Freiheit oder Hedgefonds?

Argentinien kämpft vor US-Gerichten gegen Finanzspekulanten, die aus dem Staatsbankrott 2002 späten Profit schlagen wollen

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Argentinien wartet in diese Tagen auf seine Freiheit. Derzeit befindet sie sich noch vor Rio de Janeiro. Mit einer Geschwindigkeit von acht Knoten segelt das Segelschulschiff der argentinischen Marine, die Fregatte "ARA Libertad" nach Hause. Wochenlang war der Dreimaster auf Antrag eines US-amerikanischen Hedgefonds in einem ghanaischen Hafen festgehalten wurden. Die US-Spekulanten wollten das Schiff wegen offener Forderungen pfänden lassen. Die Lage war unklar, bis der Internationale Seegerichtshof in Hamburg Mitte Dezember die Freigabe des Paradeschiffes anordnete.

Der Streit zwischen dem Hedgefonds und der Regierung in Buenos Aires aber dauert an. Im Kern geht es darum, inwieweit Staaten von privaten Finanzakteuren unter Druck gesetzt werden können. Der juristische Disput hat nach Expertenmeinung damit auch Auswirkung auf die Eurokrise, so etwa den Umgang mit Griechenland und anderen Krisenstaaten im Süden und Südosten der Europäischen Union.

Dabei muss Argentiniens Regierung noch bis zum 27. Februar zittern: Dann wird ein New Yorker Berufungsbericht über den Rechtsstreit entscheiden, mit dem das südamerikanische Land in den Bankrott getrieben werden könnte.

Ende November hatte der New Yorker Bezirksrichter Thomas P. Griesa der Klage des US-Hedgefonds NML Capital auf vollständige Auszahlung alter Staatsanleihen stattgegeben. Ein Berufungsgericht in New York setzte die Zahlung aber vorerst aus. Das in Zypern ansässige Tochterunternehmen der Elliott Management Corporation und der Aurelius-Fonds verlangen 1,3 Milliarden US-Dollar.

Sollten sich die Spekulanten damit durchsetzen, droht dem argentinischen Staat eventuell der technische Bankrott: Weil die unerwarteten Zahlungen an die US-Hendgefonds die Liquiditätsreserven des argentinischen Staates binden würden, könnten bereits verhandelte Schuldentilgungen nicht eingehalten werden. Auf dieses Gefahrenszenario setzen die aggressiven Fonds aus New York. Sie versuchen, die Regierung in Buenos Aires so weit in die Ecke zu treiben, dass sie sich zu einem für die Spekulanten möglichsten lukrativen Angebot bewegen lässt.

Spekulanten wollen Profit aus der Krise schlagen

Der international viel beachtete Rechtsstreit ist ein spätes Erbe der argentinischen Staatspleite vor zehn Jahren. Im Januar 2002 hatte der damalige Präsident Eduardo Duhalde den Schuldendienst eingestellt und die Kopplung des Pesos vom US-Dollar aufgekündigt. Zwar stand das Land damals vor einem Schuldenberg von umgerechnet 100 Milliarden US-Dollar. In einem Umschuldungsprogramm konnte erreicht werden, dass ein Großteil der Gläubiger auf rund zwei Drittel ihrer Forderungen verzichtete. So gelang es, zwischen 2005 und 2010 immerhin 93 Prozent der ursprünglichen Ausstände umzuschulden. Das Problem sind die übrigen sieben Prozent. In der Minderheitengruppe gibt es Gläubiger, die den ursprünglichen Nominalwert der Anleihen verlangen.

Auf dem Höhepunkt der Krise hatten einige Hedgefonds um den US-Milliardär Paul Singer argentinische Staatsanleihen zum extrem niedrigen Marktpreis aufgekauft. Die Investoren setzten darauf, nach der Gesundung der Wirtschaft den Nominalwert erhalten zu können, was eine sehr hohe Rendite bedeutet hätte. Nun versucht der "Geierfonds", wie NML Capital in Argentinien nur noch genannt wird, seinen Plan mit Hilfe einer Klage zu realisieren. Dies geht mit einem Nervenkrieg einher. Ende Oktober ließen die Juristen die "Libertad" im ghanaischen Hafen von Tema wegen der ausstehenden Forderungen festsetzen. Bis zur Entscheidung des Internationalen Seegerichtshofes war das Schicksal des Prunkstücks der argentinischen Marine unklar.

Die Spekulanten setzen auf solche hochgradig symbolische Politik und eine Strategie der Nadelstiche. In einem anderen Fall mussten die argentinischen Aussteller ihren Stand auf der Frankfurter Buchmesse vor wenigen Jahren auf eine Privatperson anmelden, um die drohende Pfändung mitgeführter Kunstwerke zu verhindern. Im aktuellen Fall geht NML mit einer erstaunlichen Chuzpe vor: Man erkenne das Urteil des Internationalen Seegerichtshofes in Hamburg nicht an, hieß es aus New York.

Buenos Aires mit Teilerfolg und Kompromissangebot

Bleibt Buenos Aires stur gegenüber den Hedgefonds, kann US-Richter Griesa die Zahlungen an die restlichen Gläubiger quasi direkt vor der eigenen Haustür pfänden – das Geld soll über die Bank of New York ausgezahlt werden. Damit würde im schlimmsten Fall eine technische Staatspleite drohen. Das Berufungsverfahren Ende Februar wird daher mit Spannung erwartet.

Branchenexperten gehen allerdings davon aus, dass sich am Ende Argentinien durchsetzt. Das liegt auch an den massiven Konsequenzen, die eine Entscheidung zugunsten der Finanzspekulanten weltweit hätte. US-Bezirksrichter Griesa, der als Hardliner gilt und 1972 noch von Präsident Richard Nixon ernannt wurde, hatte diese Bedenken freilich nicht. 2010 sprach er anderen "Geierfonds" schon einmal eine 100-Millionen-Dollar-Einlage der Zentralbank Argentiniens zu.

Bei einem Berufungsgericht scheiterte NML Capital allerdings schon Anfang Dezember mit dem Versuch, die Berufungsfrist soweit zu verkürzen, dass eine erneute Entscheidung noch vor der nächsten Ratenzahlungen an die Gläubigermehrheit am 15. Dezember getroffen wird.

Die argentinische Staatsführung fährt indes eine Doppelstrategie: Auf der einen Seite bringt sie kompromissbereite Gläubiger gegen die Hedgefonds in Stellung. Die Gläubigergruppe Exchange Bondholders Group (EBG) ging vor dem Berufungsgericht in New York gegen NML vor. EBG verlangte, dass der Hedgefonds NML selbst zwei Milliarden US-Dollar auf ein Treuhandkonto anlegt, um für etwaige Schäden der Gläubigermehrheit zu haften. Zugleich zeigt sich Argentinien bereit, das Umschuldungsverfahren erneut zu öffnen, um die Hedgefonds teilnehmen zu lassen. Für die Spekulanten erhöht sch damit das Risiko weiter. Zeigen sie sich nun kompromissbereit, erhalten sie einen geringen Teil ihrer Forderungen. Setzen sie alles auf eine Karte, können die finanziellen und politischen Folgen für sie erheblich sein.