Gelähmte können mit einer Neuroprothese einen Roboterarm steuern

In einem anderen Versuch wurde durch operative Verlegung von Nerven eines Querschnittgelähmten einige Handfunktionen wieder hergestellt

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Eine 58-jährige Frau (S3) ist aufgrund eines Gehirnschlags vor 15 Jahren vollständig vom Hals abwärts gelähmt. Im Rahmen eines Versuchs mit einem neuronal gesteuerten Roboterarm konnte die Frau am 12. April schnell und ohne ausführliches Training eine Flasche mit Kaffee ergreifen, zu ihrem Mund führen und mit einem Strohhalm daraus trinken. Auch ein 66-jähriger querschnittsgelähmter Mann (T2) konnte mit der Neuroprothese den Roboterarm kontrollieren.

Die Neuroprothese BrainGate2, die in den Motorkortex implantieret wird. Bild: braingate2.org

Das Wissenschaftlerteam, dem auch Forscher vom Institut für Robotik des Deutschen Luftfahrtzentrums (DLR) angehörten, stellen zwar in ihrem in der Zeitschrift Nature erschienenem Bericht heraus, dass die Bewegungen nicht so schnell und genau sind wie bei einem gesunden Menschen, aber komplexe Geräte wie einen Roboterarm durch eine Neuroprothese erfolgreich steuern können, ist für gelähmte Menschen ein Stück Befreiung vom Zwang der körperlichen Unselbständigkeit.

Bei dem Versuch handelt es sich um einen vorklinischen Test der Neuroprothese BrainGate2. Schon Jahre zuvor wurden von den beiden Versuchspersonen die neuronalen Signale von wenigen motorischen Nervenzellen im dominanten Handbereich im Kortex mit einem 4x4 mm großen 96-Kanäle-Mikroelektrodenarray aufgezeichnet. Die Versuchspersonen übten zunächst, einen Cursor auf einem Bildschirm und dann einen virtuellen Roboterarm zu steuern. Sechs Jahre nach der Implantation trainierten sie an zwei verschiedenen rechthändigen Roboterarmen: der Mann zunächst nur am DEKA-Arm und die Frau nur am DLR Leichtbau-Roboter

Um die neuronalen Signale für den DLR-Roboter richtig zu interpretieren zu können, wurde die Frau zunächst gebeten, sich nur vorzustellen, wie sie den Roboterarm bewegt, während sie die vorprogrammierten Bewegungen beobachtet. Daraus wurde dann eine "Map" mit den neuronalen Mustern und den Roboterarmbewegungen erstellt, aufgrund derer schließlich der Roboterarm in Echtzeit mit den neuronalen Signalen gesteuert werden kann. Wie das DLR mitteilt, verwendet der Roboter Sensoren, um einen unbeabsichtigten Kontakt zu verhindern. Wenn dies dennoch einmal geschehen sollte, würde der Roboter innerhalb von einigen Tausendstel von Sekunden die Bewegung stoppen.

Für die jetzt berichteten Versuche wurden die beiden Robotsysteme wieder durch einen vierminütigen Testgang kalibriert, in dem die beiden Versuchspersonen vorprogrammierte Bewegungen beobachteten und sich vorstellten, diese zu steuern. Die neuronale Aktivität wurde dabei aufgezeichnet. Fehler und Ungenauigkeiten wurden schrittweise in mehreren Blocks, in denen die Versuchspersonen den Roboterarm aktiv steuerten, korrigiert.

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Video: Nature

Um zu testen, ob es den Versuchspersonen über die Neuroprothese möglich ist, mit den beiden Roboterarmen wirklich Gegenstände zu berühren und zu ergreifen, sollten sie zunächst auf einer Fläche nach kleinen Schaumbällen langen und diese ergreifen. Die Finger der Hand und deren Orientierung werden nicht von den Menschen gesteuert, die Griffposition ist ebenso wie die Griffstärke vorgegeben, die Hand muss nur um das zu ergreifende Objekt geschlossen werden, die Geschwindigkeit der Armbewegung wird nach den neuronalen Signalen abgeschätzt. Die Frau konnte mit dem DEKA-Arm, mit dem sie zuvor keine Erfahrung hatte sammeln können, in 62 Prozent der Versuche Bälle berühren, mit dem DLR-Arm in 48,8 Prozent der Versuche, der Mann war zu 95 Prozent erfolgreich. Die Bälle nicht nur zu berühren, sondern sie auch zu ergreifen, schaffte die Frau in 21,3 (DLR) bzw. 46,2 Prozent (DEKA) der Versuche, der Mann in 62,2 Prozent der Versuche. Beide brauchten dafür durchschnittlich mehr als 9 Sekunden. Offenbar scheint es einfacher zu sein, den DEKA-Roboter zu kontrollieren als den der DLR.

Die gelähmte Patientin hat mit dem Roboterarm die Trinkflasche an ihren Mund führen können. Bild: braingate.org

Nur die Frau steuerte dann nach einer 14-minütigen Trainingsphase den DLR-Roboter, um die Trinkflasche zu ergreifen, an den Mund zu führen, mit dem Strohhalm zu trinken und dann die Flasche wieder auf den Tisch zurückzustellen. Das schaffte die Frau in vier von sechs Versuchen. Nach den Wissenschaftlern wurden zwei Versuche abgebrochen, weil der Roboterarm die Flasche sonst vom Tisch gestoßen hätte. Die Flasche zu ergreifen, erforderte viel Präzision, da die Greifhand nur geringfügig breiter als die Trinkflasche war, die daher sehr genau angezielt werden musste.

Verlegung von Nerven kann Querschnittsgelähmten helfen

Allerdings muss es nicht eine Prothese oder ein Roboterarm sein, um Gelähmten zu helfen. So haben Chirurgen der Washington University School of Medicine in St. Louis, wie sie im Journal of Neurosurgery schreiben, bei einem ab dem Halswirbel C7 querschnittgelähmten Patienten einige Handfunktionen wiederherstellen können. Dazu haben sie Nerven oberhalb C7, die noch mit dem Gehirn kommunizieren, in den Oberarmen vom Ellbogen zur Hand verlegt. Ein Jahr nach der Operation und einer intensiven physikalischen Therapie kann der Patient wieder den Daumen und den Zeigefinger bewegen und sogar mit Hilfe wieder schreiben.

Bei den beiden Gelähmten, die mit der Neuroprothese den Roboterarm steuerten, oder bei Verletzungen der Halswirbel C1 bis C5 wäre dies aber nicht möglich gewesen. Zwar konnte der Patient mit der Querschnittslähmung ab C6 die Hand nicht bewegen, aber weiterhin die Schultern, den Ellbogen und teilweise das Handgelenk. Die Nervenverbindungen zum Ellbogen können nicht spontan dazu dienen, die Finger zu bewegen. Daher ist ein mühsames und andauerndes Training nötig. Die Chirurgen sagen, es handele sich trotz der intensiven Nachbetreuung um eine einfache Operation, die öfter gemacht werden sollte, um den Menschen wieder eine größere Eigenständigkeit zu ermöglichen.