Auch Kleinkinder haben ein Recht auf Beschneidung

Das zumindest ist das Ergebnis einer Anhörung im Rechtsausschuss des Bundestages

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Was wiegt höher – das Recht des Kindes auf körperliche Unversehrtheit oder das Recht der Eltern, über die Erziehung der Kinder selbst zu bestimmen? Seit dem Kölner Beschneidungsurteil wird diese Frage immer wieder diskutiert, wobei insbesondere Kritiker der Beschneidung immer wieder pauschal mit Antisemitismusvorwürfen konfrontiert werden. Zumindest im Bundestag sind jedoch jene in der Mehrheit, die das Beschneidungsritual erhalten wollen. Die Entfernung der Vorhaut schon bei Säuglingen zu erlauben, sei dabei auch im Interesse der Kinder selbst, argumentieren dabei die geladenen Experten im Rechtsausschuss. Immerhin stünde die Vorhaut bei Juden und Muslimen einer Integration in die Glaubensgemeinschaft im Wege.

Beschneidung Christi. Bild: FA2010/gemeinfrei

Zwei Gesetzentwürfe standen im Rechtsausschuss zur Debatte. Der Entwurf der Bundesregierung sieht dabei vor, die Beschneidung von Jungen grundsätzlich zu erlauben, sofern sie "nach den Regeln der ärztlichen Kunst" durchgeführt und eine "effektive Schmerzbehandlung" erfolgt.

Einen Gegenentwurf haben 53 Abgeordnete von SPD, Grünen und Linkspartei eingebracht. Dieser erlaubt ebenfalls eine Beschneidung aus nicht-medizinischen Gründen – allerdings nur für Jungen, die das 14. Lebensjahr vollendet und dem Eingriff zugestimmt haben. Damit soll den Grundrechten der Kinder und der UN-Kinderrechtskonvention Rechnung getragen werden.

Chancen hat dieser Antrag allerdings nicht, und auch in einer Expertenanhörung des Rechtsausschusses findet er kaum Befürworter. So sind sich die Vertreter der Religionsgemeinschaften einig, dass nur der Gesetzentwurf der Regierung verfassungskonform ist und die Religionsfreiheit achtet.

Aiman Mazyek, der Vorsitzende des Zentralrats der Muslime (ZMD) sieht das Beschneidungsurteil von Köln, dass die Forderung nach einer gesetzlichen Regelung der Beschneidung auslöste, als eventuell unbewussten Teil einer Kulturkampfdebatte. Es werde der Eindruck erweckt, als würde jüdischen und muslimischen Eltern das Kindeswohl weniger am Herzen liegen als anderen Eltern.

Stephan Kramer, der Generalsekretär des Zentralrats der Juden, stört sich bereits daran, dass Kritiker der Beschneidung von Kleinkindern mit deren Recht auf körperliche Unversehrtheit argumentieren. Dieses Argument lasse anklingen, dass das Kind durch die Beschneidung versehrt werde, so Kramer – der stattdessen das Recht der Kinder auf Zugehörigkeit zu einer religiösen Gemeinschaft in den Vordergrund stellt. Kramer führt aus, dass die Beschneidung am 8. Tag im Judentum fundamental wichtig sei – wenn sie nicht vorgenommen werde, so werde der Bund gebrochen. Spätere Beschneidungen seien nur aus medizinischen Gründen möglich. Laut Kramer führten deshalb auch jene Juden, die nicht sonderlich religiös seien, Beschneidungen durch.

Nicht erwähnt wird von dem Generalsekretär jedoch, dass selbst in Israel unter gläubigen Juden die Zweifel an dem alten Ritual wachsen und längst nicht mehr jeder Junge beschnitten wird. Kramer hingegen warnt, unbeschnittene jüdische Jungen könnten beispielsweise nach dem Sport unter der Dusche von anderen jüdischen Jungen wegen ihrer Vorhaut gehänselt werden. Zudem seien sie keine vollwertigen Mitglieder der Religionsgemeinschaft und dürften weder aus der Thora lesen noch bestattet werden.

Elternrecht und Minderheitenschutz

Aus christlicher Sicht bescheinigt auch der Staatskirchenrechtler Hans Michael Heinig dem Regierungsentwurf, "verfassungsrechtlich über jeden Zweifel erhaben" zu sein, immerhin schütze das Grundgesetz aus den Erfahrungen mit zwei totalitären Regimen heraus das natürliche Recht der Eltern zur Pflege und Erziehung der Kinder.

Auch bei den geladenen Rechtsexperten stößt der Alternativentwurf aus den Reihen der Opposition auf wenig Gegenliebe. So erklärte Christian Walter von der Universität München, der Entwurf, der eine Beschneidung erst ab dem 14. Lebensjahr und mit Einwilligung des Jungen erlaubt, greife in das Elternrecht ein und sei daher verfassungswidrig. Denn nicht nur die Beschneidung sei nicht wieder rückgängig zu machen. Auch wenn ein Kind nicht in eine bestimmte Religionsgemeinschaft aufgenommen werden kann, weil innerhalb einer bestimmten Frist keine Beschneidung vorgenommen wurde, sei das nicht reversibel. Für das Kindeswohl sei aber nicht nur die körperliche Unversehrtheit wichtig, sondern die gesamte persönliche Entwicklung des Kindes.

Der ehemalige Direktor des Amtsgerichtes Brühl, Siegfried Willutzki begrüßt den Gesetzentwurf der Bundesregierung auch aus Sicht des Minderheitenschutzes. Demnach dürfe einem Kind, dass einer ethnischen oder religiösen Minderheit angehört, nicht das Recht genommen werden, seine eigene Kultur zu pflegen und sich zu seiner Religion zu bekennen. Dass ein acht Tage alter Junge noch nicht in der Lage ist, sich selbst für eine Religion zu entscheiden und selbst zu bestimmen, welche Riten er praktizieren möchte, stört Willutzki dabei nicht. Denn auch Erwachsene und urteilsfähige Jugendliche könnten auf ihr Recht auf körperliche Unversehrtheit verzichten und in eine Beschneidung einwilligen. Diese Möglichkeit habe das nicht einsichtsfähige Kind auch, befindet der ehemalige Amtsgerichtsdirektor. Da ein Säugling davon keinen Gebrauch machen könne, würden die Eltern diese Entscheidung treuhänderisch treffen, so seine Argumentation. Daraus schlussfolgert Willutzki schließlich, dass es zu einem Konflikt zwischen dem Recht auf körperliche Unversehrtheit des Kindes und dem Recht der Eltern auf Erziehung des eigenen Kindes nicht kommen könne.

Folgt auf das Recht der Beschneidung von Jungen auch das der Beschneidung von Mädchen?

Der einzige Rechtswissenschaftler, der den Entwurf der Regierung ablehnt, ist Reinhard Merkel von der Universität Hamburg. Der Entwurf enthalte eine ganze Reihe gravierender Fehler. Es gebe kein Freiheitsrecht, welches erlaube, in den Körper eines Anderen einzugreifen, einfach "weil ich das will", stellt er klar. Merkel zufolge erreicht der Regierungsentwurf nicht einmal die selbstgesteckten Ziele. So wird zwar "effektive Schmerzbehandlung" nach dem aktuellen Stand der medizinischen Möglichkeiten gefordert. Gleichzeitig dürfen aber bis zum 6. Monat auch Nichtärzte die Betäubung und Beschneidung durchführen. Diese dürften jedoch laut Arzneimittelgesetz gar keine kunstgerechte Anästhesie ausführen. Die stattdessen verwendete EMLA-Salbe sei hingegen nicht ausreichend, um die Schmerzen zu bekämpfen.

Zudem erlaube der Gesetzentwurf der Regierung Beschneidungen auch aus schäbigen Gründen: Während ein streng katholischer Vater, der seinen Sohn hart ohrfeigt, weil er ihn bei der Selbstbefriedigung erwischt, mit Strafe rechnen muss, wäre eine Bestrafung des Sohnes durch eine Beschneidung legal, so Merkel. Weiterhin weist Merkel darauf hin, dass aus der Legalisierung der Beschneidung von Jungen notwendigerweise auch die Legalisierung der Mädchenbeschneidung folgt. Immerhin gebe es hier nicht nur die schwere Form der Genitalverstümmelung, sondern auch leichtere Formen, bei denen teilweise nicht einmal Gewebe entfernt werde. Zumindest Eingriffe bei Mädchen, die ähnlich schwer sind wie die bei Jungen, müssten in der Folge auch erlaubt werden.