Was wird im Bundestag zur Spanien-Rettung real beschlossen?

Unklar ist, ob der Bundestag ausgetrickst werden soll, um zukünftig ohne Staatshaftung spanische Banken direkt rekapitalisieren zu können

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Im Bundestag wird heute beschlossen, ob die spanische Bankenrettung ein Platzet erhält. Doch was genau beschlossen wird, ist offenbar nicht klar. So hatte sich zum Beispiel der bayrische Ministerpräsident Horst Seehofer gefragt, ob durch die Hintertür eine direkte Bankenfinanzierung ohne Staatshaftung möglich werden soll. Während Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble stets die Staatshaftung betont, geht der von der Bundesregierung durchgesetzte zukünftige Chef des dauerhaften Rettungsschirms ESM davon aus, dass es sie zukünftig für Gelder aus diesem Fonds nicht mehr gibt, das Risiko also bei den Geldgebern liegen wird. In Spanien wird der Widerstand gegen die Bankenrettung immer breiter, während die Regierung sich gegen das ausgearbeitete Abkommen stellt, wonach Banken abgewickelt werden sollen, die nicht lebensfähig sind.

Wenn es um die Rettungsmilliarden und den zugehörigen Rettungsfonds geht, dann herrscht gerne beabsichtigt oder unbeabsichtigt Chaos. Als Ende Juni über den ESM und den Fiskalpakt im Bundestag abgestimmt wurde, war sogar der ESM-Vertragstext, über den abgestimmt wurde, Makulatur. Zuvor waren auf dem EU-Gipfel massive Veränderungen an dem Vertrag beschlossen worden. Bundeskanzlerin Angela Merkel fiel in Brüssel auf ganzer Linie um (Merkel fällt bei EU-Gipfel auf ganzer Linie um). So stellt sich nun auch Mitgliedern ihrer schwarz-gelben Koalition die Frage, ob mit der Abstimmung im Bundestag nicht eigentlich was ganz anderes beschlossen werden soll, als scheinbar zur Abstimmung steht.

Das beginnt damit, dass laut Entschließungsantrag dem Programm "eine Laufzeit von 18 Monaten" bescheinigt wird. Doch, so bestätigte inzwischen der Finanzminister in einem Brief an den Bundestagspräsidenten, soll die Laufzeit der Kredite über die Rettungsmilliarden in einer Gesamthöhe von bis zu 100 Milliarden Euro durchschnittlich 12,5 Jahren betragen. In dem Brief an Norbert Lammert erbittet Schäuble die Zustimmung des Bundestags, "um den Marktzugang und damit die langfristige Refinanzierung Spaniens weiter zu stabilisieren". Die deutsche Haftung betrage demnach bis zu 29,1 Milliarden Euro und das Darlehen habe die "Rekapitalisierung von Finanzinstitutionen" zum Zweck, wird erklärt.

Gesprochen wird darin stets von Finanzhilfen aus dem temporäreren Rettungsschirm EFSF, dabei wurde in Brüssel vereinbart, dass das Programm baldmöglichst in den dauerhaften ESM überführt werden soll. Damit gelten bekanntlich nach den neuen Beschlüssen auf dem EU-Gipfel auch neue Regeln. Unter anderem fällt weg, dass die Schulden beim ESM im Pleitefall Vorrang vor denen privater Anlegen haben sollten (Abstufung nach Rettungsantrag, Merkel bleibt hart). Möglich wird grundsätzlich zum Beispiel auch eine direkte Rekapitalisierung von abstürzenden Banken. Allerdings, so wird bisher stets betont, soll dafür zuvor eine zentrale Bankenaufsicht geschaffen werden.

Zweifel am Spiel

Angesichts verwirrender Vorgängen fragen sich einige, was eigentlich gespielt wird, unter anderem in der Spitze der CSU. "Wenn ich mir aber die Ergebnisse des letzten EU-Gipfels ansehe, kommen mir doch Zweifel", sagte zum Beispiel der CSU-Chef Horst Seehofer dem Stern. So ist dem bayrischen Ministerpräsidenten nicht klar, ob direkte Bankenhilfe durch ESM möglich werde, ihn stören "Gerüchte über einen erleichterten Zugang für Spanien und Italien zu weiteren Finanzhilfen" und ihm ist unklar, "wie da Reformen und Kontrollen garantiert werden". Dass Schuldensünder im Euroraum demnächst Hilfen ohne Auflagen erhielten, könne die CSU nicht weiter mittragen. "Und die Koalition hat ohne die Stimmen der CSU keine Mehrheit", warnte er.

Auch in der FDP lehnen einige das Programm ab. So fordert der Finanzexperte Frank Schäffler von Spanien, die Verantwortung für seine Banken selbst zu übernehmen. Das bedeutete unter den derzeitigen Bedingungen nichts anderes, dass Spanien als Land unter den Rettungsschirm gehen und sich umfassende Auflagen und eine umfassende Kontrolle wie Irland gefallen lassen müsste, das ebenfalls die Hilfsmilliarden vor allem für die Bankenrettung benötigte. Die Kriterien für die Sonderregelung, die für einen begrenzten Rettungsantrag zur Bankenrettung im vergangenen Jahr in den EFSF eingefügt wurden, erfüllt Spanien ohnehin nicht, dem viele Extrawürste gebraten werden.

Der Bundestagsabgeordnete Schäffler erklärte gegenüber dem Handelsblatt Online, das Land habe ohnehin nur eine systemrelevante Bank, die aber nicht einmal Geld benötige: "Die Eurozone darf daher die Schulden der spanischen Banken nicht sozialisieren", sagte er. "Wenn schon in Deutschland gegen den Länderfinanzausgleich geklagt wird, dann brauchen wir erst Recht keinen Umverteilungsmechanismus im Euro-Club", meinte er mit Blick darauf, dass sich CSU und FDP in Bayern am Mittwoch auf eine Verfassungsklage verständigt haben.

Irgendwie ist auch der SPD nicht so wohl in ihrer Haut, selbst wenn sie der Kanzlerin in dieser Frage wieder zu einer Mehrheit verhelfen will, da diese wohl erneut die Kanzlermehrheit verfehlen dürfte. Ihr Rückhalt in den eigenen Reihen wird schwächer. Schon zweimal hat Merkel die Kanzlermehrheit verfehlt: am 27. Februar bei der Entscheidung über die Griechenland-Nothilfe 2.0 und eben bei den Abstimmung am 29. Juni zum Fiskalpakt und ESM. Der haushaltspolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion zweifelt angesichts der Gipfelbeschlüsse wohl an der Formulierung im Entschließungsantrag, wonach das Bankenrettungsprogramm vom EFSF ohne größere Änderungen auf den ESM übertragen werden solle. "Wenn es in Brüssel andere Pläne geben sollte, hat die Bundesregierung die Pflicht, umfassend zu informieren und alles vorzulegen, was ihr bekannt ist“, sagte Carsten Schneider.

Spanien setzt auf Vermeidung der Staatshaftung

Dass Spanien stets die Staatshaftung für die Bankenrettung umgehen wollte, ist nun wahrlich keine Neuigkeit mehr. Spanien spielt deshalb auf Zeit und will zunächst nur 30 Milliarden Euro aus dem EFSF abfordern, für die es als Staat nach den EFSF-Verträgen haften muss. Doch diese Summe reicht bei weitem nicht aus. Das Land setzt weiter mit Unterstützung Italiens und Frankreichs darauf, dass es sofort aus der Staatshaftung herauskommt, wenn der ESM erst einmal arbeitsfähig ist, was unter anderem noch am Bundesverfassungsgericht scheitern kann. Unterstützung erhält das Land dabei auch vom Chef der Eurogruppe. Neben Jean-Claude Juncker ist auch Währungskommissar Olli Rehn sind dafür, die Verbindung aus Staatsverschuldung und Bankenrettung möglichst schnell aufzubrechen.

Die SPD-Fraktion wurde wohl, wie Seehofer und Schäffler, wohl deswegen hellhörig, weil schließlich auch Klaus Regling, der zukünftige ESM-Chef, davon spricht, dass es zukünftig direkte Hilfe an die spanischen Banken ohne Staatsgarantie geben wird, was Schäuble allerdings stets verneint. Das bedeutet aber, dass schließlich die Geldgeber das Risiko für spanische Banken tragen und nicht mehr der spanische Staat. Und Regling ist ein Getreuer von Merkel. Sie hat durchgesetzt, dass er nicht nur dem EFSF vorsteht, sondern künftig auch dem ESM.

Deshalb warnte der haushaltspolitische Sprecher der SPD Schäuble und Merkel vor "Spielchen mit dem Parlament". Obwohl Carsten Schneider einräumt, dass die neuen Gipfelbeschlüsse, eine direkte Rekapitalisierung von Banken über den ESM grundsätzlich zulassen, weist er nur darauf hin, dass damit gegen die bisherigen Beschlüsse des Bundestags verstoßen würde. Obwohl er darin einen möglichen "Verstoß gegen Verfassungsrechtsprechung", und "geltende Gesetze" und einen "Verstoß gegen den Amtseid" sieht, droht die SPD mit einer Ablehnung des Spanien-Programms, solange die Unklarheiten und Widersprüche nicht aufgeklärt sind.

Fehlende Details bei der spanischen Bankenrettung

Möglich ist es erneut, dass der Beschluss im Bundestag schon am Tag danach wieder hinfällig wird. Denn dann werden die Finanzminister zur Telefonkonferenz zusammengeschaltet und sollen fehlende Details zur spanischen Bankenrettung festlegen. Unklar ist zum Beispiel noch, zu welchem Zinssatz das Geld fließen soll. Der spanische Wirtschaftsminister Luis de Guindos hatte zuletzt angedeutet, der Zinssatz könnte sogar unter 3% liegen. Für Verstimmung sorgte der Spanier, weil er einen zentralen Punkt der bisherigen Abmachungen wieder in Frage gestellt hat.

Das 25-seitige Memorandum of Understanding (MoU) sieht zum Beispiel als einen zentralen Punkt vor, dass Banken abgewickelt werden sollen, die sich als nicht lebensfähig erweisen. Das hatte auch der neue Notenbankchef Luis Linde am Dienstag in Aussicht gestellt. Doch der Wirtschaftsminister widersprach ihm heftig: "Keine Bank wird abgewickelt", sagte. Eigentlich ist vorgesehen, dass bis im September Wirtschaftsprüfer einen tieferen Einblick in die Bilanzen werfen, um den konkreten Kapitalbedarf der Geldhäuser zu ermitteln und danach soll entschieden werden.

Die bisherigen in Schnelltest von Prüfungsgesellschaften ermittelten Summen von bis zu 62 Milliarden Euro entbehren fast jeder Grundlage, schließlich drohten nach Angaben der Prüfer im spanischen Bankensystem Verluste von bis zu 270 Milliarden Euro. Für ihre Schnelltests haben sie optimistisch angenommen, dass 2012 die Arbeitslosigkeit den Höhepunkt erreicht, wofür es keine Hinweise gibt. Steigende Arbeitslosigkeit bedeutet, dass neue Kredite ausfallen, dabei ist die Quote offiziell nun auf fast 9% gestiegen. Die Prüfer hatten auch zugegeben, dass ihre Berechnungen auf Daten der Banken basierten, die "nicht überprüft" worden seien. "Für die sachliche Richtigkeit dieser Informationen gibt es keine Garantien." Bei der Großbank Bankia wurde aber längst offensichtlich, wie kreativ hier Verluste zu Gewinnen umgemünzt wurden (Bankenkrise treibt Spanien in den Abgrund). Dass es sich um einen Einzelfall handelt, glaubt eigentlich niemand.

Proteste in Spanien gegen Bankenrettung

In Spanien entwickelt sich indes eine Bewegung, die sogar Großbanken wie Bankia abwickeln wollen, wie es die Professorin für Ökonomie, Miren Etxezarreta, gegenüber Telepolis empfohlen. Immer mehr Menschen wollen den Empfehlungen von ihr folgen, damit diese neue Runde der Bankenrettung nicht erneut auf die einfache Bevölkerung abgewälzt wird. Deshalb hat die "Empörten-Bewegung" und eine kleine Partei gegen die abgesetzte Bankia-Führung geklagt.

Am Montag wird in einer Verhandlung vor dem Nationalen Gerichtshof eine Vorentscheidung fallen. 33 Banker, darunter auch der Ex-Chef von Bankia, werden unter anderem Betrug, Bilanzfälschung und Urkundenfälschung vorgeworfen. "Wenn der Richter den Interventionsantrag zustimmt, ändern sich die Spielregeln", denn dann entscheidet das Gericht in einem längeren Verfahren über die Zukunft von Bankia. Spanien könne dann die Vorgaben des Memorandums nicht mehr erfüllen, womit der Rettungsantrag ausgehebelt würde, sagt die Initiative "15MparaRato" zur Begründung. Dann müsste die Bank unter Verlusten für Aktionäre abgewickelt werden, und Spanien käme um den Rettungsantrag und die massiven Einschnitte herum, hoffen die Empörten.

Sie werden heute massiv mit den Gewerkschaften in 80 Städten gegen die Sparpläne auf die Straße gehen, zu denen sogar Vereinigungen von Polizisten, Militärs und Richtern aufrufen. Waren schon vor dem Rettungsantrag präventiv die Auflagen teilweise erfüllt worden, die mit einem Rettungsantrag einhergehen, wurden in der letzten Woche die übrigen Brüsseler "Empfehlungen" in ein Dekret gegossen, das Ländern wie Griechenland, Irland und Portugal aufgezwungen wurde. Die Mehrwertsteuer wird von 18 auf 21 Prozent erhöht, das Weihnachtsgeld im öffentlichen Dienst gestrichen, das Arbeitslosengeld gekürzt, aber die Sozialversicherungsbeiträge für Unternehmer sinken (Spanien kündigt weiteres Sparpaket an).