Kein Papst aus dem Sauerland?

Die kurkölnischen Südwestfalen stellen fast 1,8 Prozent der weltweiten Papstwähler

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Das ehemalige Herzogtum Westfalen, welches bis zur Säkularisation über 350 Jahre lang der stabilen Landesherrschaft der Kölner Kurfürstbischöfe unterstanden hat, war wohl einmal eine der katholischsten Landschaften im deutschsprachigen Raum. Aus diesem Territorium, das zum größten Teil aus dem kurkölnischen Sauerland besteht, kommen aktuell immerhin zwei papstwahlberechtigte Kardinäle. Das sind 33,33 Prozent der deutschen Papstwähler und 1,74 Prozent aller Konklave-Teilnehmer. Ganz schön für so ein kleines Fleckchen des Erdkreises.

Der erste von den beiden "Sauerländern" ist der emeritierte Kurienkardinal Paul Josef Cordes, geboren 1934 in Kirchhundem. Bekannt geworden ist er unlängst durch den Umstand, dass er dem Konklave wie einem Besuch beim Zahnarzt entgegengesehen hat. Mit einer gewissen Bauernschläue bringt der konservative Kirchenmann in diesem Interview aber auch einige Änderungswünsche zum Ausdruck, so etwa das Votum für eine stärkere Internationalisierung der Kurie.

Der zweite kurkölnisch-katholische Südwestfale ist der Münchener Erzbischof Kardinal Reinhard Marx, 1953 in Geseke geboren. Mit seinen sozialethischen Positionen steht der eingeschriebene Geseker Schützenbruder durchaus in der Heimattradition einer Anwaltschaft für die Sache der kleinen Leute. Kirchlich vertritt er eine ziemlich römische Linie und wird nicht selten dem Typus "regierender Pfarrpatriarch" zugeordnet. Nach denkbar verunglückten Äußerungen über Geschiedene und Schwule als "gescheiterte Menschen" bewies er allerdings, dass Südwestfalen auch - ein klein wenig - anders können: "Homosexuelle gehören dazu.

Die Weissagung des Jürgen von der Lippe

Pontifex werden Paul Josef Cordes oder Reinhard Marx wohl diesmal eher nicht. So muss sich denn die Weissagung des Liedermachers Jürgen von Lippe ein andermal bewahrheiten. Sein Lied "Der Papst aus dem Sauerland", dessen vollständiger Text z.B. in diesem Forum kursiert, war in meiner Jugendzeit einmal recht bekannt:

"Wenn das nächste Mal in Rom weißer Rauch aufquillt
und die Menge vergnügt: "Habemus papam!" brüllt.
Dann steht da im päpstlichen Sonntagsgewand
Schwiten Hannes der Erste aussen Sauerland.

Er wird uns allen ein sehr guter Vater sein
und die ganzen Kardinäle kriegen sich gar nicht mehr ein
vor Freude, dass jetzt alles ganz anders wird,
wo Schwiten Hannes die heiligen Geschäfte führt.

Denn dann geht die Schweizer Garde nämlich erst mal in Pension,
und lippische Schützen schützen den Petersdom.
Doch das erste richtig ganz große Trara
ist vermutlich schon am Tage der Krönung da.

Wenn der neue Papst eine Königin benennt,
wie er das von zu Hause vom Schützenfest kennt ..."

Rom wird laut Jürgen von der Lippe sodann als neue Hauptstadt des Sauerlandes sehr alkoholfreudig, und auf den päpstlichen Mittagstisch kommen Fitzebohnen. Soweit ist die Vision noch ziemlich realistisch. Die Sauerländer hielten nämlich gegenüber den fernen bischöflichen Landesherren in Köln immer kompromisslos an ihrer Selbstverwaltung fest und wirkten wegen ihrer eigenwilligen "Ordnungsvorstellungen" später auf die Preußen ziemlich anarchisch.

Dass freilich in der Weissagung dem sauerländischen Papst Schwiten Hannes auch die Einrichtung einer familiären Erbdynastie in Rom nebst neuer Vetternwirtschaft unterstellt wird, geht mir persönlich dann doch entschieden zu weit.

Ehrenrettung und Ende der katholischen Landschaft

Meine eigenen Regionalforschungen haben nämlich ergeben, dass schon im frühen 19. Jahrhundert berühmte Sauerländer sich trotz erklärter Romtreue entschieden gegen einen päpstlichen Zentralismus ausgesprochen haben.

Zur Zeit des I. Vatikanischen Konzils 1869/70 war die Landschaft zwar tiefschwarz und ultramontan, jedoch zugleich auch die Heimat von auffällig vielen Kritiker der in Rom neu erfundenen Dogmen über päpstliche Universalgewalt und Unfehlbarkeit, darunter der Dichter Josef Pape (1831-1898), der Adelige Clemens August Graf von Westphalen (1805-1885), der Priester Anton Hochstein (1843-1902), der Döllinger-Assistent Philipp Woker (1848-1924), der Philologe Prof. Franz Ritter (1803-1875) sowie landesweit bekannte Leitgestalten des Kirchenprotestes wie der Theologe Franz Heinrich Reusch (1825-1900) und der international renommierte Kirchenrechtler Johann Friedrich von Schulte (1827-1914). Alles Sauerländer! Hinzu kamen unterstützende "Laienadressen" von Unfehlbarkeitsgegnern aus mehreren Orten.

Heute rumort es in der katholischen Landschaft an einigen Stellen schon wieder gewaltig. In Zeiten des Priestermangels will der Paderborner Bischof die vielen sauerländischen Dorfgemeinden zu riesigen Pastoralverbünden zusammenfassen, die z.T. fast so groß sind wie alte Kreisgebiete. Prominenter Kritiker dieser Kamikaze-Pläne ist der Theologe Prof. Hubertus Halbfas. Dieser sieht in seinem jüngsten Beitrag das Zeitfenster für heilsame Veränderungen der kirchlichen Strukturen nicht mehr lange offen stehen. Eine alternative Option wäre es, den vielen noch kirchlich gebundenen "Laien" ähnlich wie im französischen Bistum Portiers eigenverantwortliche Leitungsaufgaben zu eröffnen und so die Kirche im Dorf - nahe bei den Menschen - zu belassen.

Das vorliegende amtskirchliche Modell läuft indessen auf Wallfahrten zum zentralistischen Priestergottesdienst hinaus, während unzählige uralte und noch äußerst lebendige Gemeinden einfach von oben herab "abgewickelt" werden. Wenn die selbstverliebte und technokratische Kleriker-Ideologie sich durchsetzt, wird der sauerländische Katholizismus als "Leutekirche" mit vielen sozialen Potenzen in wenigen Jahrzehnten endgültig tot sein. Wie sollte dann aber noch Aussicht bestehen, dass tatsächlich einmal ein Papst aus dem Sauerland das Kirchenschiff lenkt?