Was ist los in Griechenland?

Antonis Samaras sketptisch. Bild: Wassilios Aswestopoulos

Griechenlands wiederholte "Rettung" erscheint immer seltsamer

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"Was wollen die wirklich, irgend etwas müssen die doch wollen?", fragt sich Premierminister Antonis Samaras offenbar überrascht in der aktuellen Printausgabe der Wochenzeitung Real News angesichts der Forderungen der Troika. Samaras spürt, dass die Kapriolen der Troika seinen schnellen Sturz vom Regierungssessel beschleunigen. Finanzminister Yiannis Stournaras droht dagegen offen mit seinem Rücktritt. Er möchte keine weiteren "Sparmaßnahmen" tragen. Die Prüfer sind als Copycat zum letzten Jahr mal wieder zornig und ergebnislos abgereist. Gemäß den üblichen, eingeweihten Insidern der Parlamentsflure konnten Handgreiflichkeiten zwischen Finanzminister Stournaras und Poul Thomsen vom IWF nur mit Mühe verhindert werden.

Es ist nicht nötig, an Verschwörungstheorien zu glauben. Griechenlands wiederholte "Rettung" erscheint immer seltsamer. So entdeckte der Spiegel Online am Sonntag, was seit Wochen bekannt ist. Griechenland braucht nicht nur Einsparungen über 11,5 oder 11,7 Milliarden Euro. Mittlerweile ist, so schreibt der Spiegel auch in seiner aktuellen Printausgabe, das Haushaltsloch auf mindestens 20 Milliarden angewachsen.

Es könnte noch schlimmer kommen. Denn Evangelos Venizelos, der Parteivorsitzende der PASOK, warnt, dass die ständige Verzögerung einer Entscheidung der realen Wirtschaft immer größeren Schaden zufügt. "Die Verhandlungen müssen abgeschlossen werden. Aber nicht mit einer Grundeinstellung zur Bestrafung der Gesellschaft, die leider sehr oft bei der Troika vorherrscht", meinte Venizelos noch vor dem Abbruch der Gespräche.

Evangelos Venizelos. Bild: Wassilios Aswestopoulos

Diesmal hat der ehemalige Finanzminister keine Lust, die Abreise der Troika als "geplante und abgesprochene Aktion" hinzustellen. Dies hatte er selbst im September 2011 gemacht, als die Gespräche der griechischen Regierung mit den Kreditgebern des IWF zumindest in der Öffentlichkeit diplomatischer abliefen. "Meine Position ist klar: Wir müssen mit parlamentarisch abgesegneten Sparmaßnahmen zum Treffen der Eurogruppe am 8. Oktober reisen", forderte Venizelos.

Über Griechenlands Zukunft wird erst nach Obamas Wahl entschieden

Daraus wird offenbar nichts. Während die Troika-Prüfer noch kurz vor ihrer Abreise dementierten, dass ihr Bericht zugunsten des Wahlkampfs von US-Präsident Barack Obama verschoben würde, steht nach dem vorzeitigen Abbruch der Gespräche mehr oder weniger fest, dass es vor dem 6. November 2012 keinen Troika-Report und somit schwerlich die lang ersehnte Kredittranche geben wird.

Poul Thomsen. Bild: Wassilios Aswestopoulos

Die Gelder aus dem mittlerweile zweiten Hilfspaket für Athen werden wie der erste Milliardenkredit in Tranchen ausgezahlt. In der aktuell strittigen 31 Milliarden Euro Tranche stecken die letzten, niemals ausgezahlten Gelder des ersten Rettungspakets.

Was geschieht mit den Rettungsgeldern?

Die immer wieder in Medienberichten kursierenden Summen von 110 Milliarden Euro aus dem ersten und 130 Milliarden Euro aus dem zweiten Hilfspaket sind Kreditzusagen und wurden nie vollständig ausgezahlt. Bereits im Winter 2011/2012 stand fest, dass zusätzlich zu den im Februar als Gegenleistung zum Haircut der Staatsobligationen durchzuführenden Maßnahmen über knapp drei Milliarden Euro bis zum Sommer 2012 ein weiteres Sparpaket, das seinerzeit auf zehn Milliarden Euro taxiert wurde, fällig war.

Keine S-Bahn - bestreikte Station Monastiraki. Bild: Wassilios Aswestopoulos

Über den Streit zu diesem zehn Milliarden Euro Sparpaket war die Regierung Papademos gestürzt. Die damaligen Koalitionspartner waren der Meinung, dass so genannte "horizontale" Lohnkürzungen aller Einkommen bei gleich bleibendem Preisgefüge der Lebenshaltungskosten, die Rezessionsspirale weiter drehen würden. Weitere Neuwahlen waren nötig, weil im Mai unter den Parteien kein Konsens über den Sparkurs gefunden werden konnte, somit keine Koalition zu Stande kam.

Erst nachdem aus Europa das Signal kam, dass eine Pro-Euro eingestellte Regierung angesichts des seitens der Kreditgeber als Schreckgespenst empfundenen Szenarios einer Regierung des linken Alexis Tsipras auf Unterstützung hoffen könnte, kam die jetzige, aus drei Parteien bestehende Regierung zustande. Diese hatte vorgeschlagen, die Einsparungen ohne drastische Lohnkürzungen zu bewerkstelligen und stattdessen den Zeitraum der Sparmaßnahmen um zwei Jahre zu verlängern. Für griechische Beobachter war es interessant festzustellen, wie sicher sich die Regierung Samaras war. Offenbar betrachtete der Premier, der nun seiner tiefsten Verwunderung über die Kreditgeber Ausdruck verleiht, die Verlängerung als reine Formsache.

Alexis Tsipras. Bild: Wassilios Aswestopoulos

Dass eine Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit der griechischen Wirtschaft über eine stete einseitige Abwertung, wie dem Kappen von Löhnen nicht klappen kann, wird selbst von Medien eingeräumt, die Griechenland gegenüber kritischer eingestellt sind.

Ist das Land nicht schon pleite?

Eigentlich, so geht es aus Presseberichten des Sommers hervor, müsste Griechenland längst im Chaos versunken sein. Schließlich waren durch den so genannten Haircut, den Schuldenschnitt im Winter, bei dem Staatsobligationen über knapp 200 Milliarden Euro die Hälfte des Wertes verloren, die griechischen Banken, Sozialversicherer, die Industrie und Kleinanleger mit 86,2 Milliarden Euro dabei. Ausländische Banken hatten zum Zeitpunkt des Schuldenschnitts "nur" Papiere im Wert von 35 Milliarden Euro in Händen. Im Vergleich dazu bekam die EZB am 20. August den vollen Nennbetrag für Staatsanleihen über 3,2 Milliarden Euro. Die Zentralbank hatte die Papiere für etwa siebzig Prozent des nominellen Werts erworben.

Auch mit Dauerausverkauf keine Kunden. Bild: Wassilios Aswestopoulos

Der Schuldenschnitt entzog somit der griechischen Wirtschaft weitere Liquidität, während für die Zahlung an die EZB ob des Ausbleibens der Kredittranche auf dem für Griechenland teueren freien Markt Gelder gefunden werden mussten. Eben darum wurde dem Land bereits im Juni prophezeit, dass es ohne die 31 Milliarden spätestens im Juli weitgehend zahlungsunfähig sei.

Tatsächlich ist dieser Zustand bereits eingetreten, ohne dass es bisher jemand wirklich registriert hat. Die Auswirkungen der leeren Staatskasse dürften sich in den nächsten Wochen verschärfen.

Apotheker, Ärzte, Polizisten, Pflegepersonal, Lehrer und zahlreiche weitere, von der öffentlichen Hand entlohnte Berufssparten erhalten nur einen Teil ihres Gehalts. Lieferanten gehen oft vollkommen leer aus. Im Privatsektor sind für viele Angestellte die Lohnzahlungen ausgesetzt, weil die Betriebe von den maroden Banken keine Kredite bekommen können und andererseits Rechnungen von den Kunden nicht beglichen werden.

Bereits im Land aktive Investoren ziehen es aus ökonomischen Gründen vor, ihr Kapital so lange zurück zu halten, bis die Frage des Verbleibs in der Eurozone endgültig geklärt ist. Neue Investitionen kommen unter diesen Bedingungen erst gar nicht ins Land. Selbst die immer wieder verschobene Kredittranche kann an dieser Situation nicht wirklich etwas ändern. Denn bei ihrer Auszahlung wäre prinzipiell bereits die nächste Rate fällig.

Wo könnte man Gelder finden?

Augenscheinlich hat die ansonsten gestrenge Troika übersehen, dass eine brach liegende Quelle für Steuereinnahmen schnellsten erschlossen werden müsste. Denn ansonsten drohen Hellas sogar weitere Belastungen in Form von Strafzahlungen.

Die Wettbewerbskommission der EU hatte bereits am 17. August mit einem Schreiben die Klärung seltsam erscheinender Steuernachlässe für bestimmte Industriesparten verlangt. Sollten diese Fragen nicht innerhalb von zwanzig Tagen beantwortet werden, heißt es in dem offiziellen Brief, der als Kopie die Runde in Ministerien und Redaktionen macht, dann droht die Kommission mit einem Wettbewerbsverfahren und Bußgeldern. Insbesondere interessiert es die Wettbewerbshüter, warum Reeder gemäß dem erst 2011 beschlossenen Gesetz 3943/2011 und dem älteren Gesetzt 3091/2002 von sämtlichen Immobiliensteuern befreit sind. Die Kommission wundert sich, dass den Reedern ein Steuererlass für Erbschaftssteuern, Kapitalertragssteuern, Dividenden, Einkommenssteuern und Lohnsteuern auch für die Unternehmenssparten zusteht, die nicht mit der Schifffahrt in Zusammenhang stehen.

Darüber hinaus erscheint es unter anderem in Brüssel seltsam, dass Reeder keinerlei Mineralölsteuern zahlen. Gleichzeitig müssen Privathaushalte für Heizöl ebenso viel zahlen wie für Dieselkraftstoff. Dass die übliche Abgabe von 0,6 Prozent für offene Bankkredite den Reedern wie vieles andere auch erlassen wurde, ist eine weitere Randnotiz in der Mängelrüge der Kommission. Insgesamt hat Brüssel 57 verschiedene Steueramnestien für Reeder entdeckt. Der gesamte Fragenkatalog besteht aus 73 Fragen, die teilweise auch andere Branchen betreffen.

Offenbar, diese Antwort könnte man auf Samaras Frage nach dem Sinn des Ganzen ohne Zögern geben, möchte sich auch die Troika nicht mit den Reedern anlegen. Die griechische Presse hofft derweil auf einen weiteren Schuldenschnitt. Diesmal sollen die Staatsanleihen, die im Besitz der EZB sind, dran glauben.