Die biologischen Terroristen

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Viren sind immer und überall: Eine frappierende Kulturgeschichte der Virus-Metapher und andere Viralismen

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Das Virus ist die ideale Maske. Hinter ihm, also der Metapher für etwas, das nicht lebendig ist, aber auch nicht tot, verbirgt sich die Idee der Übertragung. Viren sind nicht so schlimm, argumentiert jetzt ein Dokumentarfilm, alles Metapher. Das Virus ist der Preis, den wir für unsere scheinbare Kontrolle zahlen.... Viren sind gefährlicher, als Terroristen, sagt der Virologe Nathan Wolfe. Für ihn geht es um das Überleben der Menschheit, die die Gefahren einer Pandemie allzu gerne verdrängt: "Wir werden eine Welle von neuen Epidemien erleben, die katastrophale Folgen haben werden, wenn wir nicht lernen, sie besser vorherzusagen und zu kontrollieren."

Viren können etwas Gutes sein. Zum Beispiel, wenn es um Marketing geht. Denn das "virale Marketing" hat einen bevorzugten Platz in der Waffenkammer der PR. Viren werden geimpft und immunisieren Mensch und Tier gegen Krankheiten. Zumeist aber sind Viren natürlich böse: Sie transportieren Bedrohungen, stecken an, befallen die Menschen. Wir kennen die heute fast schon zur Gewohnheit gewordenen regelmäßigen Epidemie und Pandemiewarnungen, die von den Medien natürlich genüsslich ausgekostet werden.

Oder die Computer. Da greifen sie das System an, können es lahmlegen, oder fast schlimmer noch sich tarnen, und versteckt operieren in dem Computer, den sie befallen. Viren gibt es auch in der Sprache. Das Gerede vom Virus verbreitet sich selbst viral. Die ganze Welt steckt voller Viren.

Insofern würde ich sagen ist dieses ganze Bild des Viralen - des Fremden, der Ratte, der Laus, die es beeinflusst, der Epidemie - dies ist ja ein unglaublich negatives Bild basierend auf dem Bild einer in sich geschlossenen Einheit, die nicht gestört werden soll.

Manfred Geier Philosoph. Aus: "Global Viral"

Das wussten wir wahrscheinlich auch schon vor diesem Film. Doch Madeleine Dewald und Oliver Lammert zeigen uns in ihrem Filmessay, warum das so ist, und wie es dazu kam. Ihr Dokumentarfilm "Global Viral" bietet eine Art Kulturgeschichte der Virus-Metapher.

In der Evolution die einzigen Konkurrenten des Menschen

Schon der Begriff der Metapher ist gewissermaßen eine virale: Er bedeutet "hinübertragen", die Übertragung eines Gedankens, einer Vorstellung von einem Bereich auf den anderen. Schon Thukydides schrieb in seiner bedeutenden Beschreibung der Athener Pest der Krankheit eine aktive Handlungsweise zu. In der Evolution sind Viren die einzigen Konkurrenten des Menschen, erklärt Reinhold Kurth. Der Film erzählt unglaublich gute, manchmal unglaubliche, vielfältige und komplexe Geschichten, die von der Bakteriologie über das "Manhattan-Projekt" des Atomphysiker John von Neumann bis hin zu selbstreplikativen Computer-Programmen reichen, also Programmen, die sich selbst erneuern.

Die Autoren beginnen mit den Anfängen in der römischen Antike, wo das lateinische Wort "Virus" für "Gift" sich irgendwann vor allem als Bezeichnung für unfassbare, unsichtbare Bedrohungen einbürgerte. Da ging es noch allein um Krankheiten. Aber bald geht es um mehr, gewissermaßen um alles. Jede Krankheit zum Beispiel hat einen Körper, den Fremdkörper - und jede Krankheit ist etwas Fremdes - was im Umkehrschluss dann bald zur Identifikation alles Fremden mit der Krankheit führte. Nun war der Virus sozial.

Die Biologen zumindest haben immer noch ein ziemlich unschuldiges Verhältnis zu den Worten die sie gebrauchen und dem, was sie tun.

Wenn man das mit den Physikern vergleicht: Die hatten ihr Coming Out mit der Atombombe. Ich denke, jeder, der heute Physik studiert, weiß um das zweischneidige Schwert seiner eigenen Forschung. Das ist eine ständige Diskussion. Und das müssen wir für die Biologen auch hinbekommen.

Aber Sprache ist nie unschuldig, und darum interessiert sich der Film auch mehr für die kulturelle Verwendung

Warum muss man auf das Bild der Infektion zurückgreifen, um Kulturprozesse zu beschreiben? Das hat mir noch nie eingeleuchtet. Allein schon denn die Anwendung des Begriffs Virus zeigt ja im Grunde die Fiktion einer geistigen Gesundheit, die dann irgendwie infiziert wird. Aber wer geht denn von dieser geistigen Gesundheit aus.

Manfred Geier

Madeleine Dewalds und Oliver Lammerts filmische Reise führt vom Seuchendiskurs, der aus der großen Pest des 14. Jahrhunderts stammt, über staatliche "Hygieneprogramme", über Cyberterrorismus und Datenkontamination zu ansteckenden Ideen und Worten:

Nietzsches Idee einer infizierenden Sprache wird von dem Autor William Borroughs hundert Jahre später wieder aufgenommen. Borroughs sah die Sprache als einen Virus, der in symbiotischer Wechselwirkung mit seinem Wirt, dem menschlichen Geist, manipulativ auf die Wahrnehmung des Menschen einwirkt.
Dagegen wollte er die 'Cut Ups' setzen, eine ebenso viral wie die Sprache funktionierende Technik, die nach dem Vorbild der Montage in der Malerei, Texte aus Versatzstücken anderer Texte zusammensetzt. Diese 'Cut Ups', die Borroughs als gutartige virale Gebilde bezeichnete, sollten gegen das gewöhnliche geschriebene Wort angehen, das er als Kontrollelement der Medienmächte betrachtete.

Globetrotter

Muss man irgendjemandem noch erklären, wie aktuell dieser Film ist? Natürlich lässt sich auch noch die Finanzmarktkrise mit der Sprache des Viralen beschreiben. Wir wissen nur noch nicht, ob es sich eher um eine Schweinegrippe handelt, die man isolieren kann, bevor sie irgendwann von selbst wieder verschwindet, oder ob die Börsen sich AIDS gefangen haben und Generationen nun mit der Krankheit leben müssen.

"Global Viral - die Virus-Metapher" ist ein beunruhigender hochspannender Dokumentarfilm - selbst so vielfältig, wie sein Thema. Man wünscht ihm viele Zuschauer. Das Hinsehen lohnt. "Echte Viren können echte Menschen töten", das weiß "Global Viral" unabhängig von aller Metaphorologie. Was hat all dies aber mit jener Realität zu tun, die wir gewöhnlich meinen, wenn wir von Viren reden? Ist die Menschheit nun wirklich durch Viren bedroht?

Ob Ebola, ob HIV - wie Malaria die Mutation eines gewöhnlichen Schimpansen-Virus -, SARS - eine von Fledermäusen stammende Mutation - oder fast jede andere bedeutende Seuche, die in den letzten 100 Jahren aufgetaucht ist - fast immer wurden die Erreger von wilden Tieren auf Menschen übertragen. Die Globalisierung sei schuld, der moderne Lebensstils und internationaler Handel, denn die globale Bewegung der Menschheit biete dem Virus beste Wachstumschancen, denn auch Viren sind Globetrotter.

Im 20. Jahrhundert starben mehr Menschen an Seuchen als in Kriegen. Hört sich gut an und sehr dramatisch. Es starben aber auch noch viel mehr Menschen am Herzinfakt. An Krebs. Und an Hunger, nicht zu vergessen.

Die nächste "Spanische Grippe" nur eine Frage der Zeit?

Eine wichtige historische Fallstudie zum Thema bot in den letzten Jahren ein Buch: Silvia Berger beschrieb in ihrem Buch mit dem schönen Titel "Bakterien in Krieg und Frieden" wie die Hygieniker im Deutschen Kaiserreich auf "Seuchenfeldzug" gingen. Robert Koch, berühmter Entdecker des "Tuberkel"-Erregers führte avant la lettre einen frühen deutschen Vernichtungskrieg gegen die Bakterien.

Es war die Fortsetzung des positivistischen Geists des 19.Jahrhunderts, aber auch des wilhelminischen Größenwahns mit anderen Mitteln. Und zwar mit, im (natürlich gegebenen) Ernstfall, allen Mitteln: Isolation, Konzentration, Kasernierung, Zwangsreinigung, "Entlausung". Die Idee der Sanierungslager dachte dann Adolf Hitler weiter, der sich selbst einmal den "Robert Koch des deutschen Volkes" nannte, und den Volkskörper auf seine Weise desinfizierte.

In Kochs Fußstapfen tritt auch, auf moderne, zeitgemäße, also sanfte Weise, der US-amerikanische Virologe Nathan Wolfe: Er plädiert für feuerwehrartige Reaktionen, und präventive Überwachung von Portalen der Infektionskrankheiten und sagt auch sonst genau die Dinge, die ein Film wie "Global Viral" kritisiert: "Die großen Killer kommen aus der Wildnis."

Wolfe ist ein Schwarzmaler, für den "The Big One", die nächste "Spanische Grippe" nur eine Frage der Zeit ist:

Noch ist die Vogelgrippe eine Hühnerkrankheit, die nur ausnahmsweise mal einen Menschen befällt. Aber das Virus H5N1 brodelt in diesen Hühnern. Und das Problem ist, dass es sich jederzeit an den Menschen anpassen kann. Wie groß das Risiko ist, haben gerade erst Experimente in Rotterdam und Wisconsin gezeigt. Dort haben Wissenschaftler das H5N1-Virus im Labor so verändert, dass es ganz leicht von Frettchen zu Frettchen weitergegeben wird - damit sind wir schon beim Säugetier. Im Labor waren dafür nur wenige Veränderungen nötig. In der Natur könnten es also auch nur wenige sein - bis zum Säugetier, und dann bis zum Menschen. (...)
Eines müssen wir uns klarmachen: Wir hatten H1N1 keineswegs wegen unserer guten Maßnahmen im Griff. Wir hatten einfach riesiges Glück. (...)
Mir bereitet die Vorstellung Sorgen, dass H1N1 in irgendeinem Tier oder Menschen auf H5N1 stößt und sich mit ihm vermischt. Das entstehende Virus könnte sowohl höchstansteckend als auch sehr tödlich sein - genau die Formel für eine globale Katastrophe, die wir am meisten fürchten. Wenn eine solche Seuche um die Welt geht, fordert sie nicht nur Todesopfer. Sie ist auch massiver sozialer Sprengstoff. (...)
Dem Terrorismus sind in diesem Jahrtausend höchstens 8000 Menschen zum Opfer gefallen - inklusive der Toten vom 11. September. Im Vergleich zu den Billionen für den Antiterrorkampf scheinen mir da ein paar hundert Millionen für Impfstoffe eine gute Investition zu sein.

Nathan Wolfe im Interview mit der SZ (03.03.2012)

Wo Menschen "Grippe" googeln

Zu den von Wolfe geforderten Überwachungsmaßnahmen gehört insbesondere die Beobachtung neuer Medien. Wolfe geht dabei von der frappierenden Beobachtung aus, dass bei einer Grippeepidemie die Ausbreitung am besten (= schnellsten) zu verfolgen ist, wenn man untersucht, wo Menschen das Wort "Grippe" gegoogelt haben, oder in Twitter-Botschaften verwendeten.

"Wir sollten neu über Datenschutz nachdenken", meint er, "unsere Mobiltelefone speichern doch heute schon alles Mögliche; wohin wir uns wann bewegen, zum Beispiel. Ich träume davon, damit auch die Körpertemperatur zu messen. Dann könnte man sehen, wo in der Welt gerade viele Menschen Fieber bekommen. Das wäre sehr nützlich. Datenschutz ist wichtig, aber nicht, wenn er wichtige Informationen blockiert. Das versteht die junge Generation viel besser als wir. Je mehr Daten insgesamt bekannt sind, desto uninteressanter werden doch die eigenen."

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