Energienetzausbau im Deutschland

Die Energiewende könnte am ehesten gelingen, wenn sie überschaubar dezentral beginnt

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Nach der Energiewende wurde in der Öffentlichkeit ein Ausbau der Stromnetze gefordert. Im Vordergrund der öffentlichen Diskussion stehen dabei noch immer die sogenannten Stromautobahnen, die den Offshore-Windstrom in die Verbrauchszentren im Süden der Republik leiten sollen. Dort wurden und werden durch die Abschaltung von Kernkraftwerken zentrale Erzeuger vom Netz genommen, für die man Ersatz bereitstellen will. Dabei gibt es auf politischer Ebene die grundsätzliche Idee, die Kernkraftwerke durch große Windkraftparks zu ersetzen, die als Offshore-Anlagen außerhalb des Sichthorizonts der Verbraucher aufgestellt werden sollen.

Die Abschaltung der vor der Energiewende 2011 noch betriebenen norddeutschen Kraftwerke Unterweser (E.on), Brunsbüttel (Vattenfall/E.on) und Krümmel (Vattenfall/E.on) sowie der süddeutschen Anlagen Neckarwestheim I (EnBW), Philippsburg I (EnBW), Isar I (E.on), Biblis A (RWE) und Biblis B (RWE) konnten von der bestehenden Infrastruktur aus Stromerzeugung und Netz offensichtlich bewältigt werden. Jetzt blickt man auf die bis 2022 noch abzuschaltenden Kraftwerke und deren Ersatz sowie auf die Netzeinbindung der Ersatzanlagen. Dabei werden die großen Anlagen in der Hauptsache von Unternehmen mit hohem Strombedarf benötigt, die jedoch in eher geringem Umfang an den Netzausbaukosten beteiligt werden sollen.

Aufgrund des bislang langsamen Netzausbaus sieht man die Sicherstellung der Stromversorgung in Süddeutschland in Zukunft gefährdet, obwohl die deutsche Stromversorgung 2011 mit einer durchschnittlichen Unterbrechungsdauer von 15,3 Minuten an der Spitze der Staaten mit der größten Zuverlässigkeit zu stehen scheint. Ob diese Angabe jedoch so aussagekräftig ist, wie von der Stromwirtschaft propagiert, mag bezweifelt werden, wenn man berücksichtigt, dass die deutsche Statistik nur Netz-Ausfälle ab 3 Minuten erfasst, kürzere Ausfälle jedoch bis zu 90% der Unterbrechungen ausmachen.

Während es nun im Zusammenhang mit der Abschaltung der norddeutschen Anlagen Grohnde (E.on; 2021), Brokdorf (E.on/Vattenfall; 2021) und Emsland (RWE/E.on; 2022) aufgrund der räumlichen Nähe offensichtlich keinen Bedarf an neuen Ferntrassen gibt, sieht dies für Süddeutschland anders aus. Die Versorgung der Bundesländer Baden-Württemberg (Philippsburg II (EnBW; 2019 und Neckarwestheim II (EnBW; 2022)) und Bayern (Grafenrheinfeld (Eon; 2015), Gundremmingen B (RWE/E.on; 2017), Gundremmingen C (RWE/E.on; 2021) und Isar II (E.on; 2022)) soll nur mit Hilfe der geplanten Ferntrassen gesichert werden können.

Die Bundesländer haben die Zuständigkeit für die Fernstromtrassen inzwischen an den Bund abgeben, der eine Beschleunigung der Abläufe verspricht. Der Bund will so den Zeitaufwand für die Realisierung der Trassen von zehn auf vier Jahre verkürzen. Dafür hat man das Netzausbaubeschleunigungsgesetz verabschiedet. Die Reduzierung des Zeitaufwands für die Realisierung der Trassen soll nicht zuletzt durch die Verkürzung des Klagewegs auf nur eine Instanz beim Bundesverwaltungsgericht erreicht werden. Die Vorschläge für die Ferntrassen kamen von den vier deutschen Übertragungsnetzbetreibern (50Hertz Transmission GmbH, Amprion GmbH, TenneT TSO GmbH und TransnetBW GmbH), die sie in ihrem Netzentwicklungsplan 2012 vorgelegt hatten, der wiederum Grundlage für den Entwurf des Bundesbedarfsplans der Bundesnetzagentur war.

Im Dezember 2012 hat die Bundesregierung dann den Bundesbedarfsplan beschlossen. Dort will man alle notwendigen Modernisierungsmaßnahmen für die nächsten zehn Jahre zusammengefasst haben. Im Einzelnen sind das 36 Vorhaben, die als energiewirtschaftlich notwendig und besonders vordringlich angesehen werden. Von den ursprünglich vier Ferntrassen hat die Bundesregierung nach Freigabe der Planung durch die Bundesnetzagentur inzwischen den Bau von drei neuen Stromtrassen beschlossen, um Windstrom von Norddeutschland in den Süden zu transportieren.

Die Neutrassen sollen 2.800 Kilometer umfassen. Zudem ist im vorhandenen Höchstspannungsnetz auf 2.900 Kilometern eine Netzverstärkung vorgesehen. Die Kostenschätzungen für den Trassenausbau liegen bei zehn Milliarden Euro. Wie bei Großprojekten nicht anders zu erwarten war, werden inzwischen für die Ausbaukosten des Übertragungsnetzes deutlich höhere Zahlen genannt. Falls die Leitungen als Kabel verlegt werden, erhöhen sich die Kosten zudem noch um einen Betrag, den derzeit niemand näher spezifizieren mag.

Auf der Basis des Bundesbedarfsplans, der den Ausbaubedarf im Höchstspannungsnetz für die kommenden zehn Jahre feststellt, hat der Bundestag am 25. April 2013 das Bundesbedarfsplangesetz (BBPIG) beschlossen. Damit werden die im Bundesbedarfsplan festgelegten Details für die Betreiber der Übertragungsnetze sowie für die Planfeststellung und die Plangenehmigung nach den §§ 43 bis 43d und §§ 18 bis 24 des Netzausbaubeschleunigungsgesetzes Übertragungsnetz (NABEG) verbindlich.

Die drei Trassenkorridore von Emden über Osterath in der Nähe von Düsseldorf nach Philipsburg, von Wilster (in der Nähe von Hamburg) nach Goldshöfe nördlich von Stuttgart und von Lauchstädt in Sachsen-Anhalt nach Meitingen in Schwaben sind für die Errichtung von Hochspannungs-Gleichstrom-Übertragungen (HGÜ) vorgesehen. Da es sich bei dieser Technik zwar um eine seit vielen Jahren diskutierte, aber in dieser Größenordnung hierzulande noch nicht realisierte Technik handelt, werden alle drei Strecken als Pilotprojekte geführt. Zwar gelten von Punkt zu Punkt geführte Gleichspannungsstomtransporte als hocheffizient. Mangels umfassender praktischer Erfahrungen aus dem deutschen Netz gilt der Ansatz mit drei HGÜ-Trassen jedoch als durchaus mutig bis gewagt.

Schon im März 2013 hatte der Netzentwicklungsplan 2012 mit dem Entwurf des Netzentwicklungsplan Strom 2013 (NEP 13) einen Nachfolger erhalte, der auf das Zieljahr 2023 hin ausgelegt wurde - also nach dem Abschalten des letzten Kernkraftwerks in Deutschland. Bislang ist geplant, für jedes Jahr einen angepassten Netzentwicklungsplan vorzulegen, der Änderungen hinsichtlich der Erzeugungsszenarien, sowie der technischen und der rechtlichen Entwicklungen berücksichtigen soll.

Die Umsetzung im jährlichen Turnus lässt jedoch kaum Raum für eine Beteiligung der Öffentlichkeit in Form von Anmerkungen und Kommentaren. Ein zweijähriger Rhythmus könnte hier eine deutlich Verbesserung durch Einbindung der betroffenen Bevölkerung ermöglichen. Aufgrund des zunehmenden Stromexports aus Deutschland in die Nachbarländer müssen wohl auch die Übertragungsnetze stärker ausgebaut werden als bisher vorgesehen. Vor dem Hintergrund der Probleme mit der Anbindung der Offshore-Windkraftanlagen gibt es inzwischen auch einen Offshore-Netzentwicklungsplan 2013 (O-NEP 13).

Wenn man berücksichtigt, dass Netztrassen im Übertragungsbereich häufig länger Bestand haben als Kraftwerksstandorte, und dass im Südwesten der Republik beispielsweise noch Masten aus der Zeit stehen, als das Elsass noch Teil des Deutschen Reichs war, dann wird deutlich, dass mit dem Bau der neuen Ferntrassen jetzt Fakten geschaffen werden, welche die Strukturen der Energieversorgung auf viele Jahrzehnte fixieren können.

Bei den auf Bundesebene soweit entwickelten Vorhaben handelt es sich um Maßnahmen im Bereich der Übertragungsnetze. Die Einspeisung aus On-Shore-Windkraft, Wasserkraft und Photovoltaik erfolgt jedoch (nach Angaben des Verbandes kommunaler Unternehmen) zu 97% in die Verteilnetze, die damit vermehrt an ihre Kapazitätsgrenzen stoßen. Die Mittelspannungs- , bzw. Niederspannungsverteilnetze, die in der Vergangenheit den Strom nach Art einer Einbahnstraße nur verteilt haben, müssen nun jedoch auch die Einspeisung aufnehmen. Ein gewaltiges Problem stellt auch der ländliche Raum dar, wo die Einspeisung aus erneuerbaren Energien den lokalen Strombedarf oft schon übersteigt.

Mit sinkender Einspeisevergütung dürfte zudem die Tendenz zur Eigennutzung des beispielsweise in Photovoltaikanlagen erzeugten Stroms weiter zunehmen. Dies bietet sich auf jeden Fall für Eigenheimbesitzer an. Im Zusammenhang mit der Energiewende lässt sich über dezentrale Strukturen mit einzelnen Haushalten oder kleinen Gruppen von Haushalten, die Energieversorgung geradezu neu erfinden. Damit könnte das Vorgehen in vielen Details der historischen Entwicklung vor etwa einhundert Jahren folgen. Um die so entstehenden Mikronetze könnten sich Cluster bilden, die von lokalen Strukturen dann wieder in überregionale Systeme wachsen.

Dass große Teile der Energiewirtschaft sich vor einer solchen Entwicklung fürchten, welche die Kosten des konventionellen Netzausbaus auf noch weniger Schultern verteilt als bislang, ist nachvollziehbar. Es wundert daher auch nicht, dass mit dem Gedanken gespielt wird (wie bei der Trinkwasserver- und Abwasserentsorgung) eine Anschlusspflicht für den Fall durchzusetzen, dass in der Nähe des Grundstücks eine Stromleitung verlegt ist oder wird.

Ohne Netzanschluss könnte man auch die Träume von den vielen Smart Grids nicht Realität werden lassen. Bislang hat (außer den Herstellern der Smart Meter selbst) kaum jemand Interesse am Einsatz dieser Geräte im privaten Haushalt. Denn mit gerade einmal guten 20% Anteil am gesamten Strombedarf sind die Privathaushalte nicht unbedingt der Dreh- und Angelpunkt der deutschen Stromversorgung. Solange man auf Versorgerseite mit dem Standard-Lastprofil arbeiten kann, gibt es da keinen Bedarf für die Erfassung von Verbrauchsdaten von privaten Kunden.

Zudem beabsichtigt die Energiewirtschaft die Realisierung eines eigenen flächendeckenden Kommunikationsnetzes als natürliches Monopol, was noch Jahre von einer Umsetzung entfernt ist. Und die privaten Endabnehmer sind derzeit kaum für eine Investition in Smart Meter zu begeistern, denn ein wirtschaftlicher Nutzen ist für sie im derzeitigen Tarifumfeld nicht darstellbar. Dies würde sich erst ändern, wenn die Tarifspreizung so stark wäre, dass mit einer Optimierung der Stromnachfrage ein deutlich höherer Gewinn realisieren ließe als derzeit möglich.

Ein weiteres Problem beim Verteilnetzausbau liegt in der Liberalisierung des Energiemarktes Ende der 1990er-Jahre begründet. Mit dem Un-Bundling hat man die klassischen integrierten Energieversorger in einzelne Einheiten zerlegt, die aufgrund der bestehenden gesetzlichen Vorgaben praktisch nicht mehr miteinander kommunizieren und teilweise auch nicht mehr zum gleichen Unternehmen gehören. Während die rein physikalische Belieferung mit Strom über die Verteilnetzbetreiber erfolgt, findet auf der Abrechnungsseite ein Wettbewerb zwischen Anbietern statt, die teilweise reine Stromhändler ohne eigene Erzeugung und eigenes Netz sind. Da die Durchleitungsentgelte der staatlichen Regulierung unterliegen, fordern die Betreiber der Netze inzwischen bessere Bedingungen für Investitionen in den Netzausbau.

Mit dem Netzausbau der Stromversorgung ist jedoch die Energiewende noch nicht realisiert. So fehlen offenkundig noch für viele Jahre die Möglichkeiten, Strom in größerem Umfang kostengünstig zu speichern. Ansätze wie Power-to-Gas könnten da eine Möglichkeit bieten, weil Gas mit geringerem Kostenaufwand speicherbar ist als Strom. Zudem kann Gas in überschaubarem Umfang auch über die sogenannte Netzatmung über variablen Leitungsdruck in der vorhandenen Netzinfrastruktur gespeichert werden.

Dazu müsste man jedoch die Gaswirtschaft in die Netzkonzeptionen einbeziehen. Beim seit März 2013 vorliegenden Netzentwicklungsplan Gas hat man sich jedoch (wie im Fall der Stromnetze) auf die hier sogar 14 Betreiber der Ferngasleitungen konzentriert. Die Idee, dass die Energiewende am ehesten gelingen könnte, wenn sie überschaubar dezentral beginnt, scheint zumindest bei den politischen Entscheidern noch nicht angekommen zu sein.

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