Beschneidung gegen Religiositätsnachweis

Das Bundesland Berlin regelt die Vorhautentfernung bei Minderjährigen mit einer Behelfsrichtlinie

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Nachdem das Landgericht Köln im Juni entschied, dass Ärzte sich strafbar machen können, wenn sie minderjährigen Knaben auf Wunsch der Eltern die Vorhaut ohne medizinische Notwendigkeit entfernen, wies das Jüdische Krankenhaus in Berlin seine Ärzte an, vorerst keine Beschneidungen mehr durchzuführen. Nun hat der Senat eine Richtlinie verabschiedet, die solche Eingriffe wieder zulässig machen soll.

Sie schreibt vor, dass für eine straffreie Beschneidung aus religiösen Gründen die schriftliche Einwilligung beider Elternteile oder Sorgeberechtigten vorliegen muss. Bevor diese solch eine Erklärung abgeben können, sind sie "ausführlich über die gesundheitlichen Risiken des Eingriffs aufzuklären". Darüber hinaus müssen sie den Nachweis erbringen, dass die Beschneidung im Rahmen der Bräuche einer Glaubensgemeinschaft erfolgt, die eine Entfernung der Vorhaut bei Minderjährigen als "religiöse Notwendigkeit" betrachtet. Damit sollen "rein hygienische" Beschneidungen ausgeschlossen werden.

Jüdisches Krankenhaus Berlin. Foto: A. Savin. Lizenz: CC BY-SA 3.0.

Außerdem wird gefordert, dass der Eingriff "nach medizinisch fachgerechtem Standard vorgenommen" wird, wozu "insbesondere die Sterilität der Umgebung sowie der medizinischen Hilfsmittel, eine größtmögliche Schmerzfreiheit und eine blutstillende Versorgung" gehören. Werden diese Standards eingehalten, dann muss die Beschneidung "nicht zwangsläufig" in einem Krankenhaus stattfinden, sondern kann auch "zuhause oder in der Synagoge" vorgenommen werden. Den Eingriff kann "nach jetzigem Stand [jedoch] nur ein approbierter Arzt oder eine approbierte Ärztin durchführen", damit die letzte der Voraussetzungen für eine Legalität als erfüllt gilt.

Der Berliner Generalstaatsanwalt Ralf Rother hat bereits signalisiert, dass er trotz einer objektiven Erfüllung der Tatbestandsmerkmale einer Körperverletzung kein öffentliches Interesse an einer Strafverfolgung von Beschneidungen sieht, wenn alle Voraussetzungen aus der Richtlinie erfüllt sind. Diese soll bis zu dem Zeitpunkt gelten, an dem ein von der Bundesregierung bereits angekündigtes Gesetz zur Legalisierung religiös motivierter Vorhautentfernungen in Kraft tritt.

Justizsenator Thomas Heilmann (CDU), der Vater der Richtlinie, nannte die Regelung im Rundfunk Berlin-Brandenburg (RBB) ein "Signal für religiöse Toleranz" und "gegen die Diskriminierung von jüdischem oder muslimischem Leben". Der Streit, ob in der Frage der Beschneidung die Religionsfreiheit von Eltern oder die körperliche Unversehrtheit von Kindern schwerer wiegt, sollte seiner Ansicht nach nicht mit dem Strafrecht, sondern mit Argumenten ausgetragen werden.

Der Rechtsblogger Jürgen Melchior bezeichnete den Vorstoß des Berliner Justizministers öffentlich als "Rechtsbeugung von ganz oben". Zuspruch bekam der Christdemokrat Heilmann dagegen überraschend vom Humanistischen Verband Berlin-Brandenburg. Die Lobbyorganisation der Konfessionslosen begrüßte in einer Pressemitteilung, "dass das Land Berlin […] der Praxis religiös motivierter Beschneidungen enge Grenzen gesetzt hat". Vor einer bundeseinheitlichen Regelung hält Verbandspräsident Norbert Kunz allerdings einen "breiten gesellschaftlichen Dialog" über das "Zusammenleben in einer zunehmend säkularen Gesellschaft" und "mögliche alternative Rituale" für wichtig. Solch ein Dialog sollte seiner Ansicht nach mindestens zwei Jahre lang geführt werden, "damit in Anerkennung der Religionsfreiheit und der Grundwerte unserer Verfassung ein gesellschaftlicher Konsens erzielt werden kann".

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