Künstliche Intelligenz wird gerne unterschätzt

Bewaffnete Drohnen zwingen das Feuilleton, KI ernst zu nehmen

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Der Vortrag des Literaturwissenschaftlers liegt schon einige Jahre zurück. Dennoch konnte ich eine eher beiläufige Bemerkung von ihm bis heute nicht vergessen. In einem Nebensatz streifte der Professor kurz die "Träume von künstlicher Intelligenz", die "im Winde verweht" seien.

Bild: US Air Force

Schon damals wunderte ich mich über diese Einschätzung, da doch die Forschungen zu künstlicher Intelligenz (KI) gerade einen enormen Aufschwung erfuhren. Doch bis heute ist es dabei geblieben, dass Menschen mit geisteswissenschaftlichem Hintergrund dazu neigen, die KI klein zu reden. Bei Vorträgen und Diskussionen kommt es immer wieder zu spitzfindigen Erörterungen des Autonomiebegriffs oder ironischen Verweisen auf die Vermessenheit, intelligente Maschinen bauen zu wollen, wo doch die eigene soziale Intelligenz der Menschen noch so unterentwickelt sei. Sie mögen alle ihre Berechtigung haben, hinterlassen aber zumeist den Eindruck, als wollten die Redner die tatsächliche technologische Entwicklung lieber nicht so genau zur Kenntnis nehmen.

Die Scheu ist durchaus nachvollziehbar: Die Geisteswissenschaften beschäftigen sich schließlich mit den Schöpfungen des menschlichen Geistes. Der Mensch steht damit für sie im Mittelpunkt, seine Einzigartigkeit ist gewissermaßen unerlässliche Bedingung ihrer Existenz. Die Annahme, dass maschinelle Intelligenz, also eine nicht-menschliche Instanz vergleichbare Schöpfungen hervorbringen oder den Menschen sogar übertreffen könnte, stellt das Fundament dieser Wissenschaften in Frage.

Die herablassende Haltung des Feuilletons gegenüber der KI ärgert viele Forscher, die sich auf diesem Feld engagieren, konnte ansonsten aber bisher als weitgehend unerheblich abgetan werden. Doch diese Zeit der Unschuld ist vorbei. Die KI klein zu reden ist nicht mehr nur ignorant, es ist gefährlich. Immerhin halten führende Politiker die Technologie für ausgereift genug, um ihr tödliche Waffen anzuvertrauen (Bewaffnete Drohnen für die Bundeswehr?).

Natürlich versuchen auch diese Politiker, die Entscheidung über die Anschaffung bewaffneter Drohnen kleiner zu machen, als sie ist. Dazu zählt an erster Stelle die Behauptung, dass es hierbei ja gar nicht um KI ginge, sondern lediglich um ferngesteuerte Roboter, um willenlose Werkzeuge gewissermaßen. Auch der Pilot eines Kampfflugzeugs schaue schließlich auf Bildschirme und feuere seine Bomben per Knopfdruck ab. Macht es da einen Unterschied, ob er selbst an Bord im Cockpit sitzt oder tausende Kilometer entfernt in einem Leitstand am Boden?

Ja, es macht einen gewaltigen Unterschied, aus vielerlei Gründen. Doch an dieser Stelle soll es nur um die KI gehen, die auch bei ferngesteuerten Robotern eine Rolle spielt. Denn der Operator eines solchen Roboters muss sich auf die Informationen verlassen, die ihm dessen Bordsensoren übermitteln. Der Feuerbefehl mag heute und in den kommenden zehn oder zwanzig Jahren noch vom Menschen erteilt werden, aber die Entscheidung dazu trifft er schon heute nicht allein, sondern im Zusammenspiel mit der Maschine. Er verlässt sich darauf, dass die Algorithmen, mit denen die Sensordaten verarbeitet und übermittelt werden, zuverlässig arbeiten und keine Informationen verfälschen.

Der Mensch wird aus der Entscheidungsschleife herausgedrängt

Vor allem aber treibt die Beschaffung bewaffneter Militärroboter ein Wettrüsten voran, das den Menschen unweigerlich aus dieser Entscheidungsschleife herausdrängen wird, bis die KI allein die Bomben und Raketen auslöst. Der Motor dieses Wettrüstens heißt in der Militärsprache "sensor-to-shooter". Das bezeichnet die Kommandokette, die zwischen der Aufnahme der Sensordaten und der daraus abgeleiteten Aktion liegt. Sie hat sich in den vergangenen Jahren bereits von Stunden auf Sekunden verkürzt.

Vor 15 Jahren verging noch über eine Stunde, bis die Bilder der Bundeswehr-Drohne CL-289, die sie während der Jugoslawienkriege über den Kampfgebieten aufgenommen hatte, entwickelt und ausgewertet waren. Erst dann konnte die Artillerie feuern. Die ebenfalls erstmals über dem Balkan eingesetzte US-Drohne MQ-1 Predator konnte dagegen ihre Daten bereits per Satellitenkommunikation in Echtzeit übermitteln und ermöglichte Angriffe innerhalb von Minuten nach Erfassung eines Ziels. Für bewegliche Ziele, insbesondere Fahrzeuge, war das immer noch zu langsam. Daher wurde die Drohne mit Lenkwaffen bestückt, die sekundenschnelle Reaktionen ermöglichen.

Einer der nächsten Entwicklungsschritte werden schnelle, wendige Flugroboter sein, die im Luftkampf gegen andere Flugzeuge bestehen können. Dafür müssen sie innerhalb von Sekundenbruchteilen reagieren können. Das ist mit Fernsteuerung nicht möglich, weil allein die Laufzeit der Funksignale mehrere Zehntelsekunden beträgt. Ein luftkampffähiger Roboter wird daher autonom über den Waffeneinsatz entscheiden müssen.

Die vom Winde verwehten Träume künstlicher Intelligenz haben sich offenbar zu einer mächtigen Sturmfront vereinigt.

Natürlich kann es immer noch sein, dass die Skeptiker am Ende Recht behalten. Es ist möglich, dass die Versuche, künstliches Leben zu schaffen, früher oder später auf eine unüberwindliche, fundamentale Barriere stoßen und sich zeigt, dass der Schöpfung und dem wunderbaren Wirken des menschlichen Geistes ein Geheimnis zugrundeliegt, das Menschen nie lüften können. Es wäre allerdings töricht, sich darauf zu verlassen.

Intelligenz hat sich in der biologischen Evolution unter anderem im Wechselspiel zwischen Jäger und Beute entwickelt, also vorangetrieben durch eine Art Wettrüsten. Es ist jedoch fraglich, ob dieses Prinzip für die Entwicklung künstlicher Intelligenz übernommen werden sollte. Vielleicht bietet der Übergang von der biologischen zur technischen Evolution eine einzigartige und einmalige Chance, sich aus solchen naturgeschichtlichen Verstrickungen zu lösen? Dazu sollten die Geisteswissenschaften eigentlich einiges zu sagen haben - müssten dafür aber die Pose der Herablassung gegenüber der KI-Forschung aufgeben.

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