Nichts als Probleme

Geheizt wird im kühlen Athen mit allem, was verfügbar ist. Bild: W. Aswestopoulos

Keine Feierstimmung in Griechenland nach Tranchenzahlung: Ein Bericht über den griechischen Alltag

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Der neue Troikabericht erwartet, dass die griechischen Wirtschaftszahlen wie von Zaubererhand ab dem 1.1.2013 ein vollkommen neues und positives Bild liefern. Nicht zuletzt auf dieser Basis erhielt die griechische Regierung die lange ausstehende Tranche überwiesen. Die Milliarden hat sie ihrerseits sofort zwischen Banken und internationalen Gläubigern aufgeteilt. Premier Antonis Samaras versucht mit Charmeattacken wie in Bayern das Image eines erfolgreichen Krisenmanagers zu generieren. Tatsächlich hat die Regierung in ihrer aktuellen Lage keinen Handlungsspielraum mehr. Sie kann nur hoffen oder wie Finanzminister Yannis Stournaras versuchen, Gerichtsurteile zu ignorieren, wo immer es ihr passt.

Stournaras bekam von der Justiz bescheinigt, dass es verfassungswidrig und somit illegal sei, die Zahlung der Immobiliensonderabgabe für elektrifizierte Bauten an die Rechnung des elektrischen Stroms zu koppeln, und somit säumigen Zahlern die Energie zu entziehen. Er ignoriert dieses Urteil und droht, entgegen dem Protest juristischer Verbände, seinerseits den Elektrizitätswerken, der halbstaatlichen Public Power Company (DEI) und ihren privaten Konkurrenten mit Strafen, falls sie seinem Befehl nicht folgen.

Doch diese haben selbst mit anderen Problemen zu kämpfen. Denn die Armut treibt zahlreiche Griechen zu skurrilen Diebstählen. So klaute eine Gruppe junger Männer im nordgriechischen Alexandria Kupferkabel von Überlandstromleitungen. Doch auch die Holzmasten, auf denen die Kabel befestigt werden, sind nicht unbedingt sicher. In Griechenland, vor allem im Norden, wird derzeit alles verfeuert, was brennbar ist. Dementsprechend liegt über den Großstädten ein intensiver Geruch verbrannten Holzes.

Sehr oft mischt sich dieser eigentlich gemütliche Duft mit dem Gestank verbrannten Kunststoffs, da zahlreiche Griechen nicht wählerisch bei der Wahl des Brennstoffs sind. Lackierte und imprägnierte Hölzer werden ebenso verfeuert wie Straßenbäume. Grund sind die Steuererhebungen auf Heizöl, welche das im Winter dringend benötigte Brennmaterial auf Preise ab 1,35 Euro, den Preis für Diesel, anhoben. Damit wollte die Regierung vorgeblich dem Missbrauch von Heizöl als Antriebsmittel für Kraftfahrzeuge eindämmen.

Tatsächlich jedoch ging es um das Generieren neuer Steuereinnahmen. Weil diese bei Umsatzeinbrüchen von achtzig bis 95 Prozent beim Heizölverkauf offensichtlich ausbleiben und weil die umweltbewussteren Landesbewohner zu Heizlüftern, statt zur Axt griffen, plant die Regierung nun eine Strompreiserhöhung von bis zu 49 Prozent. Pläne, das überteuerte Heizöl gemäß den Marktgesetzen von Angebot und Nachfrage auf ein normales Niveau zu senken, gibt es nicht, obwohl selbst staatliche Schulen nicht in der Lage sind, ihre Gebäude zu erwärmen. Zuständig für die Schulen ist schließlich nicht die Zentralregierung, sondern das müssen die Kommunen zahlen. Die aber sind, das Kommunalsteuern von der Regierung in Athen zurück gehalten werden, ebenso klamm wie die öffentlichen Krankenhäuser.

Krankenhausmanager müssen mit gleich zwei Folgen der Krise fertig werden. Einerseits steigt, offenbar im Zusammenhang mit den Folgen der schlechten Finanz- und Versorgungslage, die Zahl der Patienten, andererseits fehlt es - wie selbst die europäische Task Force feststellen musste - wegen des verordneten Personalabbaus überall an Pflegekräften. Darüber hinaus bleiben zahlreiche Schulden der Hospitäler auch mit der neuen Kredittranche unbezahlt. Das Geld reicht nicht aus, um alle Pharmalieferanten und sonstigen Zulieferer auszuzahlen.

Diejenigen, die Geld in Staatskassen spülen könnten, entziehen sich weiterhin ihrer "patriotischen Pflicht". Daher müssen erneut die Bezieher geringer Einkommen und Honorare zahlen. So sieht das am Freitag vorgestellte neue Steuergesetz unter anderem vor, dass Freiberufler für 5.000 Euro Jahreserlös 1.300 Euro Einkommenssteuer zahlen müssen. Die Pflichtbeiträge für die Sozialversicherung, die sich im Rahmen von 250 Euro monatlich bewegen, gelten nicht als gewinnmindernd. Dazu kommt eine von 500 Euro auf 650 Euro angehobene Pauschalabgabe, die jeder Freiberufler für jede seiner steuerlich erfassten Aktivitäten zu entrichten hat.

Unter derartigen Rahmenbedingungen sind Investitionen im Land kaum registrierbar. Zumal die mit knapp 25 Milliarden neuen Liquiditätsmitteln versorgten Banken, deren Börsenwert insgesamt bei ungefähr 3,5 Milliarden Euro liegt, jegliche Kreditvergabe an Unternehmen verweigern. Dieses Paradoxon vermag verständlicher erscheinen, wenn bedacht wird, dass der Staat den Unternehmen aufgrund eines inländischen Zahlungsstopps die Liquidität in existenzbedrohender Weise entzieht. Exportierende Unternehmen erhalten ebenso wie inlandsorientierte keinerlei Mehrwertsteuerrückerstattung, während die anfallenden Umsatzsteuern ohne das Recht der Verrechnung der Steuerschuld sofort fällig sind.

Schlechte Aussichten. Bild: W. Aswestopoulos

Klagen ohne Richter

Finanz- und Personalprobleme legen die Justiz ebenso lahm wie die andauernden Streiks der Justizangestellten. Eine Folge davon ist, dass zivilrechtliche Differenzen wegen nicht beglichener Rechnungen meist erst nach der Liquidation des auf Geld wartenden Unternehmens abgeurteilt werden können. Auch dies lässt Banker an den Erfolgsaussichten eines Unternehmers zweifeln.

Strafrechtlich sehen die Folgen der erlahmten Justiz noch drastischer aus. Wer nicht auf frischer Tat ertappt und somit von einem Schnellgericht verurteilt wird, hat auch bei Mord durchaus gute Aussichten auf Freiheit. Immer mehr mutmaßliche und polizeilich überführte Mörder müssen entlassen werden, weil die Untersuchungshaft die maximal zulässige Dauer von sechs Monaten für jugendliche Straftäter und achtzehn Monate für Erwachsene verstreicht, ohne dass es zu einer Aufnahme des Hauptverfahrens kommt. Kaum etwas läuft im heutigen Griechenland nach Plan.

Tote Immigranten und ein Abstumpfen des Mitgefühls

Tatsächlich fertig wurde dagegen der "Schutzzaun gegen Immigranten", der seit Dezember 2010 angekündigt wurde. Das vier Meter hohe Bauwerk an der griechisch-türkischen Landesgrenze im Norden verschließt den Landweg, auf dem illegale Immigranten, aber auch Kriegsflüchtlinge bislang in den Schengenraum gelangen konnten. Stattdessen müssen die Immigranten nun den überaus gefahrenreichen Seeweg wählen. Dies belegen auch die vermehrten Festnahmen von Schleuserbanden, die nun die Einwanderer über den Seeweg bringen.

Vor Lesbos ertranken 27 Flüchtlinge beim Versuch, nach Europa zu gelangen. Während mehr oder weniger nachvollziehbar ist, dass das Massaker von Newtown mehr mediale Aufmerksamkeit erregt als das Schicksal ertrinkender Flüchtlinge, erschrecken jedoch die überwiegend zynischen Kommentare, die Leser des "Proto Thema" unter die Nachricht vom Flüchtlingsdrama schreiben. Es gibt kaum noch Mitgefühl für diejenigen, denen es schlechter geht.

Proto Thema, immerhin eine der Sonntagszeitungen, die regelmäßig die Verkaufzahlenlisten anführen, ist für gewisse Kreise meinungsbildend. Die Zeitung schreckte nicht davor zurück, die Thesen der ausländerfeindlichen und nach allgemeinem Verständnis nazistischen Chryssi Avgi gegen die Aussagen der für Bürgerrechte eintretenden Afrodite Al Salech zu stellen. Dazu bot das Blatt dem Sprecher der rechtsextremen Partei Ilias Kasidiaris ein Podium und unterstrich seine Aussagen mit der Veröffentlichung von freizügigen Fotos von Al Salech aus ihrer früheren Laufbahn als Schauspielerin gezeigt wurden. Viele Leser der Zeitung akzeptieren dieses an niedere Instinkte appellierende Vorgehen. Für sie reicht es, dass Frau Al Salech ihre Aufklärung in Sachen Nazismus im Schatten der PASOK durchführt. Das Land ist in immer mehr untereinander verfeindete politische Lager gespalten.

Tiefpunkte des politischen Dialogs

Das sonntägliche Foul des Proto Thema blieb lediglich bis zum Nachmittag Tagesthema. Dann nämlich wurde bekannt, dass der Abgeordnet von SYRIZA, Dimitris Stratoulis, von einer Gruppe Rechtsradikaler verprügelt worden war. Stratoulis hatte mit seinem Sohn ein Spiel des von Ewald Lienen trainierten Fußballvereins AEK Athen besucht. Die Schläger riefen ihm zu: "Wir kommen von der Chryssi Avgi und wir werden dich umbringen."

Die organisierten Fans von AEK haben sich in einer Presseerklärung ebenso gegen die Rechtsradikalen gewandt, wie alle übrigen Parlamentsparteien bis auf die Chryssi Avgi selbst. Wie üblich bestreitet deren Sprecher Kasidiaris jegliche Beteiligung seiner Partei an der Gewaltaktion. Er rechnet lieber mit den Kritikern seiner Gruppierung ab und meint, dass es zutiefst undemokratisch sei, gegen Rassenhass zu demonstrieren.

Ganz andere Sorgen plagen Panos Kamenos. Der Vorsitzende der "Unabhängigen Griechen", die politisch bisher als Auffanglager für konservative oder nationalbewusste, aber nicht rechtsradikale Griechen diente, beklagt, dass seine Partei von der Nea Dimokratia unterminiert würde.

Kamenos verlor in der vergangenen Woche gleich zwei Abgeordnete und vier Parteifunktionäre. Diese hatten den Führungsstil Kamenos beklagt und sich geweigert, eine eventuelle Zusammenarbeit mit SYRIZA auch nur zu überdenken. Alexis Tsipras stellt für den nun ehemaligen Fraktionssprecher Konstantinos Markopoulos ein rotes Tuch dar. Selbst die gemeinsame Ablehnung der Sparmemoranden wird von den Dissidenten der Unabhängigen Griechen nicht als Grund für ein konzertiertes Handeln gesehen. Kamenos dagegen vermutet, dass seine Abtrünnigen von Samaras mit zukünftigen Ministerposten geködert wurden, wie es bereits bei der Demontage der rechtspopulistischen Partei LAOS geschehen war.

Tsipras selbst bekommt von all den innenpolitischen Turbulenzen kaum etwas mit. Er weilt ebenso wie Samaras für einige Wochen im Ausland. Der Vorsitzende von SYRIZA sucht in Argentinien und Brasilien nach Lösungsmodellen für das griechische Drama.