeo konnte den Vorfall dokumentieren und postete ein Foto auf Facebook. Die Polizei kommentiert die Knebelung als normalen Vorgang. Passagiere, die oft auf der Strecke fliegen, bestätigen dies. In Deutschland und Österreich war die Praxis erst nach dem Tod von abzuschiebenden Migranten beendet worden.

Eine kritische Auseinandersetzung mit der zunehmend militarisierten Flüchtlingsabwehr bleibt hingegen aus. Linke Gruppen protestieren deshalb gegen den "European Border Guard Day", den Frontex auch dieses Jahr wieder im Mai veranstaltet. Die Fachmesse will internationale Grenzpolizeien mit den neuesten Entwicklungen der Sicherheitsindustrie versorgen.

Dieser derart hochgerüstete Grenzschutz zwingt Flüchtlinge zu immer waghalsigeren Routen, die wiederum zu immer mehr Toten führen. Aus Protest gegen das EU-Migrationsregime haben sich deshalb letzte Woche Eltern eines vermutlich im Mittelmeer ertrunkenen Migranten in Brand gesetzt.